Der Ruf der Kirche leidet nicht wegen ihres politischen Engagements

St. Gallen, 12.6.17 (kath.ch) «Viele» Gläubige würden aus «den staatskirchenrechtlichen Körperschaften» austreten, weil kirchliche Amtsträger diese für politische Anliegen missbrauchten. Dies behauptete kürzlich der Churer Bischof Vitus Huonder, ohne Zahlen zu nennen. Auch Urs Winter vom Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut (SPI) kann keine Zahlen zum Kirchenaustritt aus politischen Gründen angeben. Aber er hat in einer Studie Politiker und künftige Lehrer befragt, was dem Ruf der Kirchen schade. Das politische Engagement der Kirche steht da nicht an erster Stelle.

Barbara Ludwig

«Mir ist im deutschsprachigen Raum keine Erhebung bekannt, die aufzeigt, wie viele Menschen aus der Kirche austreten, weil sie mit bestimmten politischen Stellungnahmen derselben nicht einverstanden sind», sagt Winter auf Anfrage gegenüber kath.ch.

Vertritt die Kirche die eigenen Werte?

Der Forscher kann jedoch mit einer eigenen Untersuchung nachweisen, dass die Parteipräferenz darüber entscheidet, ob ein Kirchenmitglied grundsätzlich eine Einmischung in die Politik goutiert oder nicht. Vor drei Jahren habe er die Politiker aller Kantonsparlamente der Schweiz und angehende Lehrerinnen und Lehrer gefragt, ob die Kirche in politischen Fragen Stellung beziehen oder sich aus der Politik heraushalten solle.

«Linke Politiker sprachen sich dafür aus, aber auch solche von der CVP und der EVP. Politiker der übrigen bürgerlichen Parteien sagten, die Kirche solle schweigen.» Bei den angehenden Lehrern hätten hingegen alle die Ansicht vertreten, dass sich die Kirche «bei politischen Fragen» neutral verhalten soll, so Winter.

Winter kann sich vorstellen, dass tatsächlich Menschen aus der Kirche austreten, weil sie zum Beispiel die Haltung der Kirche in Bezug auf Flüchtlinge nicht teilen oder «weil die Kirche Mann und Frau nicht gleich behandelt». Umgekehrt könne es aber auch Leute geben, die gerade nicht austreten, weil sie es schätzten, dass die Kirche in einem bestimmten Bereich eine Position vertritt, die ihnen entspricht. «Es kommt also auf die Parteipräferenz der Menschen an und ob die Kirche, der man angehört, die eigenen Werte und Ideale vertritt.»

Politiker und künftige Lehrer geben Rückständigkeit als Austrittsgrund an

In seiner nicht repräsentativen Studie aus dem Jahr 2015 über das Ansehen der Kirchen fragte Winter die Politiker und angehenden Lehrerinnen und Lehrer auch, aus welchen Gründen sie aus der Kirche austreten würden (oder ausgetreten sind). In Bezug auf die katholische Kirche nannten Politiker und Lehrerinnen an erster Stelle deren Rückständigkeit. Als zweiten möglichen Austrittsgrund nannten die Politiker Enttäuschung, während die künftigen Lehrer die Kirchensteuer nannten. An dritter Stelle rangierte bei beiden Gruppen der fehlende Glaube. Die Frage, ob auch politische Stellungnahmen einen Austritt provozieren könnten, stellte Winter hier nicht.

Kindsmissbrauch schadet Kirche mehr als das politische Engagement

Hingegen ist das politische Engagement der Kirchen bei der Frage nach den Reputationsrisiken aufgeführt. Die Befragten sollten angeben, wodurch ihrer Ansicht nach der Ruf der Kirchen in den letzten Jahren beschädigt worden sei.

Das Ergebnis zeige, dass das politische Engagement oder das politische Desinteresse nicht zu den bedeutsamen Risiken zählen, sagt Winter. Laut dem Forscher halten die Befragten bei der katholischen Kirche die Fälle von Kindsmissbrauch und die Positionen in Sachen Sexualmoral sowie Gleichstellung von Mann und Frau für rufschädigender. Auch das Festhalten am Zölibat und die Verweigerung der Frauenordination sei aus Sicht der Befragten schädlich für das Ansehen der katholischen Kirche.

«Die angehenden Lehrerinnen halten gar die Positionen bei der Frage der Gleichstellung von Mann und Frau und in der Sexualmoral noch bedeutsamer für den Ruf der katholischen Kirche als die Fälle von Kindsmissbrauch», stellt Winter fest.

Bischof will «Missbrauch» der Kirche für Politik bekämpfen

Im Mai kritisierte der Churer Bischof Vitus Huonder eine angebliche politische Instrumentalisierung der Kirche. Es gebe regelmässig Konflikte, wenn in Politik und Medien «die Stimme der Kirche für (partei-)politische Anliegen instrumentalisiert» werde, schrieb der Bischof in einem Brief mit Datum vom 23. Mai an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge seiner Diözese.

Huonder geht davon aus, dass «viele» Gläubige aus den «staatskirchenrechtlichen Körperschaften» austreten, «weil kirchliche Amtsträger die Kirche für tagespolitische Anliegen missbraucht haben». Namen solcher Amtsträger nannte Huonder in seinem Brief keine. Der Bischof kündigte an, dem «Missbrauch der Kirche für politische Anliegen» einen Riegel zu schieben.

Literaturhinweis: Winter-Pfändler, U. (2015). Kirchenreputation. Forschungsergebnisse zum Ansehen der Kirchen in der Schweiz und Impulse zum Reputationsmanagement. St. Gallen: Edition SPI


 

 

 

Urs Winter-Pfändler | © Martin Spilker
12. Juni 2017 | 14:16
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