Hugo Fasel und Bettina Fredrich von Caritas Schweiz erläutern die Armutsfrage, 20. Oktober 2015
Schweiz

Caritas ist enttäuscht über «Rückzug» des Bundesrats

Bern/Luzern, 27.8.18 (kath.ch) Caritas Schweiz ist enttäuscht vom Verhalten des Bundesrats. Er verabschiede sich von der Armutspolitik, kritisiert das katholische Hilfswerk in einer Mitteilung. Es fordert eine gesamtschweizerische Strategie zur Bekämpfung der Armut. Der Bund müsse dabei den Lead übernehmen.

Regula Pfeifer

Die Kritik bringt Caritas im Vorfeld der Nationalen Armutskonferenz an die Öffentlichkeit. An der Konferenz vom 7. September in Bern werden hochrangige Player der Armutspolitik ihre Bilanz zum Nationalen Programm gegen Armut 2014-2018 ziehen. Allen voran Bundespräsident Alain Berset, der als Vorsteher des Departements des Inneren für die Thematik zuständig ist, sowie der Waadtländer Regierungsrat Pierre-Yves Maillard, der die Konferenz der Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren vertritt.

Hugo Fasel redet mit

Auf dem Podium wird aber auch Hugo Fasel, Direktor Caritas Schweiz, mitreden. Und dabei nicht alles gutheissen, was die politischen Entscheidungsträger planen, wie eine Mitteilung am Montag klarmacht. «Die Schweiz braucht eine wirksamere Armutspolitik» fordert das katholische Hilfswerk.

Erst auf Druck hin habe der Bund angefangen, sich in der Armutspolitik zu engagieren, schreibt Caritas Schweiz. Gemeint ist das «Nationale Programm zur Prävention und Bekämpfung von Armut», das der Bund seit 2014 gemeinsam mit Kantonen, Städten, Gemeinden und privaten Organisationen umgesetzt hat.

«Der Bundesrat verabschiedet sich aus der Armutspolitik und überantwortet diese vollständig den Kantonen.»

Nun wolle sich der Bundesrat aber wieder aus seiner Verantwortung zurückziehen, kritisiert das Hilfswerk. «Der Bundesrat verabschiedet sich aus der Armutspolitik und überantwortet diese vollständig den Kantonen», kritisiert Fasel laut Mitteilung.

Diese Einschätzung zieht Caritas Schweiz aus dem Bericht des Bundesrats zu den Ergebnissen des «Nationalen Programms zur Prävention und Bekämpfung von Armut», der im April publiziert wurde. Darin betont der Bundesrat, dass er weiterhin eine aktive Rolle in der Armutsbekämpfung einnehmen will, allerdings mit weniger Ressourcen als während der letzten vier Jahre. Gleichzeitig wolle er der föderalistischen Ordnung Rechnung tragen, sich also nicht in die Kompetenzen von Kantonen und Gemeinden einmischen.

Kritik am Verzicht aufs Monitoring

Was der Caritas Schweiz besonders ins Auge geht, ist der Verzicht des Bundesrats auf ein Armutsmonitoring. Das sei «unbegreiflich», so die Mitteilung. Die Caritas Schweiz war in der Steuergruppe des erwähnten Programms vertreten. «Wir sind enttäuscht, dass es nicht so weitergehen soll, wie das Programm es vorsah», sagt Bettina Fredrich von der Fachstelle Sozialpolitik der Caritas Schweiz, die ebenfalls an der Armutskonferenz auftritt. «Der Bundesrat verpasst die Chance, einen entscheidenden Schritt in der Armutsprävention und -bekämpfung» zu machen», kritisiert sie. Das sei «bedauerlich».

Auch der Schlussbericht zum Nationalen Programm streicht die Notwendigkeit eines fortlaufenden Armutsmonitorings hervor. Damit könnte die Armutssituation in der Schweiz zeitnah analysiert und Entwicklungen, Risikofaktoren und Handlungsbedarf identifiziert werden. Gerade «angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen und des fortschreitenden, schnellen Strukturwandels der Wirtschaft» dränge sich ein solches Monitoring auf, so der Bericht. Der Bundesrat begründet seinen Verzicht mit dem Argument, das Bundesamt für Statistik führe bereits Erhebungen durch und erarbeite Publikationen zu entsprechenden Themen.

Ziel, die Armut halbieren

Einmal mehr fordert Caritas Schweiz auch bei dieser Gelegenheit vom Bund, er solle sich gemeinsam mit den Kantonen, Gemeinden und der Wirtschaft das verbindliche Ziel setzen, die Armut in der Schweiz um die Hälfte zu reduzieren. Dafür habe sich die Schweiz mit der Unterzeichnung der Uno-Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung verpflichtet.

Sodann müssten Bund, Kantone und Gemeinden dem Auftrag der Bundesverfassung (Artikel 12) nachkommen und allen Menschen in Not Unterstützung und ein Leben in Würde garantieren. Das soziale Existenzminimum müsse mit einem eidgenössischen Rahmengesetz durchgesetzt werden.

Das Hilfswerk verlangt weiter, dass schweizweit Familienergänzungsleistungen eingeführt werden sollten, um Familienarmut zu mindern. Einige Kantone hätten da gute Erfahrungen gemacht. Mittels Familienzulagengesetz könnten zudem Kinderzulagen gezielt erhöht werden.

Zudem müssten Nachholbildung und Weiterbildung gefördert werden. Denn ungenügende berufliche und marktadäquate Ausbildung ist laut Caritas Schweiz – und auch gemäss dem Bericht zum Nationalen Programm – die Hauptursache von Erwerbslosigkeit. «Investitionen in die obligatorische Weiterbildung sind zentraler Teil einer präventiven Armutspolitik», heisst es in der Mitteilung.

Ausserdem müssten Angebote für familienexterne und schulergänzende Kinderbetreuung für armutsbetroffene Familien kostenlos werden. Das sei wichtig, damit beide Elternteile arbeiten können.

Neue Armutspolitik gefragt

Die Caritas verlangt vom Bundesrat einen Perspektivenwechsel. Statt weiterhin die Armut als Sache der Sozialhilfe zu behandeln und sie bei Kantonen und Gemeinden zu belassen, müsse er eine neue Armutspolitik betreiben. «Armutspolitik muss Armut verhindern, sie muss gezielt investieren in Bildung, Kinder- und Familienpolitik oder in den Wohnungsmarkt», schreibt Caritas. Dafür will sie sich an der Nationalen Armutskonferenz vom 7. September stark machen. Und falls das Hilfswerk mit dem Anliegen nicht durchkommt?, ist die Frage an Fredrich. «Wir werden dranbleiben und weiterarbeiten, wenn auch in kleineren Schritten.»

Hugo Fasel und Bettina Fredrich von Caritas Schweiz erläutern die Armutsfrage, 20. Oktober 2015 | © Regula Pfeifer
27. August 2018 | 17:01
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