Papst Franziskus geht allein über den Petersplatz vor seinem Gebet um das Ende der Corona-Pandemie.
Schweiz

«Das war die ganz grosse Oper»

«Urbi et Orbi» – die Bilder von Papst Franziskus auf dem Petersplatz gingen um die Welt. Ein Gespräch mit dem Medien- und Theatermann Mariano Tschuor* über die Macht von Bildern – und ihre Inszenierung.

Raphael Rauch

Übertreibt das ZDF, wenn es behauptet, die Papst-Bilder von Freitagabend könnten zu einer Ikone der Corona-Krise werden?

Mariano Tschuor: Ganz und gar nicht: Ich kann das zu 100 Prozent bestätigen. Das war die ganz grosse Oper.

Oper?

Mariano Tschuor
Mariano Tschuor

Tschuor: Das war eine perfekte Inszenierung. Der Vatikan hat alle Register gezogen, um eine liturgische Form zu finden, die wir bislang so nicht kannten. Eine Liturgie lebt ja von der richtigen Inszenierung. Liturgie ist im besten Sinne Theater, eine Dramaturgie mit einem klaren Ablauf, mit Höhepunkt und Kadenz. Der Vatikan hat die Kunst der Liturgie in seiner DNA.

Hat Sie die Inszenierung überzeugt?

Tschuor: Ich war ergriffen. Wenn wir das Sakrale ganz profan anschauen, hat es dramaturgisch gestimmt. Die Uhrzeit war perfekt, am Übergang vom Tag in den Abend. Die Requisiten, das Personal. Der Papst geht allein über den menschenleeren Petersplatz.

«Ich war ergriffen.»

Wir sehen die Fassade des Petersdoms. Solche Bilder haben eine grosse Wirkung: Sie zeigen die Einsamkeit des Menschen inmitten der römischen Architektur, einer grossartigen Schöpfung.

Eine Inszenierung lebt von starken Sätzen.

Tschuor: Hast du uns verlassen, Gott? Dieser Schrei: Wo bist du? Franziskus schafft es, das für uns zu deuten: Dass es eigentlich wir sind, die in unserer Übertreibung, im Übermass, in unserer Schamlosigkeit alles ausnutzen.

Ich denke an menschliche Beziehungen, an Schöpfung, an Raffgier. Immer wieder kam dieser Schrei nach Gott: Wo bist du? Verlass uns nicht! In dieser Eindringlichkeit habe ich das noch nie von einem Papst gehört.

«In der Stille liegt sehr viel Kraft.»

Eine Inszenierung braucht Handlung, Rhythmus.

Tschuor: Oder Mut zur Stille. Mich hat die minutenlange Anbetung des Allerheiligsten beeindruckt und wie diese Stille ausgehalten wurde. Stille, einfach Stille. Von der Symbolik her ist das etwas vom Stärksten in einer sonst sehr lauten Welt.

In der Stille liegt sehr viel Kraft. In der Stille kann Gottvertrauen wachsen, aber auch Verbundenheit mit den Mitmenschen.

Es gibt keine neutrale Inszenierung. Welche Akzente sind Ihnen aufgefallen?

Tschuor: Benedikt XVI. hätte ein barockes Schauspiel aufgeführt. Ihm war keine Stoffspitze zu viel, kein Gold zu wenig, keine Mitra hoch genug. Franziskus steht für Reduktion auf das Wesentliche: Die Anbetung des Allerheiligsten in der Monstranz.

«In dieser Schlichtheit liegt eine grosse Kraft.»

Inszenierungen leben auch von Nebenfiguren…

Tschuor: Früher wäre der Zeremonienmeister in der violetten Soutane eines Monsignore gekommen, mit einem Chorhemd mit Spitzen vorne und hinten. Nun war er in der schlichten Soutane eines Priesters zu sehen. So verschwand er.

Es gab eigentlich keine Nebenfiguren. Papst Franziskus kam alleine, ohne Diakone und Ministranten. In dieser optischen Schlichtheit liegt eine grosse Kraft.

Welche Wirkmacht hat so eine Inszenierung?

Tschuor: Es klingt altmodisch, wenn ich das sage, aber sie spendet Trost in einer trostlosen Zeit. Das spricht die Sinne an. Nichts ist sinnhafter als eine Liturgie. Bei der werden sogar hartgesottene Atheisten weich (lacht).

«Menschen sehnen sich nach Zuversicht.»

Atheisten erreicht die Kirche höchstens punktuell.

Tschuor: Die Menschen sehnen sich nach Worten der Zuversicht. Die Kirche hat etwas zu sagen, wenn sie nicht in einen Jargon der billigen Betroffenheit fällt. Oder wenn sie den Zeigefinger erhebt. Sie muss die Leute ernst nehmen und ihre Sorgen umwandeln in eine Kommunikation der Hoffnung.

Dann hat die Kirche viel zu sagen: Die Frohe Botschaft Christi baut darauf auf, die Schwachen und Verdrängten zu trösten und mitzunehmen. Diesen Auftrag zu sehen und umzusetzen ist eine riesige Chance für die Kirche.

Wenn sie es nicht verbockt…

Tschuor: Naja, es gibt immer welche, die solche Situationen schamlos ausnutzen, indem sie fundamentalistischer werden als sie sonst sind. Andere stiften Verwirrung mit Desinformation. Aber die meisten in der Kirche machen es richtig gut. Papst Franziskus ist das beste Beispiel dafür.

* Mariano Tschuor war Theaterregisseur, Kadermann bei der SRG und ist Präsident der Medienkommission der Schweizer Bischofskonferenz.


Papst Franziskus geht allein über den Petersplatz vor seinem Gebet um das Ende der Corona-Pandemie. | © KNA
29. März 2020 | 14:29
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