Christian Rutishauser
Schweiz

Christian Rutishauser über alte, vergessene und neue Influencer

Zürich, 17.3.18 (kath.ch) Im Theater Rigiblick in Zürich wird das Stück «Geschichte einer Heiligen» von Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez gespielt. Christian Rutishauser, Provinzial der Schweizer Jesuiten, sah sich das Stück an und stellt kritische Fragen zum Heilig-Sein und zu aktuellen Heiligsprechungen.

Vera Rüttimann

Worum geht es in diesem Theaterstück und was berührt Sie besonders an dieser Geschichte?

Christian Rutishauser: Es ist die Geschichte eines Vaters, der im Rom in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts versucht, seine früh verstorbene Tochter heiligsprechen zu lassen. Zu diesem Zweck irrt der arme Kolumbianer mit dem Sarg der nicht verwesenden Leiche umher, um die richtige Instanz zu finden, die ihm den Zugang zum Papst ermöglicht. Immer wieder kreist er um den Vatikan. Aber der Papst und seine Kirche sind die ganze Zeit mit sich selbst beschäftigt. Berührt hat mich: Man sieht dem armen Mann zu, wie sein Glaube im Vatikan nicht ernst genommen wird. Doch er hält an seinem Glauben fest.

Welche Botschaften sendet für Sie dieses Theaterstück aus?

Rutishauser: Dieser arme Kolumbianer kreist 22 Jahre vergeblich in einer kafkaesken Situation um den Vatikan. Das bemerkenswerte Aktuelle am Stück ist Folgendes: Der eigentliche Heilige ist nicht mehr das nicht verwesende Mädchen, sondern der Vater, der mit unglaublicher Geduld und Glaube versucht, sich nicht von seinem Ziel abbringen zu lassen.

Wenn wir als Kirche nicht Vorbilder schaffen, dann suchen die Menschen anderswo.

Das Stück stellt an uns Fragen wie: Wer und was ist heilig? Ist es der Wunderbeweis, den es braucht für die Heiligsprechung? Und: Sind die wahren Heiligen nicht ganz unscheinbar im Alltag und woanders zu finden?

Brauchen wir denn noch Vorbilder in Zeiten von Youtube und Instagram, wo sich jeder selbst zum «Influencer» hochstilisieren kann?

Rutishauser: Die 68er skandierten: Wir brauchen keine Vorbilder mehr! Aber das geht nicht. Der Mensch braucht Vorbilder. Wenn wir als Kirche nicht Vorbilder schaffen, dann suchen die Menschen anderswo. Aus diesem Grund finde ich die Heiligsprechungen der katholischen Kirche schon etwas sehr Sinnvolles.

Was unterscheidet Heilige der Populär-Kultur von echten Heiligen?

Rutishauser: Ob man jetzt einem Elvis Presley oder Roger Federer nachrennt: Der ganze Rummel um sie herum ähnelt sich sicher sehr. Entscheidend ist jedoch, wer und was man ins Zentrum stellt. Ob es jemand ist, der sich für Menschenrechte einsetzt oder einen Boxer wie Floyd Mayweather, der damit prahlt, seine Dollarbündel anzuzünden. Ja, die katholische Kirche soll durchaus ihre eigenen «Stars» hervorbringen.

Ich finde es nicht sinnvoll, Päpste heiligzusprechen.

Welcher dieser «Stars» müsste für Sie denn heilig gesprochen werden?

Rutishauser: Zuerst das Eine: Heiligsprechungen ja, aber etwas weniger als heute. Zum andern finde ich es nicht sinnvoll, Päpste heiligzusprechen. Da geht es ja vor allem nur um Zementierung von Lehrschreiben und um den Kampf verschiedener Kirchenbilder. Päpste werden schon zu Lebzeiten «Heiliger Vater» genannt. Ich denke an andere Personen. Wie wäre es beispielsweise mit einem Pedro Arrupe, der während und nach dem II. Vatikanischen Konzil den Jesuitenorden charismatisch geleitet hat, dann Oscar Romero. Das sind Leute, die gegen Widerstände dem Evangelium treu geblieben sind und etwas erreicht haben, was sowohl öffentlich-kirchlich als auch persönlich-spirituell von Bedeutung ist.

Dann ist da noch Frère Roger von Taizé. Sollte die katholische Kirche nicht jemanden wie ihn heilig sprechen, der nicht katholisch, sondern reformiert war? Das wäre jedenfalls ein starkes ökumenisches Zeichen.

Zum Podium im Rigiblick-Theater über dieses Stück erschienen auch etliche junge Leute. Dennoch die Frage: Faszinieren Heilige heute junge Menschen überhaupt noch?

Rutishauser: Für eine aufgeklärte junge Generation sind sie kein Thema. Eine Heilig-Sprechung hat für sie nur dann eine Relevanz, wenn eine Person wirklich etwas aus ihrem Leben verkörpert und die Herzen berührt.

Bruder Klaus ist für mich ein heiliges «Urgestein».

Man muss jedoch festhalten: Heiligsprechungen sind eine langzeitliche Angelegenheit. Jemand kann einen Hype erleben in einer Zeit, aber ist hundert Jahre später beinahe vergessen. Aber es geht auch umgekehrt, wie der Fall von Bruder Klaus zeigt. Auch junge Leute sind heute von ihm fasziniert. Ignatius von Loyola etwa war in der Kirche nicht sonderlich populär, dafür aber Franz Xaver, weil er als Missionar in die Welt hinausging. In einer post-missionarischen Gesellschaft wie heute aber ist Franz Xaver nicht mehr populär, hingegen Ignatius mit seinem spirituellen inneren Weg.

Gerade Theater hat zudem ähnlich wie die katholische Liturgie viel mit Inszenierung zu tun.

Welche Heiligen bedeuten Ihnen ganz persönlich etwas Besonderes’?

Rutishauser: Ganz klar Bruder Klaus. Er lebt einen radikalen inneren Weg und hat eine radikal gesellschaftspolitische Wirkung. Und dies nicht in der Art und Weise, in dem er sagte: Ich ziehe mich zurück und werde später politisch tätig, so wie es die meisten heute tun würden. Gerade durch sein Sich-Zurückziehen in die Stille wird er politisch relevant. Das ist für mich ein Zeichen der echten Heiligkeit. Er ist für mich ein heiliges «Urgestein», was sich im Jubiläumsjahr 2017 ja wieder gezeigt hat.

Ich bin dankbar, dass es den Heiligen-Kalender gibt. Er hilft mir, immer wieder neue Heilige zu entdecken. Wenn ein Benedikt oder eine Klara nicht im Kalender stehen würden, wären sie heute wohl vergessen.

Noch mal zurück zu Gabriel García Márquez Stück «Geschichte einer Heiligen». Warum muss man dieses Stück im Theater Rigiblick unbedingt sehen?

Rutishauser: Erst möchte ich festhalten: Religiöse Themen wie das Thema Heilige werden heute oft auch ausserhalb der Kirche thematisiert. Das Theater und der Film sind zwei klassische Orte dafür. Gerade Theater hat zudem ähnlich wie die katholische Liturgie viel mit Inszenierung zu tun.

An einem Theater wird für mich ein Stoff ganzheitlicher erfahrbar als beispielsweise bei einem Vortrag. Darum finde ich es so bemerkenswert, dass die Paulus-Akademie, die auch unlängst das Podium zum Stück «Die Geschichte einer Heiligen» im Rigiblick-Theater organisiert hat, an der ich teilnahm, mit diesem Theater zusammenarbeitet. Schauspieler Daniel Rohr hat für die Zuschauer zusammen mit Komponist Daniel Fueter, Regisseur Peter Schweiger und Filmautor Fredi M. Murer die Geschichte von Gabriel García Márquez zu einem musiktheatralischen Ereignis der Sonderklasse aufbereitet.

Christian Rutishauser | © Vera Rüttimann
17. März 2018 | 11:31
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