Theologe und Musiker: «Christen weltweit können uns musikalisch inspirieren»

Zürich, 24.5.16 (kath.ch) Popmusik hat hierzulande in Gottesdiensten oftmals einen schweren Stand. Wie wichtig dieser Musikstil für viele Menschen ist und warum er auch im Gottesdienst eingesetzt werden soll, erklärt der Musik- und Theologieprofessor Jochen Arnold* im Interview mit kath.ch.

Sylvia Stam

Warum soll man im Gottesdienst Popularmusik singen?

Jochen Arnold: Menschen haben unterschiedliche Hörgewohnheiten, die Popularmusik gehört für viele Menschen ganz wesentlich dazu. Rock und Pop sind – das wissen wir aus vielen Studien – der Mainstream des musikalischen Geschmacks. Ausserdem macht Popmusik einfach Spass! Sie weckt unmittelbar Gefühle, drückt Freude oder Trauer aus. Und Emotionen zu erzeugen, ist das Wichtigste, was Musik überhaupt kann!

Popmusik macht einfach Spass!

Kann Popmusik das besser als klassische Musik?

Arnold: Popmusik ist schneller zugänglich, weil sie in der Regel einfacher ist: Die Melodien, die Akkorde, die rhythmischen Strukturen, der so genannte «Groove», gehen schneller ins Ohr. In dieser Hinsicht wirkt sie möglicherweise unmittelbarer, sie macht aber nicht automatisch mehr Freude als klassische Musik. An und für sich ist sie auch nicht besser oder schlechter als andere Musik. Auf Qualität kommt es immer an!

Bringt man mit Popmusik mehr Leute in die Kirche?

Arnold: Im Prinzip ja. Es gibt Leute, die sagen, sie kämen nicht zum Gottesdienst, weil es so wenig neue Lieder aus den Bereichen Pop, Jazz oder Gospel gibt.  Wir wissen aus neusten Untersuchungen, dass Menschen unterhalb von 58 eine Vorliebe für zeitgenössische populäre Musik haben, also neue geistliche Lieder, Gospel, Worship, auch internationale Musik, so genannte World Music.

Das Durchschnittsalter der Kirchgänger in der Schweiz liegt aber vermutlich über 58.

Arnold: Das ist sicher so. Aber auch Menschen über 80 singen die neuen Lieder gerne mit, wie sie sagen. Sie freuen sich, wenn die Jungen mit ihren Liedern vorkommen und entsprechende Musik gesungen oder gespielt wird. Ausserdem ist Popmusik ja nichts Neues: In den 50-er Jahren gab es den Rock ‘n Roll und die heute 65-Jährigen sind mit den Beatles gross geworden.

Wie gehen Sie mit Widerständen gegenüber der englischen Sprache oder gegenüber fremden Rhythmen um?

Arnold: Das kann tatsächlich ein Problem sein. Hier ist eine gezielte Vermittlung wichtig, man muss beispielsweise synkopische Rhythmen (Betonung unbetonter Taktteile, Anm. d. Red.) so oft wie möglich vormachen. Bei der Sprache erlebe ich es selten, dass Gemeinden sich dem Englischen grundsätzlich verschliessen. Sicher kann man Übersetzungen abdrucken oder auch kurz erläutern. Wenn der Widerstand aber sehr stark ist, kann man sagen, dass es auf der Welt auch noch andere Christen gibt, die uns heute wieder musikalisch inspirieren können.

An welche Christen denken Sie konkret?

Arnold: Ich denke an Lateinamerika, von wo Latin-Musik nach Europa kommt. Aber auch an vieles, was aus Afrika zu uns kommt, zum Beispiel Afrikanische Gospel. So wie früher Europäische Missionare einen Choral in die Missionsgebiete gebracht haben, können wir heute einen Chorus aus Afrika oder Lateinamerika, aber auch aus Indien oder China kennen lernen. Wenn man diesen Zusammenhang deutlich machen kann, dann geschieht etwas bei den Gemeindemitgliedern. Sie werden neugierig und öffnen sich für andere.

Was braucht es sonst noch, damit Popularmusik im Gottesdienst auch wirklich populär wird?

Arnold: Es kommt ganz wesentlich auf die Animation an, sie muss schrittweise vorgehen: Idealerweise steht vorne ein Klavier und dazu eine kleine Gruppe, welche die Lieder vorsingt, und zwar in einzelnen Abschnitten: Vier Takte vorsingen, vier Takte nachsingen. So wird das Lied quasi «fliessend» gelernt, ohne dass daraus eine eigentliche Chorprobe wird.

Es kommt ganz wesentlich auf die Animation an

Es gibt auch Gemeinden, in denen vor dem Gottesdienst Lieder angesungen werden.  Das finde ich auch nicht verkehrt, so werden wir eingestimmt, gleichsam «hochgestimmt» in spirituelle Höhen. Man kann auch den Chor unter die Gemeindemitglieder mischen, dann gibt es im ganzen Kirchenschiff verteilt Menschen, die das Lied bereits gut mitsingen können. (sys)

*Jochen Arnold ist Honorarprofessor für Musik an der Universität Hildesheim und Privatdozent für systematische und praktische Theologie an der Universität Leipzig sowie Direktor des Michaelisklosters Hildesheim der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover. Arnold referierte in Zürich an einer Tagung der evangelisch-reformierten Fachkommission Popularmusik zum neuen Liederbuch «Rise Up Plus».

Von der «Herzensmacht» von Popsongs im Gottesdienst

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Jochen Arnold | © 2016 zVg
28. Mai 2016 | 08:15
Lesezeit: ca. 3 Min.
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