Worship auf der Bühne von Halle 1
Schweiz

«Begeistert von Jesus» – ein Erfahrungsbericht von der Explo 17

Luzern, 31.12.17 (kath.ch) Die «Explo 17», ein freikirchlich geprägter Grossanlass, lockt dieser Tage gegen 6000 Menschen nach Luzern. Sie beten mit Popsongs, sie hören quirligen Rednern zu, und sie begeistern sich für Jesus Christus. kath.ch hat sich einen Tag lang unter die Menge begeben. Ein Erfahrungsbericht.

Sylvia Stam

Sie kommen in Scharen: Familien mit Kinderwagen, Behinderte im Rollstuhl mit Hund, auffallend viele Pärchen, die Händchen halten, auffallend viele unter 30. Die Organisation beim Eingang ist top, innerhalb kurzer Zeit sind die Tausenden – rund 5700 sollen es an diesem Samstag sein – am Eingang vorbeigeschleust und verteilen sich in den grossen Hallen der Luzerner Messe.

Tausende möchten an die Explo 17 | © Sylvia Stam

Beim Eingang zur Halle eins drückt mir eine junge Frau in rotem T-Shirt lächelnd ein Döschen in die Hand: Ohrstöpsel. Tatsächlich vermitteln die Bühne, die Musik und die Scheinwerfer den Eindruck, an ein Popkonzert oder in eine Disco zu kommen. Im dunklen Saal sitzen die Tausenden, Blick zur Bühne, über der ein Würfel hängt, der das Geschehen auf der Bühne in alle vier Richtungen des Raums überträgt. Filmkameras garantieren nebst dieser Übertragung auch den Livestream, der zeitgleich im Internet nachzuverfolgen ist.

Neuland betreten

Nach einem Vorgeplänkel über Pyjamahosen auf der Bühne lädt Explo-Initiator Andreas Boppart, der sich «Boppi» nennt, die Anwesenden, die selbstverständlich geduzt werden, dazu ein, Neuland zu betreten. Denn so lautet das Motto des diesjährigen «Kongresses», wie der Event intern genannt wird.

Taizé zu Gast an der Explo 17 | © Sylvia Stam

Das erste «Neuland» erweist sich für mich als vertrautes Gebiet: Alois Löser, Prior der Gemeinschaft von Taizé, ist extra aus Basel angereist, wo dieser Tage das internationale Taizé-Jugendtreffen stattfindet. Während er mit vier Brüdern in langen, weissen Gewändern die Bühne betritt, läuft im Hintergrund und auf dem Würfel ein Film über Taizé, untermalt mit dem bekannten meditativen Gesang.  Die Brüder setzen sich mit dem Rücken zum Publikum und mit dem Blick zum Kreuz auf der Bühne hin. Sie stimmen «Meine Hoffnung und meine Freude» an, in Taizékreisen ein Schlager. Ein kleiner Chor auf der Bühne, ein paar Instrumentalisten. Auf die Leinwand wird ein Bild mit brennenden Kerzen und einer Ikone projiziert.

Einige Minuten Stille

Die Teilnehmer im Saal singen mit. Der Gesang klingt zögerlich in Anbetracht der Menge, aber viele bemühen sich offensichtlich. Es folgen weitere Lieder, ein Schrifttext, und schliesslich einige Minuten Stille. Es werden die einzigen bleiben an diesem Vormittag.

«Das Verbindende ist Jesus.»

Dieses Psalmen-Singen habe ihr gefallen, wird eine Frau in den Zwanzigern hinterher sagen. Das nehme sie in ihren Alltag mit. Die Bernerin ist fasziniert von den verschiedenen «Denominationen», die sie hier antrifft – von den vielfältigen Arten, den Glauben zu leben, erklärt sie. Menschen jeden Alters und verschiedener Konfessionen. Das Verbindende sei Jesus.

Kaum sind die Taizé-Brüder von der Bühne, spricht eine Frau in einem kurzen Film darüber, wie das Beten von Psalmen ihr Leben verändert hat. Musik, Lichteinfall und Kameraführung lassen den Clip wie einen Werbespot erscheinen.

«Du musst zulassen, dass Gott den Raum in deinem Herzen weitet.»

Schliesslich ein erster «Talk», wie das hier heisst: Andreas Boppart kündigt ein «Wechselbad der Spiritualität» an. Und tatsächlich, was auf Taizé folgt, ist mit diesem in nichts zu vergleichen. «Boppi», der auf der Bühne offensichtlich in seinem Element ist, spricht von der Angst, die es durch Gott zu ersetzen gilt: «Du musst zulassen, dass Gott den Raum in deinem Herzen weitet. Wir müssen da, wo Ängste drin sind, so viel Gott reinquetschen, dass es die Angst rausquetscht.» Erik Flügge, Autor des umstrittenen Buches «Jargon der Betroffenheit: Wie Kirche an ihrer Sprache verreckt», hätte seine helle Freude an dieser Sprache, geht es mir durch den Kopf.

«Entweder wird dein Herz weit oder dein Denken wird eng. Weitherzig oder engstirnig, es gibt keinen anderen Weg», versichert Boppart in einer Eindeutigkeit, die meinen Widerstand hervorruft.

«Gott mehr Raum geben»

«Boppi» belegt seine Worte mit der dramatischen Umsetzung der biblischen Geschichte vom Sturm auf dem See – Markus 4,35 für Bibelfeste. Die Erzählung wird untermalt mit Gitarre, auf der Leinwand werden Rauchwolken sichtbar, Boppi erinnert an den Song «Thriller» von Michael Jackson, der sogleich eingespielt wird, und er erzählt glaubhaft, wie Petrus gerade seinen letzten Tweet abgesetzt hat – #Ichwillnicht. «Gott mehr Raum geben», lautet das kurze Fazit seiner langen, rhetorisch gekonnten Rede. «Ja, bitte», möchte ich sagen, «tu das, aber sprich nicht so viel darüber.»

«Wir saugen das auf.»

Es seien diese Impulse, die ihr gefielen, wird eine Frau Mitte dreissig hinterher sagen. Sie ist mit der Spiritualität aus Taizé vertraut und vermisst solche Inputs dort manchmal. Auch ein Ehepaar um die 50 sagt, dass sie genau dies von diesem intensiven Vormittag mitnähmen: Dass sie keine Angst haben müssten, Neues zu wagen. Sie werden die ganzen vier Tage dabei sein und «saugen das auf», wie die Frau es formuliert.

Johannes Hartl | © Explo 17

Nach Boppart spricht Johannes Hartl, Gründer des Gebetshauses Augsburg. Mithilfe eines Flipcharts, auf dem er mit wenigen Strichen anschaulich einen Garten zeichnet, der von Dornen überwuchert wird, wenn man ihn nicht pflegt, will er auf einen Ort im Innern der Menschen aufmerksam machen. «Meine Lieben», wendet sich der quirlige Mann in der grünen Hose immer wieder ans Publikum, «es gibt ihn, diesen Ort, aber es ist dein Job, ihn zu hüten.» Man müsse sich dazu täglich Zeit nehmen. Zeit, in der man keine Medien konsumiert und nicht für andere verfügbar ist.

Es bedarf keiner Worte.

Und während er redet und redet von dem Ort, der nur für Gott ist, hört ihm das Publikum gebannt zu – die Lacher bestätigen, dass es auch nach 30 Minuten immer noch aufmerksam ist. Ich stimme ihm zu in dem, was er sagt, doch ich frage mich, wie man bloss so viele Worte machen kann über etwas, das keiner Worte bedarf. Das in Worten gar nicht zu fassen ist.

Der Talk von Johannes Hartl geht nahtlos in «Worship» über, Popsongs mit religiösem Inhalt: «Alles wird neu, i dinere Gägewart». Die Tausenden stehen auf, einige wiegen hin und her, die Arme erhoben, Knie wippen im Takt, viele singen mit.

«Ich liebe Jesus, darum bin ich hier!»

«Ich liebe Jesus, darum bin ich hier, er begeistert mich!», sagt eine Frau mittleren Alters strahlend, und ich kann nicht umhin, es ihr zu glauben. An der Explo schätzt sie das Gemeinschaftsgefühl und die «Atmosphäre der Begegnung». Sie versuche auch in ihrem Alltag als Pflegefachfrau und in der Sterbebegleitung jedem Menschen in seiner Einzigartigkeit zu begegnen.

«Katholiken könnten von den Freikirchlern lernen, etwas lockerer zu werden», sagt Martin Iten, Mitorganisator der Weltjugendtage, nach dem Vormittag im Plenum auf die entsprechende Frage von kath.ch. Iten verteilt an einem Stand in der Halle zwei das Magazin «Melchior». Er sagt dies, obschon die Emotionalisierung, die er in vielem wahrnimmt, nicht sein Stil ist. «Alles ist irgendwie cool», bringt er es auf den Punkt. Er selber mag eher das Ruhige, Besinnliche, «ich bin eher monastisch», analysiert der junge Katholik treffend.

«Ich habe Ehrfurcht vor dem, was sie machen!»

Dennoch ist er beeindruckt von der Ernsthaftigkeit, was den Glauben und die Gottesbeziehung dieser Menschen angeht. «Das beeinflusst ihr ganzes Leben». Und dann natürlich die professionelle Organisation, die hinter diesem Riesenanlass stecke. «Ich habe Ehrfurcht vor dem, was sie machen!», so das Fazit von Iten.

Mit Schokolade ins Gespräch verwickelt

Papst Franziskus aus Pappkarton am Stand von Radio Maria | © Sylvia Stam

In Halle zwei finden sich unter dem Namen «Missionsausstellung» über 100 Stände christlicher Organisationen diverser Couleur. Die Evangelische Volkspartei ist ebenso da wie die Schweizerische Evangelische Allianz. Verschiedene Bibelgesellschaften, das Hilfwerk «Open Doors», das sich für verfolgte Christen einsetzt, das Kinderhilfswerk «World Vision» und viele andere. Eine bunte Gruppe von Katholiken – darunter Benediktiner aus Disentis, ein Priester der «Seligpreisungen», Vertreter der Gemeinschaft «Chemin Neuf» – hat sich unter dem Namen «Old church – young faith» zusammengeschlossen. Auch «Radio Maria» ist da und sendet live, neben dem Stand ein Papst aus Pappkarton. Ich erhalte «Schöggeli» und «Biberli» und werde trotz offener und anregender Gespräche das Gefühl nicht ganz los, geködert zu werden. Grauen packt mich schliesslich angesichts des Slogans auf einem Plakat der Organisation «Reach across», auf dem es heisst: «Damit Muslime Jesus folgen»…

Stand von «Reach Accross» in der «Missionsaustellung» | © Sylvia Stam

Beten und bitten in Stille

Wohler ist mir in der «Oase», die sich in der «Swissporarena» neben der Messe befindet. Gedacht als Ort des Gebets, der Stille, des Rückzugs, zeigt sich auch hier die Vielfalt von Gebetsformen: Da stehen Pulte, an denen ich mir selber einen Brief schreiben kann mit den Gedanken, die mich an diesem Jahresübergang beschäftigen. Der Brief würde mir im Verlauf des Jahres zugestellt, erklärt ein Plakat. An einer Klagemauer aus Karton kann man auf Post-it-Zetteln persönliche Anliegen deponieren, an einer anderen Wand sind es Fürbitten für andere.

Sehr beliebt sind die Matten auf dem Boden des «Thronsaals», die zum Chillen genutzt werden, während in wieder einer anderen Ecke vor allem Kinder «Gebetsstecken» schnitzen. In einem weiteren Raum schliesslich kann man sich segnen lassen, wenn man das dafür nötige Ticket vorher erworben hat. Das haben offensichtlich viele getan, denn der Andrang ist gross. Am selben Ort ist auch ein Gespräch mit einem katholischen Priester zu haben. Hierfür ist kein Ticket nötig. Während die Oase mittags noch spärlich bevölkert war, tummeln sich abends viele Menschen hier. Dennoch bleibt die Atmosphäre angenehm ruhig.

Chillen in der Oase | © Sylvia Stam

Die Menschen sind auffallend fröhlich.

Ruhig ist die Atmosphäre auf dem ganzen Messegelände – von den manchmal etwas lauten Konzerten auf der «Central Music Stage» einmal abgesehen. Niemand ist gehetzt, die Menschen sind auffallend fröhlich, man hört und sieht viel Lachen. Viele kennen sich offenbar oder sind schon als Gruppe gekommen. Trotz der Menschenmassen keine Spur von Littering.

In den Seminaren am Nachmittag ebenso wie im Gespräch mit den Verantwortlichen von «Campus für Christus» ist viel von «Einheit» und «Annäherung» die Rede. Vom «grössten gemeinsamen Nenner» der verschiedenen Konfessionen, nämlich dem Glauben an Jesus Christus. Von der Kraft und der Freude über das gemeinsame Gebet. Bei allem Befremden, das mich bis zum Abend nie ganz verlässt, kann ich dem nichts entgegensetzen.

Ich gehe nach einem langen Tag leicht verwirrt nach Hause, angeregt von der angenehmen Atmosphäre, die trotz der Menschenmassen herrschte, beeindruckt von der Ernsthaftigkeit dieser Menschen, aber mit vielen Fragezeichen zu Formen und Ausdrucksweisen. Inhaltlich habe ich nichts wirklich Neues erfahren, dafür hat meine eigene Form zu glauben und zu beten an Profil und an Klarheit gewonnen.

Hinweis: Am 31. Dezember findet im Rahmen der Explo eine Lichterfeier mit dem Basler Bischof Felix Gmür und mit Gottfried Locher, Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, statt. Beginn: 16.15 Uhr Messe Luzern, 17.30 Uhr Start der Lichterfeier am Luzerner Reussbecken.


 

Worship auf der Bühne von Halle 1 | © Explo 17
31. Dezember 2017 | 14:00
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Die «Explo 17» in Luzern

Die «Explo 17» ist ein christlicher Event, der dieses Jahr unter dem Motto «Neuland» steht. Sie findet vom 29. Dezember bis am 1. Januar auf dem Messegelände Luzern statt. Veranstalter ist die Bewegung «Campus für Christus», die nach eigenen Angaben konfessionell unabhängig ist. Angemeldet sind laut Angaben der Organisatoren rund 5500 Besucher, dazu kommen spontane Tagesgäste. 2015 waren es rund 6000 Besucher.

Etwa 70 Prozent der Teilnehmer kämen von diversen Freikirchen, rund 20 Prozent seien evangelisch-reformiert und etwa 5 Prozent römisch-katholisch, sagte Mediensprecher Hansjörg Forster auf Anfrage. Die beiden Landeskirchen der Stadt Luzern seien nicht offiziell vertreten, jedoch arbeiteten einzelne Personen aktiv mit. Von katholischer Seite etwa Ruedi Beck, Pfarrer der Hofkirche Luzern, und Peter Jans, Mitglied der Synode.

Zum Programm gehören Vorträge im Plenum, Seminare und verschiedene Formen der Anbetung. Die «Explo» findet dieses Jahr zum achten Mal statt. (bal/sys)