Aegidius Tschudi, Proträt aus dem Freulerpalast in Näfels
Schweiz

Ein Glarner Gelehrter schrieb ein Stück Schweizer Geschichte

St. Gallen, 20.2.18 (kath.ch) Die Kathedrale St. Gallen und die St. Galler Stiftsbibliothek sind ein Kulturschatz erster Güte. Zur aktuellen Ausstellung «Barockes Universum – Religion und Geist in der Fürstabtei St. Gallen» weisen Fachleute auf kath.ch in einer Serie von Gastbeiträgen exklusiv auf Besonderheiten in diesem «Universum» hin. Karl Schmuki*, emeritierter stellvertretender Stiftsbibliothekar, schreibt über den Glarner Gelehrten Aegidius Tschudi.

Im Rahmen der Ausstellung «Barockes Universum» zeigt die Stiftsbibliothek St. Gallen eine Sondervitrine zum handschriftlichen Nachlass des Glarner Universalgelehrten Aegidius Tschudi (1505­-1572).

Vor genau 250 Jahren, in den ersten Monaten nach der Fertigstellung des prachtvollen spätbarocken Bibliotheksaals, im Februar 1768, konnte der St. Galler Fürstabt Beda Angehrn (1767-1796) von den in finanzielle Nöte geratenen Nachfahren Tschudis 120 Manuskripte käuflich erwerben und in den Handschriftenbestand seines Klosters integrieren.

Ein immens fleissiger Forscher

Der Glarner Aegidius Tschudi war beruflich vor allem als Politiker und Verwaltungsbeamter für seinen Stand tätig, etwa als Landvogt in Sargans und Baden oder als Gesandter zu eidgenössischen Tagsatzungen. Seine grosse Leidenschaft galt jedoch der Wissenschaft.

Die Geschichte, vor allem jene der Schweiz, und ihre Nachbarwissenschaften wie Geographie, Heraldik (Wappenkunde) oder Epigraphik (Inschriftenkunde) interessierten ihn besonders. In der Vielseitigkeit seiner Quellenforschungen übertraf er all seine Zeitgenossen.

Er suchte zäh und beharrlich nach Quellen.

Tschudis Forscherfleiss war immens. Er suchte zäh und beharrlich nach Quellen, schrieb ab, ordnete ein und war auch in der Lage, seine Materialien zu fundierten wissenschaftlichen Studien zu verarbeiten.

«Vater der Schweizergeschichte»

Zu seinen Lebzeiten erschien zwar nur ein Werk im Druck, die Alpisch Rhätia (Geschichte Graubündens und der Nachbargebiete).

Im 18. Jahrhundert jedoch machte ihn die Drucklegung seiner schweizergeschichtlichen Werke Chronicon Helveticum» (1734/36; Geschichte der Schweiz von 1000 bis 1470) und Gallia Comata (1758; Vorgeschichte der Eidgenossenschaft bis zum Jahr 1000) über die Grenzen seiner Heimat hinaus berühmt. Man nannte ihn den «Vater der Schweizergeschichte» oder den «Schweizer Herodot».

Kloster kauft Nachlass für 2640 Gulden

Der handschriftliche Nachlass des Glarners wurde von seinen Nachfahren zuerst in Glarus und ab 1652 auf Schloss Gräpplang bei Flums aufbewahrt.

Zum Preis von 2640 Gulden erhielt das Kloster St. Gallen im Jahr 1768 95 von Tschudi selbst geschriebenen Konvoluten (Bündel von Schriftstücken) und 25 ältere Bände, die Tschudi in seinem Besitz gehabt hatte.

Nibelungen und Parzival

Aus heutiger Sicht machen einige wertvolle Bände den Tschudi-Nachlass von 1768 zur bedeutendsten Handschriftenakquisition der Klosterbibliothek von St. Gallen in der Zeit zwischen Reformation und Klosteraufhebung 1798/1805.

Zu den Prunkstücken der Tschudi-Sammlung gehört etwa die «Nibelungenhandschrift B», in der neben dem Nibelungenlied auch die textgeschichtlich wichtigsten Fassungen der mittelalterlichen Epen «Parzival» und «Willehalm» von Wolfram von Eschenbach enthalten sind.

Wappenbuch schweizerischer Adelsfamilien

Von eminenter wissenschaftsgeschichtlicher Bedeutung sind auch das persönliche Handbuch des Reichenauer Gelehrten und Abtes Walahfrid Strabo (808/09-849) oder die älteste Abschrift der vor 830 verfassten Weltgeschichte des Frechulf von Lisieux.

Auch unter Tschudis eigenhändigen Schriften finden sich Kostbarkeiten wie 60 Kartenzeichnungen von Gebieten Europas, ein mit gut 2000 Wappenzeichnungen ausgestattetes Wappenbuch schweizerischer Adelsfamilien oder die einzig erhaltene Abschrift des churrätischen Reichsgutsurbars, eines auf 842/843 zu datierenden Güterverzeichnisses der fränkischen Könige im damaligen Rätien.

*Karl Schmuki war bis Ende 2017 stellvertretender Stiftsbibliothekar von St. Gallen und Mitverfasser des Ausstellungskatalogs 2017/18 der Stiftsbibliothek «Barockes Universum». Seit Anfang 2018 ist er pensioniert.

Aegidius Tschudi, Proträt aus dem Freulerpalast in Näfels | © Stiftsbibliothek St. Gallen
20. Februar 2018 | 12:40
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