Grosses Medieninteresse am Auftritt der deutschen Bischöfe zum Missbrauch
International

Deutsche Bischofskonferenz äusserst sich zu massivem Missbrauch

Fulda, 25.9.18 (kath.ch) Die katholische Kirche muss nach Auffassung von Wissenschaftlern Strukturen ändern, um weiteren Missbrauch zu verhindern. Der Koordinator der Studie über sexuellen Missbrauch in der Kirche, Harald Dressing, zeigte sich am Dienstag in Fulda erschüttert über das Ausmass. Auch der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, bekundete Scham und Erschütterung.

Vertreter von Politik und Kirche forderten tiefgreifende Reformen, die auch den Zölibat, klerikale Machtstrukturen, die Rolle der Frauen und die Beichte betreffen. Die Ergebnisse der Studie legten nahe, dass es in der Kirche Strukturen gegeben habe und gebe, die Missbrauch begünstigen, sagte Dressing.

«Dazu gehören der Missbrauch klerikaler Macht, aber auch der Zölibat und der Umgang mit Sexualität, insbesondere mit Homosexualität». Auch die Rolle der Beichte müsse überdacht werden, sagte der Psychiater.

Eine «untere Schätzgrösse»

Die Wissenschaftler ermittelten Missbrauchsvorwürfe gegen 1670 Kleriker, was einem Anteil von 4,4 Prozent der geprüften Geistlichen entspricht. Es handele sich aber um eine «untere Schätzgrösse» und die Spitze eines Eisbergs.

Marx erklärte: «Allzulange ist in der Kirche Missbrauch geleugnet, weggeschaut und vertuscht worden.» Der Schutz der Institution sei höher gewertet worden als der Schutz der Opfer.

Schmerzender Vertrauensverlust

«Ich empfinde Scham für das Wegschauen von vielen, die nicht wahrhaben wollten, was geschehen ist und die sich nicht um die Opfer gesorgt haben. Das gilt auch für mich! Wir haben den Opfern nicht zugehört.»

Die Kirche müsse neues Vertrauen aufbauen: «Ich verstehe viele, die sagen: Wir glauben Euch nicht.» Der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, erklärte, der Forschungsbericht gebe der Kirche «deutliche Hinweise», welche Strukturen und Dynamiken Missbrauch begünstigen könnten.

Gründlich aufarbeiten

Marx und Ackermann betonten, es seien weitere Schritte nötig, um das Thema gründlicher aufzuarbeiten. Vielleicht könne es dabei so etwas wie unabhängige «Wahrheitskommissionen» in den Bistümern geben, sagte Marx. Auch für eine engere Zusammenarbeit mit dem Staat, der Justiz und dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung sei er grundsätzlich offen. Ackermann begrüsste die Forderung von Opferverbänden nach einer Verbesserung der Entschädigung.

Thema in der deutschen Politik

Die deutsche Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) forderte unterdessen eine «ehrliche und umfassende» Aufarbeitung. Der kirchenpolitische Sprecher der Union, Hermann Gröhe (CDU), betonte, die Kirche müsse auch die Priesterausbildung auf den Prüfstand stellen und den Umgang mit der eigenen Sexualität thematisieren.

Der religionspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Stefan Ruppert, sagte, die Kirche müsse nun zeigen, dass sie in Fällen sexuellen Missbrauchs konsequent eine Null-Toleranz-Politik verfolge. Auch die frühere deutsche Vatikan-Botschafterin Annette Schavan plädierte für »tiefgreifende Veränderungen« in der Kirche.

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, plädierte für mehr Zusammenarbeit von Staat und Kirchen.

Beispielsweise gehe es darum, genau festzulegen, welche Rechte Betroffene künftig haben müssten, etwa zur Akteneinsicht. Der Kriminologe Christian Pfeiffer forderte, die Kirche müsse offenlegen, wo sie Fehler begangen habe. «Das Entscheidende fehlt: Wir wissen nicht, wer die Verantwortlichen sind.»

Innerkirchliche Stellungnahmen

Auch Vertreter katholischer Einrichtungen und Verbände forderten strukturelle Reformen sowie ein verändertes Verständnis von Sexualität. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sprach sich dafür aus, dass «die Kirche ihr Verständnis von Sexualität, insbesondere auch von Homosexualität, überdenken muss».

ZdK-Präsident Thomas Sternberg kritisierte ein überholtes Amts- und Kirchenverständnis. Deshalb müssten »klerikale Führungs- und Leitungsstrukturen« aufgebrochen und synodale Elemente gestärkt werden. Auf allen Ebenen müssten gewählte Frauen und Männer mitentscheiden können.

3677 Minderjährige

In der Studie über den Missbrauch der katholischen Kirche in Deutschland sind 3677 Kinder und Jugendliche im Zeitraum von 1946 bis 2014 als Opfer von sexuellem Missbrauch dokumentiert. In den 38’156 ausgewerteten Akten der 27 deutschen Bistümer gab es bei 1670 Klerikern (4,4, Prozent) Hinweise auf Beschuldigungen, Minderjährige missbraucht zu haben, wie es in der am Dienstag in Fulda vorgestellten Studie heisst.

Die Deutsche Bischofskonferenz hatte die Untersuchung in Auftrag gegeben. Das interdisziplinäre Forscherkonsortium bestand aus Wissenschaftlern um den Mannheimer Psychiater Harald Dressing.

Weiter heisst es in der Untersuchung, dass unter den Beschuldigten 1429 Diözesanpriester (5,1 Prozent aller Diözesanpriester), 159 Ordenspriester (2,1 Prozent) und 24 hauptamtliche Diakone (1,0 Prozent) waren. Bei 54 Prozent der Beschuldigten lagen Hinweise auf ein einziges Opfer vor, bei 42,3 Prozent Hinweise auf mehrere Betroffene.

62,8 Prozent der von sexuellem Missbrauch Betroffenen waren männlich, 34,9 Prozent weiblich, bei 2,3 Prozent fehlten Angaben zum Geschlecht. Das deutliche Überwiegen männlicher Betroffener unterscheidet sich nach Angaben der Forscher vom sexuellen Missbrauch an Minderjährigen in nicht-kirchlichen Zusammenhängen.

Drei von vier Betroffenen standen mit den Beschuldigten in einer kirchlichen oder seelsorgerischen Beziehung, zum Beispiel als Messdiener oder als Schüler im Rahmen von Religionsunterricht, Erstkommunion- oder Firmvorbereitung.

Bei rund einem Drittel der beschuldigten Geistlichen wurden kirchenrechtliche Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger eingeleitet, bei 53 Prozent nicht; bei 13,1 Prozent fehlten entsprechende Angaben. Rund ein Viertel aller eingeleiteten kirchenrechtlichen Verfahren endete ohne Sanktionen. Aus dem Klerikerstand entlassen wurden 41 Beschuldigte, 88 wurden exkommuniziert, also aus der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen. (kna)

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25. September 2018 | 17:06
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