Jean-Marie Lovey, Bischof von Sitten.
Schweiz

«Die katholische Kirche unterstützt begleitete Sterbehilfe nicht»

Sitten, 1.3.19 (kath.ch) Vor einer Banalisierung der begleiteten Sterbehilfe warnte der Bischof von Sitten, Jean-Marie Lovey. Bei einem Medientreffen am Donnerstag erinnerte er daran, dass die katholische Kirche jegliche Sterbehilfe ablehnt. Im Wallis könnte die begleitete Sterbehilfe in das kantonale Gesundheitsgesetz aufgenommen werden.

Bernard Hallet

«Als Christ bin ich Jünger eines Gottes, der ein für allemal auf das Leben gesetzt hat. Als Jünger dieses Gottes kann ich nichts anderes tun, als das menschliche Leben in seiner Gesamtheit und bis zu seinem Ende zu verteidigen», sagte Bischof Jean-Marie Lovey vor den Medien.

Ein wachsendes Phänomen

Im Wallis könnte die Sterbehilfe in Altersheimen gesetzlich geregelt werden. Zwei FDP-Grossräte haben eine entsprechende Motion zum kantonalen Gesundheitsgesetz eingereicht. Vor den Medien hat Bischof Lovey nun an die klare Position der Kirche erinnert. Diese lehne jede Form der Sterbehilfe ab.

«Wir müssen diese Menschen begleiten.»

«Ich werde die assistierte Selbsthilfe bekämpfen, aber nicht die Person, die danach fragt», sagte der Bischof zu cath.ch. «Wir müssen diese Menschen begleiten», forderte er. Zu Beginn der Medienkonferenz hatte der Bischof auf die «Realität, die unter den Nägeln brennt» hingewiesen.

Er meinte damit unter anderem die Angst alter Menschen, dass sie wegen des Leidens und der Einsamkeit ihre Würde verlieren und zur Last für die Verwandten und die Gesellschaft würden. Hinzu komme die Angst vor dem Tod, den man bewältigen könne, indem man die Unterstützung einer Sterbehilfeorganisation in Anspruch nehme.

«Schwerer Angriff auf das Leben»

Aus der Sicht des Bischofs droht die begleitete Sterbehilfe «zu einer normalen und gesellschaftlich anerkannten Dienstleistung» zu werden. Aus christlicher Sicht könne eine solche «Dienstleistung» aber keine Unterstützung erfahren.

Sie stelle vielmehr einen schweren Angriff auf das Leben des Menschen dar. Der Bischof wies vor den Medien auf die verschiedenen Möglichkeiten hin, die es gebe, um einen Menschen am Ende seines Lebens zu begleiten.

Rolle des Priesters

Ein Priester könne durchaus einen Menschen begleiten, der um Sterbehilfe gebeten habe. «Sie sollten nicht ausgeschlossen werden. Das wäre inakzeptabel.» Man müsse aber klar zwischen begleiteter Sterbehilfe und jener Peron, die um eine solche bitte, unterscheiden.

Priester soll der «Tat» nicht beiwohnen.

Der Bischof nannte gleichzeitig die Grenzen einer solchen Begleitung. Ein Priester könne eine solche Begleitung ablehnen. «Das kann ich verstehen.» Es sei aber nicht möglich, dass ein Priester der «Tat» beiwohne. Eine solche Präsenz würde bedeuten, dass die Kirche eine solche Handlung befürworte.

Eine Lücke füllen

Bischof Lovey räumte vor den Medien ein, dass die Forderung nach begleiteter Sterbehilfe ein Problem darstelle. Die Seelsorge an kranken Menschen könne auf die unterschiedlichen Wünsche der Betroffenen eingehen. Er verwies auf die Sakramente und die Begleitung der Betroffenen. «Aber es ist wahr, dass die Pastoralmitarbeiter für Fälle von begleiteter Sterbehilfe nicht speziell ausgebildet sind. In diesem Bereich gilt es eine Lücke zu füllen.»

Der Bischof wies auf bereits bestehende Angebote bei der Begleitung betagter oder schwerkranker Menschen hin. Angebote palliativer Pflege in Spitälern wie auch Freiwilligenorganisationen würden betroffene Familien unterstützen. Diese Strukturen würden es Sterbenden erlauben, sich in einem friedlichen Rahmen von den Angehörigen zu verabschieden. Dies entspreche dem Ziel des Lebens bis an sein Ende.

Entscheide unter Druck

Der Direktor der Walliser Vereinigung der Alters- und Pflegeheime, Philippe Genoud, nahm ebenfalls an der Pressekonferenz teil. Er sprach das Problem an, welches der Wunsch nach begleiteter Sterbehilfe und dessen Umsetzung für die Heime bedeute. Er wies auf die Folgen für das Personal, die anderen Heimbewohner und die freiwillig Helfenden hin.

Genoud thematisierte auch den Druck auf die Betroffenen. Die Pflegebedürftigen würden oft von Krankheiten heimgesucht, welche ihre Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigten. Genoud sprach auch vom finanziellen Druck, der auf den Betroffenen laste. Sie könnten sich als Belastung für die Angehörigen oder die Gesellschaft ansehen.

Verurteilung vermeiden

Die Mitarbeiter in den Heimen seien ausgebildet worden, um dem Leben zu dienen und nicht dem Tod, so Genoud weiter. Er wolle das Problem nicht auf radikale Weise angehen. Es sei schwierig zu sagen, «es ist richtig oder falsch», wenn man sich mit der Intimität eines Menschen befasse.

Das Feld für «den Suizid im allgemeinen» geebnet.

Die Generalsekretärin des Walliser Alzheimer-Verbandes, Geneviève Delèze, wies auf die Fortschritte hin, welche die Palliativmedizin bei der Begleitung Sterbender erzielt habe. Auch sie beobachte bei den meisten Patienten das Gefühl, unnütz zu sein, und die Angst vor dem Tod und vor dem finanziellen Druck auf die Gesellschaft.

Risiko der Verharmlosung

Diese Position teilte der Philosoph und Ethiker Stève Bobilier. Er ist Mitglied der Bioethik-Kommission der Schweizer Bischofskonferenz. Bobilier warnte vor der Verharmlosung der begleiteten Sterbehilfe. In den vergangenen zehn Jahren hätten sich die Zulassungskriterien erweitert. Das positive Reden und die Handhabung des Themas in den Medien hätten das Feld für «den Suizid im allgemeinen» geebnet. Er sprach vom Nachahmungseffekt. «Im Jahr 2005 waren ein Drittel der Personen, welche die begleitete Sterbehilfe in Anspruch nahmen, von einer unheilbaren Krankheit betroffen», sagte Bobilier.

Gewalttätiger Akt und Selbsmord.

Es handle sich um einen gewalttätigen Akt – und einen Selbstmord. Ob begleitet oder nicht, bleibe es ein Selbstmord. Die begleitete Sterbehilfe sei genauso traumatisch wie ein «gewöhnlicher» Selbstmord. Mit der Trauer sei im Fall begleiteter Sterbehilfe schwieriger umzugehen, erklärte Bobilier, besonders dann, wenn die Angehörigen den Wunsch des Betroffenen respektiert hätten und dies bereuten.

Erweiterter Katalog

Die Zulassungskriterien für die begleitete Sterbehilfe seien in den vergangenen Jahren ausgeweitet worden, erklärte Bobilier. Bis 2006 konnten nur Personen die Angebote von Sterbehilfeorganisationen in Anspruch nehmen, die an einer unheilbaren Krankheit litten. 2006 seien auch psychische Leiden in den Katalog aufgenommen worden. Schweizer Sterbehilfeorganisationen würden seit 2014 auch Menschen begleiten, die an altersbedingten Mehrfachkrankheiten litten, seit 2017 auch «lebensmüde» Menschen, so Bobilier.

Im vergangenen Jahr ist das Angebot gemäss Bobilier auf Personen ausgeweitet worden, die von unerträglichen Leiden betroffen seien, und auf Inhaftierte, die ihre Strafe nicht absitzen wollten. Ab diesem Jahr stehe begleitete Sterbehilfe allen offen.

Die begleitete Sterbehilfe erfährt in der Schweiz einen starken Zuwachs. Wurden 2003 noch 187 Fälle assistierter Sterbehilfe durch eine Sterbehilfeorganisation registriert, so waren es 2015 965 Personen. Die Zahl assistierter Sterbehilfe habe fast die Zahl «gewöhnlicher» Selbstmorde erreicht, sagte Lovey. Im Jahr 2015 wurden in der Schweiz 1008 solche Fälle gezählt.(cath.ch/Übersetzung: gs)

Jean-Marie Lovey, Bischof von Sitten. | © Bernard Hallet
1. März 2019 | 16:32
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!