Bischof Felix Gmür referiert am Forum Gesundheitswirtschaft Basel
Schweiz

Bischof Gmür: «Zeit ist die halbe Medizin»

Basel, 23.06.18 (kath.ch) Der Basler Bischof Felix Gmür habe sofort zugesagt, als er ihn am Freitag zum 7. Forum für Gesundheitswirtschaft in das Basler Volkshaus eingeladen habe, sagte Moderator und Gesundheitsökonom Willy Oggier. Das Thema ist dem Bischof also wichtig; auch wenn es auf den ersten Blick wenige Berührungspunkte zwischen Gesundheitswirtschaft und Theologie geben mag. 

Boris Burkhardt

Laut Gmür ist Gesundheit an sich aber durchaus eine Glaubensfrage im christlichen Verständnis, wie er gegenüber kath.ch nach seinem Auftritt erklärt: «In der Krankheit stellen sich Christen wie alle Menschen Sinnfragen. Der Blick auf den gekreuzigten Jesus, der das Leiden in dieser Welt am eigenen Leib erfahren hat, kann dabei helfen, das Leiden anzunehmen.»

Hadern mit Gott

Andere haderten hingegen mit Gott, wenn sie krank seien. Den Glauben, Gott strafe Sünder mit Krankheiten, tut Gmür als «historisches Relikt» ab. Eine Glaubensprüfung hingegen kann eine Krankheit seiner Ansicht nach auch heute noch sein. Für Aussenstehende sei die Krankheit aus theologischer Sicht ausserdem ein Zeichen, dass der Mensch Grenzen habe und keine Maschine sei.

Netzwerk am wichtigsten

Der Glaube lehre aber nicht nur, mit Krankheiten umzugehen, sondern habe selbst die Kraft zu heilen, sagt Gmür und verweist auf die vielen erfolgreichen Placebomedikamente. Das Wichtigste sei jedoch das Netzwerk der Erkrankten, Menschen, die sich um sie kümmerten und sich Zeit für sie nähmen: «Zeit ist die halbe Medizin», ist Gmür überzeugt.

Abwägen notwendig

Dafür warb er auch zuvor in seinem halbstündigen Vortrag, in dem es um «Wert und Werte rund um Gesundheit» ging. Den Begriff Werte definierte er «als Schnittmenge zwischen Idealen und Willen». Diese Definition verlange stets, Prioritäten zu setzen. In der Medizin müsse man so abwägen zwischen den Extremen Apparatemedizin und menschlicher Zuneigung, Rentabilität und langsamer Genesungsprozess, Zahlbarkeit und Machbarkeit, Machbarkeit und Verhältnismässigkeit.

Gmür nannte ein Beispiel aus der Onkologie: Zur Entscheidung, eine Therapie zu beginnen oder nicht, könne man kommen, wenn man schaue, was man machen wolle, und dann prüfe, ob es finanzierbar sei; oder man könne schauen, was es koste, und dann überlegen, ob man es für diesen Preis tun wolle. Der kausale Unterschied im Denken ist Gmür «wichtig».

Herz für Rentner oder jungen Vater?

Mit einem Vorkommnis im Inselspital Bern, bei dem die Chirurgen ein Herz für zwei Männer hatten, demonstrierte der Bischof das Prioritätenpaar Machbarkeit und Verhältnismässigkeit: «Wem sollten sie das Herz geben? Einer der Männer war schon sehr lange auf der Liste und Rentner. Der andere war ein junger Familienvater mit zwei Kindern.» Für Gmür sind das «interessante Fragen, weil es keine einfachen Antworten gibt».

«Der Bezugspunkt ist die Menschenwürde.»

Welche Prioritäten in diesem System von ständigen Entscheidungen ein Christ setzen sollte, steht für Gmür ausser Frage: «Der Bezugspunkt ist die Menschenwürde. Sie ist unantastbar, fast möchte ich sagen: absolut.» Der zentrale Massstab, um diesen Bezugspunkt in einer Gesellschaft zu gewährleisten, sei das Rechtssystem. Dieses müsse die Anerkennung der Freiheit eines jeden Menschen und die Anerkennung der Schutzwürdigkeit eines jeden Menschen garantieren: «Das Wohl des Staates misst sich am Wohl des Schwächsten», zitierte Gmür dazu die Bundesverfassung.

Zeit und Geld für Altersmedizin

Eine Debatte über die richtigen Prioritäten und Bezugspunkte hält der Bischof vor allem in der Altersmedizin für notwendig. Eine gute Diagnostik sei dort «matchentscheidend»: Dazu brauche es Zeit und ausreichend Personal (»sowohl quantitativ als auch qualitativ»). Und weil Zeit Geld sei, könne sich die Schweizer Gesellschaft entscheiden, ob sie sagen wolle, sie könne das Geld nicht aufbringen, habe also keine Zeit: «Oder wir wollen uns die Zeit nehmen und strengen unsere Fantasie an, um Wege zu finden, angemessene Diagnostik zu finanzieren.»

«Wollen wir eine Gesellschaft, die Menschen anleitet und unterstützt, sich selbst umzubringen?»

Auch die legale Beihilfe zum Suizid in der Schweiz war für Gmür ein Thema: kath.ch gegenüber sagte er im Hinblick auf die zuvor erwähnte Prioritätensetzung, die Kommerzialisierung des Selbstmordes sei das Ergebnis, wenn das Prinzip der Autonomie über alle anderen Prinzipien gestellt werde und zugleich eine Fokussierung auf Rentabilität überhandnehme. «Wollen wir eine Gesellschaft, die Menschen anleitet und unterstützt, sich selbst umzubringen?», hatte er schon im Vortrag rhetorisch gefragt und gefordert, aus Einzelfällen keine Allgemeinplätze zu machen: «Wir sollten als Gesellschaft wieder eine gute Mitte finden.»

Bischof Felix Gmür referiert am Forum Gesundheitswirtschaft Basel | © Peter Brandenberger/Visuell
24. Juni 2018 | 13:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!