Bruno Strassmann, Ex-Präsident des Vereins Tagsatzung
Schweiz

«Die Kirche kann nicht ewig gestrig bleiben!»

Olten SO, 27.5.17 (kath.ch) Der Verein Tagsatzung hat einen neuen Präsidenten: Bruno Strassmann wurde am Freitag als Nachfolger von Adrian Müller gewählt. Im Interview mit kath.ch erzählt der Luzerner Theologe, woher er die Hoffnung nimmt, die katholische Kirche werde ihre Haltung gegenüber Frauen, Homosexuellen und geschiedenen Wiederverheirateten ändern.

Sylvia Stam

Sie sind der neue Präsident des Vereins Tagsatzung. Wozu braucht es die Tagsatzung noch?

Bruno Strassmann: Der Verein Tagsatzung steht für einen synodalen Prozess in der Kirche Schweiz. In der Schweizer Kirchenlandschaft ist es dringend notwendig, dass wieder ein Prozess in Bewegung kommt, der eine echte Partizipation aller Gläubigen ermöglicht.

Mit «synodalem Prozess» meinen Sie eine echte Partizipation aller Gläubigen?

Strassmann: Das ist eine Aufgabe der Tagsatzung. Sie bietet ausserdem eine Plattform, um die relevanten kirchlichen und gesellschaftlichen Themen zu diskutieren.

Ich nehme den Verein Tagsatzung tatsächlich als eine Gruppierung wahr, die vor allem diskutiert. Was tut die Tagsatzung konkret, auf der Handlungsebene?

Strassmann: Die Mitglieder des Vereins Tagsatzung engagieren sich ganz konkret in Pfarreien oder kirchlichen Gruppierungen. Die Tagsatzung ersetzt dieses Engagement nicht, sondern möchte es stärken und fördern. Wir versuchen, die Kräfte reformorientierter Gruppen und Einzelpersonen zusammenzuführen, um dem schleichenden Austritt aus der aktiven Mitgestaltung der Kirche entgegenzutreten.

Die Anliegen, für welche der Verein Tagsatzung eintritt, sind die bekannten «heissen Eisen» der katholischen Kirche: Gleichberechtigung von Frauen, keine Diskriminierung von Homosexuellen und wiederverheirateten Geschiedenen. In diesen Bereichen hat sich in den letzten 30 Jahren kaum etwas verändert in der katholischen Kirche. Warum also weitermachen?

Strassmann: Die Grundprinzipien der katholischen Kirche, wie sie auch die katholische Soziallehre festhält, sind Stärkung der Eigenverantwortung (Subsidiarität), der Solidarität, das Gemeinwohl im Auge zu behalten, nachhaltig zu wirken. Wenn diese Grundwerte vernachlässigt werden, verschwindet das Leben in vielen kirchlichen Kreisen. Darum muss man die Diskussion um die heissen Eisen weiterführen und Lösungen finden. Wir dürfen nicht resignieren und müssen hier auch unsere Eigenverantwortung wahrnehmen, aber uns auch grundsätzlich für eine menschliche, lebendige Kirche einsetzen.

Haben Sie Hoffnung, dass die katholische Kirche ihre Haltung zu den «heissen Eisen» jemals ändern wird?

Strassmann: Es wird sich etwas ändern! Die Kirche kann nicht ewig gestrig bleiben. Die Gegebenheiten der Zeit rufen nach einer Kirche, die das Leben stärkt, die sich in die Diskussion einbringt und Reformschritte macht. Sonst wird die Kirche zu einem kleinen Verein mit einer «heiligen Ideologie». Die Kirche ist nicht dazu da, ideologische Grüppchen zu pflegen, sondern um den Menschen zu dienen. Die christliche Botschaft hat Dynamik und Kraft. Sie ist ein kritisches Korrektiv gegenüber den gesellschaftlichen Trends, in denen wir stehen, etwa in den Bereichen Ethik und Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Politik oder in sozialen Fragen.

Woher nehmen Sie den Elan und die Ausdauer, dranzubleiben?

Strassmann: Dazu gehört eine ganz persönliche Spiritualität, die wir einzeln, aber auch als Gruppierung pflegen wollen. Wenn wir gemeinsam unterwegs sind, ist die Gefahr der Resignation kleiner und die Verbundenheit wächst.

Wie viele Mitglieder hat der Verein Tagsatzung heute?

Strassmann: Der Verein Tagsatzung hat zurzeit 268 Einzelmitglieder und 92 Kollektivmitglieder.

Wie hoch ist der Altersdurchschnitt?

Strassmann: Der ist viel zu hoch, darin sind wir ein Spiegelbild der Kirchenmitglieder allgemein. Uns fehlen junge Kräfte, die sich und ihr Denken einbringen. Wir möchten jüngere Leute für unseren Weg gewinnen, denn es geht um unseren christlichen Glauben: Wie können wir unseren Glauben heute glaubwürdig und attraktiv leben und wie gestalten wir ein für die Zukunft tragfähiges Leben?

Und wie möchten Sie junge Leute für die Tagsatzung gewinnen?

Strassmann: Ich habe Ideen, aber ich möchte zuerst intern die Prioritäten diskutieren. Gewisse Projekte werden sicher aufgegleist werden.

Warum übernehmen Sie das Amt des Präsidenten?

Strassmann: Ich habe den Verein Tagsatzung immer als konstruktiven und hoffnungsvollen Weg erlebt, der etwas in Bewegung brachte und wo ich gute Freunde fand. Das ist mir etwas wert.

Wo möchten Sie Schwerpunkte setzen?

Strassmann: Ein unbestrittener Schwerpunkt ist das 50-Jahr-Jubiläum der Synode 72: Bis 2022 sollen neue synodale Prozesse installiert sein. Die Synode 72 war die Umsetzung des Zweiten Vatikanischen Konzils auf die schweizerischen Verhältnisse. Ein Teil der damaligen Anliegen wurde inzwischen eingelöst, manches leider nicht. Damit sich die Kirche Schweiz hier wieder auf die Beine macht, braucht es einen breit angelegten Prozess. Diesen möchte die Tagsatzung in Gang bringen, zusammen mit anderen katholischen Gruppierungen und Reformkreisen, wie sie in der Allianz «Es reicht» zusammengeschlossen sind.

Der Theologe Bruno Strassmann (62) leitet seit zehn Jahren die Fachstelle kirchliche Erwachsenenbildung der Katholischen Kirche im Kanton Thurgau, zuvor war er Gemeindeleiter in Kriens und Littau (beide LU). Strassmann ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Söhnen. Er wohnt in Ebikon LU.

Bruno Strassmann, Ex-Präsident des Vereins Tagsatzung | © zVg
27. Mai 2017 | 09:19
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Der Verein Tagsatzung

Die Idee einer Tagsatzung geht auf eine Anregung von Leo Karrer, inzwischen emeritierter Professor für Pastoraltheologie der Universität Freiburg, zurück.  Der Verein «tagsatzung.ch» engagiert sich laut eigenen Angaben «für eine glaubwürdige und wirksame Kirche, indem sie sich für Reformen in der römisch-katholischen Kirche einsetzt.» Die Tagsatzung ist auf schweizerischer Ebene wie in den Diözesen tätig. Sie unterstützt regionale Aktivitäten und innovative Projekte.