Caritas will Chancengleichheit für Kinder
Schweiz

Die Schweiz nimmt die Kinderarmut nicht ernst

Bern, 16.11.17 (kath.ch) Gegen 250’000 Kinder leben in der Schweiz unter oder am Rand der Armutsgrenze. Sie haben in der Schule und auch später nicht die gleichen Chancen wie ihre Altersgenossen. Darauf weist Caritas Schweiz hin und fordert den Bundesrat auf, langfristig zu denken und die Verantwortung für die Bekämpfung der Kinderarmut zu übernehmen. Gleichentags veröffentlichte das Bundesamt für Statistik seine Armutszahlen.

Georges Scherrer

Die Bekämpfung der Kinderarmut kostet. Aber auch die Sozialhilfe geht in die Zahlen. Heute weise der Trend in der Schweiz dahin, dass die Armutsfrage über die Sozialhilfe abgewickelt werde, sagte Caritas-Direktor Hugo Fasel am Donnerstag vor der Presse in Bern. Dass es auch anders geht, zeigen die Kantone Tessin und Waadt. «Das Tessin hält an seinem Modell fest. Also lohnt es sich finanziell», erklärte Bettina Fredrich, Leiterin der Fachstelle Sozialpolitik beim Schweizer Hilfswerk.

Weniger als 20 Franken pro Tag

Caritas will Chancengleichheit für Kinder | © Georges Scherrer

In der Schweiz leben 76’000 Kinder in Armut, weitere 188’000 in «prekären Lebensverhältnissen», das heisst «knapp oberhalb der Armutsgrenze», erklärte die Leiterin des Bereichs Grundlagen bei Caritas Schweiz, Marianne Hochuli, in Bern. 50’000 dieser Kinder würden in «Working Poor»-Haushalten aufwachsen. Sie rechnete vor, dass Familien in derartigen Situationen abzüglich der Wohn- und Krankenkassenkosten mit «weniger als zwanzig Franken pro Tag und Person» auskommen müssten. Mit dem wenigen Geld müssten Essen, Kleidung, Energie, Bildung und vieles mehr berappt werden.

Mit solchen Zahlen steht Caritas Schweiz nicht allein da. Das Hilfswerk stützt sich unter anderem auf anderem auf Studien, welche die Jakobs Stiftung veröffentlicht hat, etwa auf das Papier «Zahlen und Fakten zur Frühen Kindheit».

Keine Chancengleichheit

Marianne Hochuli | © Georges Scherrer

Folgen dieser Kinderarmut seien eine ungesunde Ernährung und Sparen beim Zahnarzt, führte Hochuli weiter aus. Für Freizeit und Hobby fehle das Geld. Hinzu komme ein «schlechter Zugang zur frühkindlichen Förderung». Dieser prekäre Start ins Leben verschlechtere die Chancen dieser Kinder, später im Arbeitsmarkt gut Fuss zu fassen.

Als Hauptursache nannte Hochuli den mangelnden Einsatz von Bundesbern bei der Bekämpfung der Kinderarmut. Der Bund delegiere diese Aufgabe an die Kantone. Nur die Hälfte der Kantone verfüge über eine «Strategie» in diesem armutspolitisch zentralen Bereich, erklärte ihrerseits Bettina Fredrich. Vorbildfunktion sprach sie den Kantonen Tessin und Waadt zu.

Das Beispiel Tessin

Bettina Fredrich | © Georges Scherrer

Das Tessin biete einen «freiwilligen Kindergarten» als alternative Massnahme zur Kleinkinderbetreuung ab drei Jahren an. Das Angebot bestehe seit den 1930er Jahren und werde heute von über 90 Prozent der Kinder genutzt.

Diese frühe Förderung, welche auch Kinder aus armen Familien zu Gute komme, verbessere die Schulleistungen. Gemäss Fredrich ist im Tessin und in der Waadt die Zahl der Familien, die Sozialhilfe beziehen, gesunken. Die freie Zeit benutzten die Eltern für eine Erwerbstätigkeit. Sie könnten dadurch auch mehr Steuern zahlen.

Vier klare Forderungen

Martin Flügel | © Georges Scherrer

Dem Beispiel der Waadt und des Tessins folgten aber eine grosse Anzahl der Kantone nicht. Fredrich sprach von einer «Bewegungslosigkeit» bei Bund und Kantonen. Caritas Schweiz nimmt nun den Bund in die Verantwortung. Vier Forderungen stehen im Vordergrund. Diese trug in Bern der Leiter des Bereichs «Politik und Public Affairs» beim Hilfswerk, Martin Flügel, vor.

Der Bundesrat wird angehalten, eine «schweizerische Strategie zur Armutsbekämpfung und Armutsprävention» aufzustellen. Er soll zudem ein «Kompetenzzentrum für die Armutsbekämpfung» gründen. Gefordert wird weiter ein «Nationales Armutsmonitoring», das wissenschaftlich Daten aufarbeitet und bestehende Massnahmen evaluiert. Der Bund soll zudem eine «Eidgenössische Kommission für Armutsfragen» einsetzen. Solche Kommission haben sich in der Schweiz bewährt, sagte Martin Flügel.

Positionspapier der Caritas «Kinderarmut überwinden: Gefordert ist die Politik»

Caritas will Chancengleichheit für Kinder | © Georges Scherrer
16. November 2017 | 15:59
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Armut in der Schweiz

Gemäss dem vom Bundesamt für Statistik am  Donnerstag veröffentlichten Bericht, verfügte eine von fünf Personen in der Schweiz vergangenes Jahr nicht über die Mittel, um eine unerwartete Ausgabe von 2500 Franken zu tätigen. Jede zehnte Person war nicht in der Lage, eine Woche Ferien pro Jahr ausser Haus zu finanzieren. 6,9 Prozent der Bevölkerung waren dauerhaft armutsgefährdet.