Alexandre François Marie Joly, Bischof von Troyes (Frankreich) in Prag
International

Bischof von Troyes: «Ich weiss nicht, warum der Erzbischof von Paris zurückgetreten ist»

Seit gut einem Jahr ist Alexandre Joly Bischof von Troyes, das zwei Stunden östlich von Paris liegt. Er hätte sich bei der Europa-Synode in Prag eine stärkere Rolle von Frauen gewünscht. In seinem Bistum widerspricht er Stimmen, die behaupten, man könne nicht queer und katholisch sein.

Annalena Müller

In den sozialen Medien kursiert ein Foto. Es zeigt die Leitung der Europa-Synode – alles Priester. Verstehen Sie, dass sich Laiinnen und Laien an diesem Foto stören?

Alexandre Joly*: Wer in Prag dabei ist, weiss, wie dieses Foto entstanden ist. Es war die Eröffnungsveranstaltung, bei der die verschiedenen Repräsentanten Grussworte sprachen. Es hat also schon alles eine Logik.

Aber es stimmt natürlich, dass das Bild schockierend wirken kann, weil es keine Vielfalt darstellt. Die Frauen fehlen, die ja durchaus bei der Eröffnung hätten sprechen können. Das hätte man wirklich anders organisieren können. Wenn wir hier in Prag über mehr Beteiligungsmöglichkeiten von Frauen in der Kirche diskutieren, dann müssen wir auch darauf achten, wie wir nach aussen wirken.

Teilnehmende unterhalten sich im Sitzungssaal in Prag, ganz links Tatjana Disteli aus der Schweiz.
Teilnehmende unterhalten sich im Sitzungssaal in Prag, ganz links Tatjana Disteli aus der Schweiz.

Die Synodalen in Prag, aber auch die Online-Delegierten sprechen von Spannungen in den internationalen Arbeitsgruppen. Was können Sie uns dazu sagen?

Joly: Die Synode ist ein Prozess. Es geht darum, sich gemeinsam auf diesen Prozess einzulassen. Es geht ums Zuhören und um den Dialog. Im Laufe dieses Prozesses kommen auch die Unebenheiten zum Vorschein und die Punkte, die nicht von allen gleich wahrgenommen werden. Spannungen sind da unvermeidlich.

Warum ist das unvermeidlich?

Joly: Die Kirche ist keine einheitliche Grösse. Die Menschen kommen mit unterschiedlichen Erfahrungen, unterschiedlichen Ansichten und unterschiedliche Hoffnungen hierher. Es kommt zwangsläufig zu Spannungen, wenn diese unterschiedlichen Sichtweisen zum Vorschein kommen. Aber für den erfolgreichen synodalen Prozess ist es unerlässlich, dass sie zum Vorschein kommen und dass man sie löst, um sich mit der erlangten Erkenntnis weiterentwickeln zu können.

Basilika St. Marie-Madeleine in Vézelay, Frankreich.
Basilika St. Marie-Madeleine in Vézelay, Frankreich.

Wie gehen Sie mit diesen Spannungen um?

Joly: In Frankreich sind Spannungen nichts Neues. Egal ob auf Pfarrei- oder Diözesanebene: Wann immer Sie eine Besprechung haben, gibt es Meinungsverschiedenheiten. Manchmal machen wir es uns auch zu leicht. Wir nehmen unterschiedliche Auffassungen einfach als gegeben hin und bleiben unter Gleichgesinnten. Das ist bequemer, weil man nicht mit anderen Gedanken konfrontiert wird und sich auch nicht zu ihnen verhalten muss. Aber Christus lädt alle ein, zusammen in ihm vereint zu sein. Er ist das Haupt des Leibes und wir sind seine Glieder. Daher müssen wir hier am besseren Verständnis der Glieder arbeiten.

Welche Themen sind am meisten umstritten?

Joly: Ein zentrales Thema ist die Beziehung der Kirche zur Welt und wie wir die Welt sehen. Betrachten wir die Welt als düsteren, negativen Ort, von dem es sich abzuschotten gilt? Oder sehen wir uns als Teil dieser Welt? Akzeptieren wir, dass uns die Welt auch etwas geben kann? Gott spricht zu uns auch durch die Zeichen der Zeit. Es liegt also durchaus an uns, die Zeichen zu entschlüsseln.

Gemeindeleiterin Dorothee Becker leitet die Kommunionfeier.
Gemeindeleiterin Dorothee Becker leitet die Kommunionfeier.

Der Platz der Kirche in der Gesellschaft ist seit der Französischen Revolution umstritten. Welche Themen sind aktueller Art, was sind für Sie heissen Eisen?

Joly: Es stellt sich die Frage der klerikalen Autorität. Die Frage der Frau ist ebenfalls zentral. Was ist ihre Rolle, welche Beteiligungsmöglichkeiten gibt es für Frauen – gerade auch in Bezug auf Leitungsmöglichkeiten? Ein sehr umstrittenes Thema ist schliesslich die Frage nach Inklusion. Hier gibt es in der Tat ziemlich grosse Unterschiede. Wie nehme ich mein Gegenüber an? Nehme ich ihn oder sie bedingungslos an? Oder nehme ich nur an, wenn mein Gegenüber meinen Moralvorstellungen entspricht?

Was ist Ihre Antwort darauf?

Joly: Ich bin davon überzeugt, dass Christus, wann immer er jemandem begegnet ist, ihm auch immer einen Weg eröffnet hat. Wir wollen sehr oft Lösungen für andere finden. Die grösste Weisheit aber bestünde darin, sich Zeit zu nehmen, den anderen anzunehmen, zu begleiten und dann gemeinsam einen Weg zu finden, der für die jeweilige Person der richtige ist. Ich denke, wir müssen diesen Weg wieder neu lernen und uns Zeit nehmen, um den anderen zu begleiten.

Kardinal Ouellet (links) und Bischof Bätzing an der Synode in Prag, 2023
Kardinal Ouellet (links) und Bischof Bätzing an der Synode in Prag, 2023

Die Predigt von Kardinal Ouellet hat am Dienstagmorgen die LGBTQ-Gemeinschaft betroffen gemacht. Viele fühlten sich direkt angegriffen. Was sagen Sie dazu?

Joly: Ich denke, dass die Predigt missverstanden wurde. Kardinal Ouellet hat in seiner Predigt die christliche Anthropologie aufgegriffen, wie sie im Buch Genesis zu finden ist und wie sie sich im Laufe der Geschichte entwickelt hat. Aber seine Frage war nicht, wie man auf Menschen blickt, die LGBTQ sind. Und schon gar nicht wollte er darauf eine Antwort geben. Seine Frage war: Welchen Weg wollen wir heute für die Kirche finden – und wie können Familien das umsetzen?

Ein homosexuelles Paar wird im Gottesdienst gesegnet.
Ein homosexuelles Paar wird im Gottesdienst gesegnet.

Das Thema LGBTQ wird aktuell viel diskutiert – auch hier in Prag. Papst Franziskus zeigt sich auf der einen Seite sehr offen gegenüber LGBTQ. Auf der anderen Seite will er das Lehramt nicht ändern. Ist das inkonsequent?

Joly: Bei diesem Thema besteht die Gefahr, das eine gegen das andere auszuspielen. Lassen Sie mich ein Bespiel aus meiner Diözese geben. Letzten Samstag habe ich mit Jugendlichen diskutiert, wie wir uns bezüglich LGBTQ in Bezug auf das Evangelium positionieren. Ich versuchte, den Weg zu ebnen, indem ich sage: «Gott begleitet uns alle und Gott öffnet uns einen Weg.» Dann hat ein junger Mann das Wort ergriffen und gesagt: «Nein, es unmöglich, LGBTQ und Christ zu sein.»

«Ich habe den jungen Mann gefragt, ob er sich bewusst ist, dass seine Worte verletzend sein können.»

Später habe ich ein wenig mit ihm unter vier Augen diskutiert. Ich habe ihn gefragt, ob er wisse, dass in der Gruppe junge Leute waren, die von dieser Situation betroffen sind. Zum Beispiel eine Person, die laut Geburt ein Junge war, die sich allerdings mit einem weiblichen Vornamen ansprechen lässt. Ich habe den jungen Mann gefragt, ob er sich bewusst ist, dass seine Worte sehr verletzend sein können, da sie als eine abrupte Verurteilung verstanden werden.

Gehen Sie einen ähnlichen Weg wie Papst Franziskus? Ja zu pastoralen Lösungen – aber nein, wenn es um das Lehramt geht?

Joly: Wir denken uns die Kirchendoktrin nicht einfach aus. Sie ist uns gegeben. Aber im Laufe der Geschichte lernen wir, sie besser zu verstehen, sie besser auszudrücken. Es gibt also diesen Weg der Anpassung, der aber langsam ist. Und dann gibt es die Zugewandtheit von Papst Franziskus. Und das Wohlwollen, das da ist, seine wirklich feinfühlige Haltung.

Michel Aupetit, 2019 in Paris
Michel Aupetit, 2019 in Paris

2021 trat der Pariser Erzbischof Michel Aupetit zurück. Die Umstände wurden nie öffentlich geklärt. Es ist von einer «doppeldeutigen Beziehung» zu einer erwachsenen Frau die Rede. Die Menschen glauben den offiziellen Ausreden nicht mehr. Verraten Sie uns, warum Aupetit zurücktreten musste?

Joly: Auch ich weiss nicht, was um Monseigneur Aupetit herum passiert ist. Ich kenne die Geschichten, die in der Presse auftauchen. Aber ich weiss nicht, wer die Frau ist und wie die Art der Beziehung war. Ich habe eine Regel in meinem Leben, an die ich mich versuche zu halten: Solange es keine offizielle Untersuchung geklärt hat, wie die Dinge gelaufen sind, halte ich mich mit Vermutungen zurück.

Jean Vanier, Gründer der "Arche", im Jahr 2015.
Jean Vanier, Gründer der "Arche", im Jahr 2015.

«Die Brüder Philippe und Jean Vanier haben die Theologie pervertiert, um sich Menschen gefügig zu machen.»

Auch sonst gibt es viele Skandale in der französischen Kirche, etwa der jahrzehntelange Missbrauch der Brüder Philippe und Jean Vaniers. Marie-Dominique Philippe lehrte in der Schweiz an der Uni Freiburg Metaphysik.

Joly: Die Brüder Philippe und Jean Vanier haben die Theologie pervertiert, um sich Menschen gefügig zu machen. Es ist ein Skandal, wie Kirche und Behörden diese Personen geschützt haben.

Mit Blick auf die Frauenfrage ist die Geschichte des französischen Klosters Fontevraud spannend. Die Äbtissin Fontevrauds war bis ins späte 18. Jahrhundert sehr mächtig. Sie hat Priester und Beichtväter ernannt. Und sie war damit in Europa keine Ausnahme. Es gab sogar Äbtissinnen wie jene von Las Huelgas in Burgos, die Synoden abhalten und Ehedispense erteilen konnte. Könnte das auch in Zukunft so aussehen: dass geistliche Frauen wieder Leitungsfunktionen in der Kirche übernehmen können?

Joly: Ich bin Bischof von Troyes. Wenn früher ein neuer Bischof nach Troyes kam, um seine Diözese in Besitz zu nehmen, ging er zuerst zum Frauenkloster gegenüber der Kathedrale. Die erste Nacht in seiner Stadt verbrachte der Bischof in diesem Frauenkloster. Es war eine Geste des Respekts. Auch überliess er dem Kloster sein Pferd. Das war eine Geste der Demut, da er dann den Weg vom Kloster zur Kathedrale zu Fuss zurücklegte. Nun wollen wir aber nicht in die Vergangenheit zurück. In der Geschichte findet man einige Praktiken, die heute geradezu kühn wirken.

Drei Bourbon-Äbtissinnen von Fontevraud teilen sich einen Äbtissinnenstock. Zeichnung aus dem 16. Jahrhundert.
Drei Bourbon-Äbtissinnen von Fontevraud teilen sich einen Äbtissinnenstock. Zeichnung aus dem 16. Jahrhundert.

Wo sehen Sie die Frauen in Zukunft?

Joly: Frauen werden in Zukunft sicher mehr Einfluss haben als zuletzt. So wie ich es verstehe, werden bei der Bischofssynode auch Frauen anwesend sein und sie sollen auch Stimmrecht haben. Danach wird es weitergehen – wir müssen uns fragen, wohin wir wollen, was wir ändern wollen. Zweifellos müssen in naher Zukunft Schritte unternommen werden. Ich denke, dass es wichtig ist, mutig zu sein.

* Alexandre Joly (51) ist Bischof von Troyes. Das Amt hat er im Januar 2022 angetreten. Zuvor war er Weihbischof von Rennes. Joly ist Teil der französischen Delegation beim synodalen Prozess in Prag.


Alexandre François Marie Joly, Bischof von Troyes (Frankreich) in Prag | © Björn Steinz/KNA
9. Februar 2023 | 17:35
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