Szene aus "De Casanova im Chloster"
Schweiz

Lebemann Casanova verunsichert das sündige Klosterdorf

Einsiedeln SZ, 20.10.17 (kath.ch) In Einsiedeln wird das Theaterstück «De Casanova im Chloster» aufgeführt. Die Komödie des Schriftstellers Thomas Hürlimann basiert auf einer ebenso überraschenden wie wahren Begebenheit. Am Dienstag war Generalprobe, am Donnerstag Premiere.

Remo Wiegand

Einsiedeln ist nicht nur ein Pilgerort für Verehrer der Schwarzen Madonna oder Liebhaberinnen benediktinischer Klostertradition. Auch Theaterfreunde kommen hier regelmässig auf ihre Kosten. Neben dem bekannten Einsiedler Welttheater, das in unregelmässigen Abständen auf dem Klostervorplatz aufgeführt wird, setzt auch die Laien-Theatergruppe «Chärnehuus» immer wieder überraschende schauspielerische Akzente.

Körper und Geist

Die Ambitionen sind hoch bei der 1978 gegründeten Theatertruppe: Heuer konnte bereits zum dritten Mal der erfolgreiche Zuger Autor Thomas Hürlimann («Fräulein Stark») als Verfasser einer aufwändigen Eigenproduktion verpflichtet werden, auch andere zeitgenössische Autorinnen wie Gisela Widmer oder Lukas Bärfuss schrieben bereits Stücke für den Theaterverein «Chärnehus». Dem ehemaligen Klosterschüler Thomas Hürlimann bietet Einsiedeln eine ideale Kulisse, um eines seiner künstlerischen Hauptthemen zu entfalten: Die Spannung zwischen einer beheimatenden religiösen Tradition und der chaotischen Welt von Begehren und Vergänglichkeit. Anders gesagt: der «Riss» zwischen Körper und Geist.

Die Handlung spielt in Einsiedeln, einem nur notdürftig verkleideten Sündenpfuhl.

Fündig geworden für sein Thema ist Hürlimann in den Memoiren des Abenteurers und Schriftstellers Giacomo Girolamo Casanova. Anno 1760 führt diesen eine Reise in die Schweiz, nach Zürich und Einsiedeln. Casanova ist auf der Flucht. Riskante Geschäfte oder Liebschaften bringen ihm Feindschaften ein. In Einsiedeln, als exklusiver Gast des Klosterabtes, will er seinem Leben plötzlich eine 180 Grad-Wendung geben und Mönch werden. Der Abt bedingt sich eine 14-tägige Bedenkzeit aus und schickt Casanova nach Zürich. Dort aber ist der Venezianer wieder ganz der Alte: Als er in seinem Hotel eine hübsche Dame erblickt, lässt er seinen ganzen Charme und seine Gerissenheit spielen, um sie zu erobern. Weit kommt Casanova dabei zwar für einmal nicht, doch der «barmherzige Engel» in Gestalt der Dame ist ihm Mahnung genug, ihn «von der teuflischen Versuchung zu bewahren, in ein Mönchkloster einzutreten». Als der Abt ihm seine Zusage überbringen will, lehnt der legendäre Lebemann dankend ab und fährt dem schönen Mädchen hinterher.

Madonna strickt Schal

In Hürlimanns Version spielt die ganze Handlung in Einsiedeln, einem nur notdürftig verkleideten Sündenpfuhl. Die Komödie, von Barbara Schlumpf inszeniert, gleitet stellenweise ins Groteske und Tragische ab. Die schwarze Madonna bekommt in «De Casanova im Chloster» ihren Auftritt, antwortet auf innigste Bitten monoton «Jaja» und strickt einen Schal. Die Mönche erscheinen als simple Naturen, die geifernd aufgefundene Liebesbriefe von Casanova verzehren. Die erlauchten Damen lassen sich nach anfänglichem Widerstand eine um die andere von Casanova verführen. Dauergast bei Hürlimann ist auch der Tod: Gleich zu Beginn des Stücks stirbt mit Bruder Ezechiel der Organist des Klosters, ein Bruder «Sargtoni» versorgt ihn im Sarg. Ezechiel aber schlafwandelt weiter verwirrt durch das Stück, das gegen Ende seiner eigenen geistigen Umnachtung immer näher rückt.

Dieser Erlöser kennt nur das Jetzt.

Die Komödie «mit herbstlichem Unterton» (Hürlimann) landet nach dionysischen Rauschmomenten in einer Art trauriger Traumwelt. Freude verbreitet sie in den liebevoll-ironischen Zwischentönen: Da ist der Sprachwitz Hürlimanns, der sich via Casanova über kratzbürstige Schweizer Wörter und Namen lustig macht («Raten», «Bibberenbrugg», «‹Nussbaumer›! Es tut uns weh in den Ohren…»). Auch die Schweizer Liebhaber bekommen ihr Fett weg: Als Casanovas einheimischer Diener dessen verschmähte Herzendsame «erben» soll, bekommt er vor dem ersten Kuss kalte Füsse, bevor sie später – vor einem Fernseher – der langweiligen bürgerlichen Existenz frönen.

Casanova als Erlöser

Eigentlicher Höhepunkt des Theaterabends ist aber Casanova selbst. Seine Rolle und dessen Interpretation durch den pensionierten Arzt Zeno Schneider überzeugen vollends: Er spricht mit wunderbarem französischen Akzent, spielt mit der Mimik, auch wenn er nicht spricht, verführt und berührt auf glaubwürdige Art. Casanova ist ganz bei sich, sei es, wenn er die Liebe feiert, sich langweilt oder ärgert. Casanova vermag mit seiner unheimlichen Präsenz nicht nur die Bühne, sondern auch den Zuschauerraum zu verzaubern. Er übernimmt in Einsiedeln beinahe die Rolle eines Erlösers: Ist er da, leuchtet die Welt. Ist er dann allerdings fort, ist alles Nichts. Dieser Erlöser kennt nur das Jetzt, keine Auferstehung in ein neues Morgen.

Das Theaterstück «De Casanova im Kloster» läuft in Einsiedeln bis am 2. Dezember insgesamt 22 Mal. Reservationen: www.chaernehus.ch

 

Szene aus «De Casanova im Chloster» | © Pressebild/Urs Fink
20. Oktober 2017 | 11:56
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