Bischof Charles Morerod und Olav Fykse Tveit
Schweiz

«Der ökumenische Dialog bleibt dringend und schwierig»

Freiburg, 18.6.18 (kath.ch) Für Bischof Charles Morerod ist das, was der Papst über die Einheit der Christen sagen wird, der Höhepunkt seines Besuchs in Genf am 21. Juni. Der Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg erläutert im Gespräch einige wichtige Fragen des ökumenischen Dialogs: die Vision der Einheit, die Eucharistie und die Rolle der Kirchen in der Welt.

Maurice Page

Was ist besonders am Besuch von Papst Franziskus beim Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK)?

Charles Morerod: Paul VI. und Johannes Paul II. waren bereits beim ÖRK, aber Papst Franziskus kommt speziell aus Anlass des 70. Geburtstags des ÖRK. Sein Besuch zeigt, dass die Ökumene eine weltweite multilaterale Dimension hat. Dies ist eine Anerkennung speziell des ÖRK.

«Papst Franziskus weiss sehr gut, wie man das richtige Wort oder die richtige Geste findet.»

Papst Franziskus schafft es, uns zu überraschen, wie er es bei der Ankündigung seines Besuchs in Genf getan hat. Er weiss sehr gut, wie man das richtige Beispiel, das richtige Wort oder die richtige Geste findet. Und von Zeit zu Zeit lanciert er neue Überlegungen zu einem Thema, etwa zur Ökologie. Ich schliesse nicht aus, dass er dasselbe für die Ökumene tut. Was er über die Einheit der Christen sagen wird, ist eindeutig der am meisten erwartete Höhepunkt seines Besuchs.

Für Kardinal Kurt Koch, den Präsidenten des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen, ist der derzeitige Stolperstein der Ökumene das angestrebte Konzept der Einheit.

Morerod: Bedeutet ökumenischer Dialog das Gefühl, eine Einheit erreichen zu müssen oder geht es darum, mit einer Einheit, die man bereits hat, in harmonischer, brüderlicher und herzlicher Art umzugehen und damit zufrieden zu sein? Für Katholiken bleibt die sichtbare Einheit das Ziel. Aber wenn wir sehen, dass die vielen protestantischen Konfessionen gut miteinander leben, haben wir manchmal den Eindruck, dass die zweite Vision vorherrscht. Diese sehr reale Einheit wird jedoch von katholischer Seite nicht als ausreichend empfunden. Deshalb muss der Dialog fortgesetzt werden.

«An der Eucharistie teilzunehmen bedeutet, die volle Gemeinschaft mit dem Papst zu zeigen».

Die zentrale Frage dreht sich um die Eucharistie.

Morerod: Wie interpretieren wir Jesu Wort «Mögen alle eins sein»? Als Katholiken glauben wir, dass dies ein hohes Mass an Einheit im Glauben und in der Feier der Sakramente bedeutet. In der katholischen Theologie wird die Eucharistie als das stärkste Zeichen der bereits erreichten Einheit wahrgenommen. An der Eucharistie teilzunehmen bedeutet, die volle Gemeinschaft mit dem Papst zu zeigen, wie es im eucharistischen Gebet heisst. Der Theologe und Jesuit Henri de Lubac sagte: «Die Kirche macht die Eucharistie und die Eucharistie macht die Kirche».

«Die Einheit wird im Gehen erreicht», erklärt Papst Franziskus immer wieder.

Morerod: Auf jeden Fall können wir Gegensätze überwinden oder Einstellungen ändern nur in dem Umfang, wie wir den anderen kennen. Bleiben wir auf Distanz, reden wir aufgrund unserer Vorurteile über den anderen und karikieren ihn. Die Einheit besteht nicht darin zu sagen: «Ihr müsst genauso sein wie wir», sondern das Ziel ist es, den gleichen Glauben zu haben und ihn gemeinsam auszudrücken. Wir dürfen nicht in die Falle tappen zu meinen, es reiche aus, auf zu strenge Anforderungen zu verzichten, um die Ökumene voranzubringen. Aus all dem ergibt sich sowohl die Schwierigkeit als auch Dringlichkeit eines Dialogs, bei welchem stets eine wohlwollende Haltung beibehalten werden muss.

«Es ist ausführliche Aufklärung notwendig.»

Sie sind Mitglied der Internationalen Gemeinsamen Kommission für den theologischen Dialog zwischen der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche. Welche Beziehung besteht zur Orthodoxie, die ja auch im ÖRK mitwirkt?

Morerod: Die Beziehung ist je nach Kirchen und Ländern sehr unterschiedlich, weil es oft eine nationale politische Dimension gibt, etwa in der Ukraine. Diese Schwierigkeiten sind nicht religiöser Natur. Die Orthodoxen sind auch sehr sensibilisiert dafür, dass eine mögliche theologische Vereinbarung von der Basis der Gläubigen aufgenommen werden muss. In gewissen Kirchen ist dies nicht einfach aufgrund von alten Vorurteilen Katholiken gegenüber. Ein russischer Theologieprofessor erklärte mir einmal in Moskau, dass es lange dauern würde, diese zu überwinden, weil die katholische Kirche im Wesentlichen durch Werke des 19. Jahrhunderts bekannt ist, die in einem sehr polemischen Ton gehalten sind.

Dies gilt auch für katholische Bücher, die anderen Konfessionen gewidmet waren. Während der kommunistischen Ära wurden nur sehr wenige Bücher zu diesen Themen veröffentlicht. Es ist also ausführliche Aufklärung notwendig. Bei einem Besuch in Genf sagte mir der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomäus: «Die Einheit wird geschehen, wann Gott es will, und der Heilige Geist wird uns zeigen, wie», dann sprach er weiter von Gott. Ich war sehr beeindruckt von diesem sehr friedlichen Akt des Glaubens.

Wir sollten auch nicht vernachlässigen, was Johannes Paul II. 1995 in seiner Enzyklika «Ut unum sint» über die Rolle des Papstes sagte, als er andere Christen einlud, ihm verstehen zu helfen, wie er sein Amt zum Wohle aller ausüben könnte. Das war ein beachtlicher Schritt.

«Die russisch-orthodoxe Christen bevorzugen den ethischen Dialog über gesellschaftliche Themen.»

Wie das Treffen zwischen Papst Franziskus und dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill im Jahr 2016 in Kuba gezeigt hat, suchen die Orthodoxen vor allem den Dialog über ethische Fragen und die Verteidigung gemeinsamer Werte angesichts einer säkularisierten Welt.

Morerod: Die Orthodoxen meinen bereits eine sichtbare Einheit zu haben, besonders unter ihren eigenen Kirchen. Orthodoxe Theologen weigern sich im Allgemeinen, zwischen voller oder teilweiser Gemeinschaft zu unterscheiden, wie das die Katholiken tun. Für sie gibt es entweder Gemeinschaft oder nicht. Deshalb bevorzugen russisch-orthodoxe Christen den ethischen Dialog über Themen, die mit der Organisation der Gesellschaft zusammenhängen. Aber Papst Franziskus stellt, gleich wie Benedikt XVI. vor ihm, den ethischen Aspekt nicht in den Vordergrund. Das christliche Leben ist nicht in erster Linie eine Moral, sondern die Begegnung mit einem Menschen, Jesus Christus. Und unser moralisches Verhalten ergibt sich aus dieser Begegnung.

Einige Leute bedauern, dass der Papst eine Messe in Genf feiert. Sie hätten eine ökumenische Feier vorgezogen.

Morerod: Der Papst feiert die Messe für Katholiken. Und das ist normal, wenn man bedenkt, dass gemäss dem Zweiten Vatikanische Konzil die Eucharistie Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens ist. Nichtsdestotrotz werden mehr als 150 Vertreter des ÖRK, der Evangelischen Kirche in Genf und des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) erwartet, zum Teil in pastoraler Kleidung. Auch das ökumenische Gebet im ÖRK am Vormittag wird ein Höhepunkt sein.

Die Frage der Interkommunion ist in Deutschland mit dem Wunsch der Bischöfe wieder aufgetaucht, den nicht-katholischen Ehepartnern eines gemischten Paares die Kommunion zu ermöglichen. Wie sehen Sie diese Erwartung?

Morerod: Das Prinzip ist immer dasselbe. Für die katholische Kirche bedeutet Kommunion, dass man so fest wie möglich bekräftigt, dass man katholisch ist. Deshalb können wir von anderen Christen nicht «verlangen», ihre Katholizität auf diese Weise zu manifestieren. Wir müssen auch berücksichten, was im den Kodex des kanonischen Rechts steht, den Johannes Paul II. entwickelt hat. Nämlich: Ist es jemandem – auch moralisch – unmöglich, an der Liturgie seiner eigenen Kirche teilzunehmen, kann er zugelassen werden, wenn er an die wirkliche Gegenwart Christi in der Eucharistie glaubt.

«Ich kenne katholische oder protestantische Menschen, die an der Liturgie der anderen Kirche teilnehmen.»

Diese schwierige Situation ist nicht überall gleich. Wir müssen sowohl das, was wir glauben, als auch die Person, der wir begegnen, berücksichtigen. Es gibt Raum für einen Ansatz, der besondere Umstände berücksichtigt. Ich kenne gar nicht so seltene Fälle von katholischen oder protestantischen Menschen, die sehr regelmässig, wenn nicht ausschliesslich an der Liturgie und am Leben der anderen Kirche teilnehmen.

Viele halten es für sinnlos, über solche Dinge zu streiten.

Morerod: Wenn wir genauer hinsehen und daran glauben, liegen uns diese Dinge am Herzen. Ein Wort, das zwischen sich liebenden Menschen gesprochen wird über ein Thema, das ihnen am Herzen liegt, hat eine andere Wirkung, als wenn es aus Distanz gesagt würde. Wenn die Eucharistie etwas Wichtiges und Existentielles wird, erkennen wir die Bedeutung der Frage. Jenen, die sie aus der Ferne betrachten, erscheint sie hingegen belanglos. (cath.ch/Übersetzung: rp)


Bischof Charles Morerod und Olav Fykse Tveit | © Bernard Hallet
18. Juni 2018 | 16:20
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