Der Zug ist abgefahren – die Kirche bleibt auf dem Perron

Einsiedeln, 2.9.18 (kath.ch) Die Pfarrei-Initiative Schweiz ist zur «Einsicht» gekommen, dass die Zeit der Reformen in der katholischen Kirche wohl ungenutzt und unwiederbringlich verstrichen sei. Das sagt der Präsident der Initiative, Markus Heil, gegenüber kath.ch im Anschluss an die Generalversammlung des Vereins. Die Kirche «steht heute auf dem Perron» und «der Zug ist abgefahren». So Heils Einschätzung. Eine Umorientierung sei nötig.

Georges Scherrer

Die aktuelle kirchenpolitische Situation war an der Generalversammlung der Pfarrei-Initiative Schweiz am vergangenen Montag in Einsiedeln ein wichtiges Thema. Die rund 25 Teilnehmer zeigten sich «sehr besorgt» wegen der verschiedenen Enthüllungen rund um den Vatikan und den Missbrauchsskandal. Die Kirche zeige sich zurzeit gemäss dem Präsidenten der Pfarrei-Initiative Schweiz, Markus Heil, in einem desolaten Zustand.

Der alt Abt von Einsiedeln, Martin Werlen, präsentierte an der Generalversammlung sein Buch «Zu spät» und stellte die Aussage zur Diskussion. «Für vieles in der Kirche ist es heute zu spät», erklärte Heil gegenüber kath.ch.

«Für vieles, über das wir in der Kirche reden und worüber wir uns aufregen, ist es zu spät», meinte er weiter. Der Einsiedler alt Abt habe etwa auf die Diskussion über das Diakonat der Frau verwiesen und diese als «zu spät» bezeichnet.

«Wenn wir uns mit Themen beschäftigen, die vorbei sind, dann laufen wir der Zeit hinterher.»

Für viele Anliegen, die in die kirchliche Reformagenda aufgenommen worden waren, sei die Zeit vorbei. Die Diskussion über das Zölibat hätte gemäss Heil vor dreissig Jahren gelöst werden sollen. Für die Priesterweihe der Frauen sei es heute schon zu spät – zumal, wenn sie noch lange nicht komme und der Kirche den lang ersehnten Aufbruch bringen würde.

Der Zug ist abgefahren

«Wenn wir uns mit Themen beschäftigen, die vorbei sind, dann laufen wir der Zeit hinterher,» erklärte Heil weiter. «Die Herausforderung ist, im Heute zu sein und vom Heute aus vorauszuschauen.» Also müsse man als erstes damit aufhören, «dem abgefahrenen Zug hinterher zu laufen».

«Was nützt die Abschaffung des Zölibats, wenn die Kinder nicht mehr in die Kirche gehen?»

Heil möchte nicht von einem «Aufgeben» reden. «Dies ist nicht ein Aufgeben, sondern eine Einsicht». Die kirchlichen Entscheidungsträger würden sich heute auf einem Perron befinden, wo der Zug abgefahren ist – sowohl die Bischöfe wie auch viele andere Verantwortliche, die Reformbewegungen eingeschlossen, führte Heil das Bild vom Bahnhof weiter aus.

Die Pfarrei-Initiative Schweiz müsse sich auf heutige Themen konzentrieren. «Was nützt es, wenn das Zölibat abgeschafft wird, wenn unsere Kinder nicht mehr in die Kirche gehen?» Die Frage stelle sich: «Was muss passieren, damit sie wieder den Glauben in Gemeinschaft leben?»

Am Beispiel junger Menschen orientieren

Es gehe darum, genau hinzuschauen, wie junge Menschen denken, wenn sie sich zum Beispiel ökologisch engagieren. Es gelte zu prüfen, wie diese Denkweisen mit dem Christentum in Zusammenhang stehen könnte. Heil warnt davor, nun voreilig auf den nächsten Zug aufzuspringen.

«Welchen Zug wir danach nehmen, ist noch nicht entschieden.»

Die Pfarrei-Initiative stehe derzeit gleichsam auf dem Perron und müsse sich erst einmal wieder orientieren. «Wir müssen zuerst aufhören, dem Vergangenen nachzutrauern. Welchen Zug wir danach nehmen, ist noch nicht entschieden.»

Erkenntnis in drei Schritten

Von Resignation spricht Markus Heil nicht. Man habe vielmehr alt Abt Martin Werlen zur Generalversammlung eingeladen, weil er in seinem Buch das «Zu-Spät» in drei verschiedenen Weisen auslege. Er stelle erstens fest, dass es für vieles zu spät sei. Diese Einsicht entlaste. Das sei der zweite Punkt. Als dritten Punkt führe der alt Abt an, dass man es aufgrund des Glaubens auch in einer Situation, «wo es zu spät ist», aushalten und weitergehen könne.

Die alten Antworten funktionieren nicht mehr.

«Aufgrund dieses ‹Zu-Späts› in der Kirche gilt es nicht, davonzulaufen und zu resignieren, sondern noch tiefer zu schauen: Wo führt uns der Heilige Geist hin, wenn diese alte Institution im Auflösungs-Zustand begriffen ist?»

Fest in Glauben

Ein Ungläubiger könne von Pessimismus reden. Für einen Glaubenden «ist Gott nach wie vor da». Auf diesem Hintergrund müsse die Glaubensgemeinschaft prüfen, was heute angesagt sei und nicht «an den alten Antworten hängen bleiben, die nicht mehr funktionieren».

Jetzt begebe sich die Pfarrei-Initiative auf die Suche nach den neuen Fragen – oder wie es in der Medienmitteilung heisst, welche die Pfarrei-Initiative im Anschluss an ihre Generalversammlung veröffentlichte: Die Forderung zum Rücktritt des Papstes, sei «ein Zeichen des Zustands der Kirche, das uns auffordert, noch genauer hinzuschauen».

Die Pfarrei-Initiative will an einer Veranstaltung, deren Zeitpunkt noch nicht feststeht, über die neuen Wege diskutieren sowie darüber, wie sie als Gemeinschaft weiter gehen will.

 

 

Zu spät... | © kath.ch
2. September 2018 | 16:08
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Pfarrei-Initiative

Die Pfarrei-Initiative entstand im Jahr 2012 in Anknüpfung an die Pfarrer-Initiative in Österreich und verschiedene ähnliche Initiativen in anderen Ländern. Die Kerngruppe der Pfarrei-Initiative gründete am 12. Dezember 2014 in Zürich den Verein «Pfarrei-Initiative-Schweiz».