Beat Dietschy
Schweiz

«Die christliche Tradition ist meine stärkste Inspirationsquelle»

Luzern, 14.11.16 (kath.ch) Bei der Entwicklungsorganisation Comundo hat am Samstag eine neue Ära begonnen. Die Bethlehem Mission Immensee (BMI) verschwindet als Marke und Verein, der neue Verein Comundo erhält mit Beat Dietschy seinen ersten Präsidenten. Den reformierten Theologen begeistert Comundo als Labor der Verschiedenheiten, er spricht über die Zukunft des Romero-Hauses und über den umkämpften Spendenmarkt.

Remo Wiegand

Wo sehen Sie die kommenden Herausforderungen für Comundo?

Beat Dietschy: Comundo ist eine Organisation, die eine gute Grösse hat, aber doch eine kleine ist. Im schwierigen Schweizer Spendenmarkt ist es nicht einfach, mit dieser Grösse zu bestehen.

Klingt nach einer kritischen Grösse…

Dietschy: Nein, das nicht. Comundo hat eine ideale Grösse für seinen Markenkern der Personellen Entwicklungszusammenarbeit (PEZA). Aber im Spendenmarkt heute zählt einfach Bekanntheitsgrad, Einschaltquote, jeden Tag bei den Leuten zu sein. Da haben die grossen Player einen grossen Vorteil. Es ist nicht ganz einfach, über die treuen Mittragenden hinaus Spender zu erreichen und die Begeisterung der Einsatzleistenden, die reiche Erfahrungen aus dem Süden zurückbringen, über einen engeren Kreis von Sympathisanten hinauszutragen.

Comundo hat viele Bereiche, die alle ein Eigenleben zu führen scheinen: Das PEZA-Kerngeschäft, die PR-Abteilung, das Bildungshaus Romero-Haus, die Zeitschrift Wendekreis, die Vorläuferorganisationen Bethlehem Mission Immensee (BMI) und Missionsgesellschaft Bethlehem (SMB). Leidet Comundo an einem zu wenig deutlichen Profil?

Dietschy: Nein. Die Organisation steht seit den Anfängen in der SMB für Interkulturalität. Der Name Co-mundo bringt es auf den Punkt: gemeinsam eine Welt sein. Das gilt auch im Innern: Wir können auf eine lange Tradition zurückblicken, Menschen mit verschiedenen Weltbildern und aus mehreren Generationen zusammenzubringen. Das ist nicht einfach, aber eine grosse Chance. Und wichtig für das Gelingen einer gerechteren Welt.

Vor Ort geschieht das im Romero-Haus, das eine überschaubare, ältere Fangemeinde anzieht und Comundo viel kostet. Soll es das Romero-Haus weiterhin geben?

Dietschy: Die Frage kann man stellen. Aber es ist ein Glücksfall, dass das Romero-Haus existiert. Was wünscht man sich mehr, als einen festen Standort zu haben für politische und kulturelle Themen, die aus der weiten Welt kommen? Interkulturelle Lernprozesse sollen ja nicht nur im Süden stattfinden, unsere Arbeit ist keine Einbahnstrasse. Es sollen auch hier intensive Begegnungen stattfinden, die Veränderungen anstossen. Ein Ort, in dem das sichtbar wird, der dazu mit seiner Atmosphäre einlädt, ist eine ausgezeichnete Voraussetzung dafür.

Comundo steckt in einem Reformprozess. Man versucht sich neue Spendermärkte zu erschliessen, Kommunikation und Fundraising sind wichtiger geworden. Es kam zu einigen personellen Abgängen, vorab von Theologen. Ein Alarmsignal?

Dietschy: Grundsätzlich bin ich noch zu wenig nahe dran, um das zu beurteilen. Dass es Auseinandersetzungen gegeben hat, muss aber nichts Schlechtes sein. Personelle Wechsel während eines Reformprozesses sind schmerzlich. Eine lebendige Organisation zeichnet sich aber durch Wandel aus.

Die Abgänge hatten auch mit der ungelösten Frage nach dem religiösen Profil von Comundo zu tun. Gretchenfrage: Soll Comundo seinen christlichen Charakter behalten oder ist es nur noch eine Organisation mit einer christlichen Geschichte?

Dietschy: Ich muss da persönlich antworten: Für mich ist die Auseinandersetzung mit der christlichen Tradition, mit der Bibel, mit der ökumenischen Bewegung, auch mit anderen Religionen die stärkste Inspirationsquelle, die ich kenne. Wenn Sie nach Lateinamerika gehen, ist das nicht wegzudenken. Aber hier leben wir in einer Gesellschaft, in der viele Menschen andere Sprachen bevorzugen als die kirchliche. Ich bin auch immer darum bemüht, mich kritisch zum Christentum und zu meinen eigenen Überzeugungen befragen zu lassen. Ich bin nicht nur Theologe, ich bin auch Philosoph. Ich trage also, wenn Sie wollen, beide Seiten mit mir.

Das heisst, Sie wollen die Tendenz zur Säkularisierung, die bei Comundo spürbar ist, aufhalten? Solche Hoffnungen werden mit Ihnen verbunden.

Dietschy: Das war jetzt bewusst eine persönliche Antwort. Ich habe das nicht als Präsident gesagt und werde als Präsident auch nicht sagen: Da geht es lang, los! Ich sehe meine Rolle darin, die richtigen Fragen zu stellen und zusammen mit dem Vorstand Richtungen anzugeben. Eingeschlagen werden sie ohnehin auf operativer Ebene, von der Geschäftsleitung.

Comundo kämpft seit geraumer Zeit mit dieser Frage – braucht es da nicht einmal eine Entscheidung? Der Spender oder die Sympathisantin wollen doch wissen, ob Comundo grundsätzlich mit einer christlichen Brille in die Welt schaut oder nicht.

Dietschy: Das stimmt schon. Aber die Markenpersönlichkeit einer Organisation lebt von dem, was zu den Leuten hinüberdringt. Sie lässt sich nur langsam aussuchen und verändern, und bestimmt nicht nach Belieben.

Das heisst?

Dietschy: Ich kann es Ihnen konkreter sagen: Im Romero-Haus zum Beispiel ist Oscar Romero, der lateinamerikanische Bischof und Märtyrer, einfach präsent. Oder feministische Theologinnen und Aktivistinnen, die Zimmernamen zieren. Deren Geist ist da, und das prägt das Haus. In einem weiten Sinn glaube ich, dass in einer Arbeit, in der es um interkulturelle Beziehungen geht, Religion und Spiritualität nicht wegzudenken sind.

Sie stossen als Reformierter zu einer katholisch geprägten Organisation. Eine Chance?

Dietschy: Ich denke schon. Wahrscheinlich werde ich weniger mit bestimmten Positionen in Verbindung gebracht. Und ich bin zuversichtlich, dass aus dieser Verschiedenheit heraus Neues entstehen kann.

Zurück vom Himmel auf die Erde: Der Spendenmarkt ist umkämpft, PR-Abteilungen gewinnen bei allen Hilfswerken an Gewicht. Ist das der zu akzeptierende Gang der Dinge oder bedroht es Inhalte?

Dietschy: Schon Paulus hat mit allen Mitteln Geld gesammelt für die Gemeinde in Jerusalem (schmunzelt). Professionelles Marketing beachtet die Kernanliegen einer Organisation und arbeitet gerne mit prägnanten Inhalten, nicht ohne Inhalte. Aber es ist auch klar, dass verschiedene Spenderkreise auf verschiedene Weisen angesprochen werden müssen.

Warum, glauben Sie, wird Comundo dabei weiterhin Erfolg haben?

Dietschy: Weil es für etwas Einzigartiges in der Schweiz steht, für die auf menschlichen Beziehungen basierende Personelle Entwicklungszusammenarbeit. Es geht ums Zwischenmenschliche, da haben wir spezifische Kompetenzen. Und die Menschen, die in Entwicklungsländern Beziehungen gestalten, sind unsere Hauptbotschafter, das ist eine ausgesprochene Stärke.

Aber gleichzeitig eine Schwäche, weil sie nie einen neuen Brunnen, eine neue Schule oder fröhliche Patenkinder als sichtbare Resultate ihrer Arbeit präsentieren können.

Dietschy: Ich bin sehr kritisch gegenüber einer Entwicklungszusammenarbeit, die mit der grossen Kelle anrichtet und dauernd Erfolge verkauft. Das ist zu oft reiner Export unserer Ideen, unserer Güter und unserer Hilfe. So ist Entwicklung auf Augenhöhe kaum möglich, ja es ist eines der Haupthindernisse, weil es Menschen an der Entfaltung ihrer Möglichkeiten hindert, Abhängigkeiten zementiert und oft Diktatoren stützt. Wir arbeiten eher im Kleinen mit Menschen zusammen. «Small» (klein) ist zwar nicht immer «beautiful»(schön), es gibt auch viel gut Gemeintes, aber gut gemachte Beziehungsarbeit ist das Geheimnis geglückter Projekte.

Ein Beispiel?

Dietschy: Ich erinnere mich an meine Zeit in Nicaragua. Ich habe extrem arme Bauerngemeinden neben reichen Grossgrundbesitzern kennen gelernt. Ihr Pfarrer predigte immer, das sei normal, er berief sich auf die Bibel. Die Bauern fingen an, ihm zu misstrauen. Sie initiierten eine eigene Bildungsarbeit, um Lesen und Schreiben zu lernen und zu lesen, was wirklich in der Bibel steht. Eine Dynamik, eine Basisbewegung entstand, eine Selbstermächtigung, die von unten ausging und Beistand holte, wenn sie ihn brauchte.

Was kann die Schweiz von Lateinamerika lernen?

Dietschy: Es ist beeindruckend, wie Menschen dort in schwierigsten Situationen neue und kreative Lösungen finden. Ich denke an das Wiederaufleben des «Buen vivir»(Gutes Leben) der indigenen Völker oder an das Konzept der solidarischen Ökonomie, das aus Brasilien stammt. Dabei geht es im Kern darum, wie wir in Netzwerken von Unternehmen, Basisgruppen und alternativen Unis gemeinsam neue Lösungen für die Bedürfnisse der Menschen finden können – jenseits von Wohlstandmaximierung.

Beat Dietschy (66) ist eine Kapazität in der Hilfswerks-Branche. Der Philosoph und reformierte Theologe verbrachte mehrere Jahre als Entwicklungsexperte in Peru und Nicaragua. Er leitete die Arbeitsstelle für Ökumene, Mission und Entwicklungszusammenarbeit (OeME) in St. Gallen und das kirchliche Seminarzentrum Leuenberg, er war Bereichs- und Geschäftsleiter bei «Brot für alle» und Präsident der «Erklärung von Bern». Dietschy arbeitete zwischenzeitlich auch als Journalist für Schweizer Radio DRS. Nach seiner Pensionierung wird der gebürtige Basler erster Präsident des neuen Trägervereins der Entwicklungs-Allianz Comundo. Er tritt in die Fussstapfen der Ex-CVP-Nationalrätin Rosmarie Dormann, die den Vorläuferverein präsidierte. Comundo beschäftigt fast 200 Mitarbeitende, davon sind gegen hundert Fachpersonen in elf Einsatzländern in Lateinamerika, Afrika und Asien tätig.


Beat Dietschy | © Patrik Kummer/Bfa
14. November 2016 | 08:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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