Eine gefragte Moderatorin: Von links Andreas Kessler, Judith Wipfler, Andreas Kyriacou.
Schweiz

Die Schule erträgt jede «Religion» im Unterricht

Zürich, 7.2.17 (kath.ch) Religionsunterricht soll das Werte-Spektrum in der Gesellschaft so breit wie möglich widerspiegeln. Nicht Wissen müsse gelehrt werden, sondern Respekt und Dialogbereitschaft, hiess das Fazit einer Podiumsdiskussion mit einem Religionspädagogen und einen Freidenker am Montagabend in Zürich.

Georges Scherrer

Vielerorts gab es früher das Fach «Biblische Geschichte». Dieses wurde zum Teil durch das schulische Angebot «Religion und Kultur» ersetzt, so etwa im Kanton Zürich. Das neue Fach soll Religion in einem breiteren Wissensrahmen vermitteln. Das Zürcher Institut für interreligiösen Dialog (ZIID) wagte eine Zwischenbilanz und lud zu einem Podiumsgespräch mit dem Titel «Wieviel Religion erträgt die Schule?» im Zürcher Kulturpark unter der Leitung der SRF-Religionsredaktorin Judith Wipfler ein. Teilnehmer waren der Präsident der Freidenker-Vereinigung Schweiz und ein Doktor der Theologie, der auch Fachdidaktiker ist.

Schlechte Erinnerungen an eigene Schulzeit

Beide Redner schilderten auf ihre Art frustrierende Ereignisse im Zusammenhang mit Religion aus ihrer Schulzeit. Der Fachdidaktiker und ehemalige Lehrer für Religionskunde und Ethik in Luzern, Andreas Kessler, bemerkte, dass es zu seiner Zeit als Schüler am Gymnasium keinen Religionsunterricht gegeben und er auch keine Ansprechperson für religiöse Anfragen gehabt habe. Anders beim Zentralpräsidenten der Freidenker-Vereinigung der Schweiz (FVS). Andreas Kyriacou empfand, wie er sagte, die religiöse Praxis in der Schule als «Zwangszusammensein».

Unbefriedigende Religionsvermittlung

Unzufrieden mit der aktuellen Situation beim Religionsunterricht in den Schulen zeigten sich beide Referenten. Ihnen stiess auf, dass sich der Religionsunterricht unter der Bezeichnung «Religion und Kultur» darauf beschränke, den Schülern Fachwissen über fünf Weltreligionen zu vermitteln.

Zudem würden «alternative Fakten», etwa über die Freidenker, verbreitet, meinte Kyriacou. Er spielte mit dem Begriff auf Kellyanne Conway an, eine Beraterin von Donald Trump, die mit diesem Ausdruck Falschaussagen rechtfertigte.

Weit gefasster Religionsbegriff

Mit der Bezeichnung «religionshybride Heilsverfahren» brachte Kessler seine Kritik an der, aus seiner Sicht, eng ausgelegten Religionsvermittlung in den Schulen an. Diese verzichte darauf, die Jugendlichen zum Beispiel über die Heilpraktik «Homöpathie» aufzuklären. Mit einer rein «scientischen» Wissensvermittlung über fünf Weltreligionen werde das Ziel des Religionsunterrichts verwässert. Oder in den Worten des Freidenkers-Zentralpräsidenten: Die aktuelle Religionsvermittlung werde zu stark durch das «Exotische» bestimmt.

Am Beispiel des Streits im Baselländischen Therwil, wo zwei muslimische Knaben sich weigerten, einer Lehrerin die Hand zu geben, zeigte Kessler auf, wie für ihn das Idealbild von Religions-Unterricht aussieht. Kessler bedauerte, dass als Folge des Therwiler Streits der Kanton «Regeln « aufgestellt habe. Eigentlich hätte die Angelegenheit im Dialog gelöst werden müssen. Der Dialog und die Diskussion über die unterschiedlichen Ansichten über Werte müssten die Basis der Religionsvermittlung sein.

Schule, ein Ort, wo man über Religion spricht

Die öffentliche Schule müsse ein Interesse daran haben, dass sie ein Ort ist, wo man über Religion «spricht». Der Staat habe ein Interesse, Religion in der Schule zum Thema zu machen. Im schulischen Bereich werde diese «neutralisiert», so dass sie nicht ausserhalb der Schule «wuchern» könne.

Die auf Wissensvermittlung zentrierten heutigen Lehrmittel schlössen Diskussionen aus und führten dazu, dass das Fach «zahnlos», so Kessler, geworden sei. Konflikte und Diskussionen zwischen den Schülern müssten in einem staatlichen Religionsunterricht Platz haben.

Lehrplan 21 muss erst Beweis erbringen

In die Diskussionen müssten auch die Lebenswelten von nicht-religiösen Menschen eingebettet werden, meinte Kyriacou. Auch ein so sozialisierter Mensch müsste sich in einem solchen Unterricht wohl fühlen. Der Unterricht müsse in der Gesellschaft verortet sein.

Nach Ansicht von Kessler zielt der «Lehrplan 21» im Bereich «Ethik, Religionen, Gemeinschaft» in diese Richtung. Der Lehrplan müsse aber erst noch den Beweis für seine Effizienz erbringen.

 

Eine gefragte Moderatorin: Von links Andreas Kessler, Judith Wipfler, Andreas Kyriacou. | © Georges Scherrer
7. Februar 2017 | 16:57
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Privatschulen keine Lösung

Kessler zeigte Privatschulen die rote Karte. Schule sei ein öffentlicher Ort. Auch Kyriacou warnte vor Privatschulen und wies auf den gesellschaftlichen Flickenteppich hin, der in Grossbritannien entstanden sei, nachdem verschiedenen Religionsgemeinschaften ihre Kinder in die ihnen genehmen Privatschulen schickten, wo «orthodoxe» Ansichten von Religion vermittelt würden. «Vielleicht ist eine Rudolf-Steiner-Schule auch religiös», sagte der Freidenker-Zentralpräsident.

Vor einer solchen Entwicklung sei die Schweiz nicht gefeit, meinte Kessler. Er verwies auf eine Schule hin, welche die Hare-Krishna-Bewegung in Langenthal BE aufbaue. Diese habe dazu geführt, dass Mitglied der Bewegung aus dem Ausland ins Bernische ziehen würden, um dort ihr Eigenleben zu führen.