Peter Henrici
Schweiz

«Ausser seiner Zürcher Bibel hat Zwingli nicht viel geschaffen»

Zürich, 22.1.19 (kath.ch) Kein Blatt vor den Mund nimmt der emeritierte Churer Weihbischof Peter Henrici. Gegenüber kath.ch sagt er mit Altersweisheit und in wohltuender Klarheit, was er von der Zürcher Reformation hält, warum er die SVP nicht wählt und warum das Churer Domkapitel nicht für das ganze Bistum steht. Zu seinem 90. Geburtstag erschien eine Festschrift in Buchform mit dem Titel «Erlebte Kirche».

Charles Martig

Am Sonntag fand im Grossmünster ein ökumenischer Gedenkgottesdienst zur Feier der Reformation in Zürich statt. Waren Sie auch dabei?

Peter Henrici: Ich wollte daran teilnehmen, meine Gesundheit hat es allerdings nicht erlaubt.

Haben Sie das Ereignis von aussen beobachtet?

Henrici: Nein, das war nicht möglich.

Wie stehen Sie als grosser Verfechter der Ökumene zu Zwingli?

«Bullinger hat die Zürcher Reformation in die Welt hinausgetragen.»

Henrici: Zwingli war kein grosser Ökumeniker. Mein reformierter Freund und Kirchenratspräsident Ruedi Reich hat immer gesagt, Bullinger sei viel wichtiger als Zwingli.

Wieso hat er Bullinger so sehr geschätzt?

Henrici: Heinrich Bullinger war ein grosser Theologe. Er hat die Zürcher Reformation in die Welt hinausgetragen. Zwingli hat im Kleinen politisch etwas bewirkt. Ausser seiner Zürcher Bibel hat er nicht viel geschaffen. Bullinger war hingegen der Promoter, der als reformierter Theologe sehr lange gewirkt hat. Die reformierte Kirche hat Bullinger mehr zu verdanken als Zwingli, der nur den Anstoss gegeben hat.

Im «Ökumenebrief» von 1997, der in der neuen Publikation «Erlebte Kirche» wieder abgedruckt wird, ist ebenfalls Einigkeit mit der reformierten Kirche sichtbar. Welche Bedeutung hat dieser Brief aus heutiger Sicht?

Henrici: Der Brief wurde uns von einer Frauengruppe «aufgezwungen». In dieser Ausgangslage war klar, dass wir etwas tun müssen. In den ersten beiden Teilen geht es um den Grundsatz, dass die Kirchen alles Praktische gemeinsam machen und nicht alleine. Das zweite Anliegen war, dass Kinder in Mischehen wissen, zu welcher Konfession sie gehören. Darin waren wir uns einig und dies gilt heute genauso wie damals.

«Die Frage des Abendmahls und der Interkommunion ist eine unlösbare Frage.»

Sie sagen, der Brief sei den Kirchen aufgezwungen worden, wieso?

Henrici: Eine ökumenische Frauengruppe forderte die Möglichkeit einer Doppelmitgliedschaft in der katholischen und reformierten Kirche, damit sie in beiden Gottesdiensten kommunizieren können. Aus katholischer Sicht macht jedoch die Doppelmitgliedschaft überhaupt keinen Sinn.

Und wie steht es mit der Interkommunion?

Henrici: Die Frage des Abendmahls und der damit zusammenhängenden Interkommunion ist eine unlösbare Frage. Wir haben eine Formel gefunden, die ökumenisch vertretbar ist.

Man soll sich vor der Kommunion prüfen und nicht einfach nach vorne gehen zum Empfang des Sakraments. Das ist auch zwinglianisch.

Aber aus katholischer Sicht ist die Frage nicht zu lösen?

Henrici: Nein. Denn aus katholischer Sicht hängt die Kircheneinheit vom Abendmahl ab. Als der Vertreter des Patriarchats von Konstantinopel an der Schlusssitzung des II. Vatikanischen Konzils den Papst freundschaftlich umarmte, fragte eine Frau, die neben mir stand: «Werden sie jetzt konzelebrieren?». Ich sagte zu ihr: «Ich weiss es nicht, aber wenn sie konzelebrieren, dann ist die Kircheneinheit hergestellt.» (lacht erfrischend).

«Als Schweizer kann man die SVP nicht wählen.»

Sie haben sich als Weihbischof stets auch gesellschaftspolitisch geäussert. Ihr Zitat, dass man wegen der Migrationspolitik der SVP diese Partei als Christ nicht wählen könne, ist legendär. Es wurde Anfang Januar auch im Zusammenhang mit dem neuen Think-Tank «Kirche und Politik» wieder aufgebracht.

Henrici: Heute würde ich etwas ganz anderes sagen. Als Schweizer kann man die SVP nicht wählen! Dies darum, weil sie auf eine Majoritäts-Demokratie hinarbeitet, währenddem die Schweiz eine Kompromiss-Demokratie ist.

«Das ist keine politische Theologie.»

Es ist also ein staatspolitisches Argument, das Ihre Haltung heute bestimmt?

Henrici: Ja. Ich gehe davon aus, dass die SVP ein falsches staatspolitisches Modell hat.

Vertreten Sie damit eine politische Theologie?

Henrici: Das ist keine politische Theologie. Die Schweizerische Demokratie hat sich von je her so verstanden, dass sie auf dem Kompromiss aufbaut.

Ich äussere mich hier als Staatsbürger und als Kenner der Schweizer Staatsrechts. Im Vergleich dazu sind alle anderen Demokratien auf der Welt Mehrheits-Demokratien.

Was macht das Schweizer System aus?

Henrici: Ein Modell wie die sieben Bundesräte in der Exekutive gibt es nirgendwo sonst. Das ist eine Stärke der Schweiz und diese dürfen wir nicht aufgeben.

«Die Schweizer Bischöfe gehören sicher zu den ärmsten Bischöfen in der Welt.»

Sie haben sich auch mit dem Verhältnis von Staat und Kirche auseinandergesetzt. Was würden Sie aus heutiger Sicht zur Bedeutung des dualen Systems sagen?

Henrici: Das duale System ist einzigartig, jedoch für die Schweiz passend. Im dualen System ist es jedoch wichtig, dass beide Partner einvernehmlich handeln. Dabei geht es darum zu wissen, welches die jeweilige Rolle ist. Damit wären wir wieder in der Kompromiss-Demokratie.

Was wäre die Rolle für die katholische Kirche in dieser Partnerschaft?

Henrici: In dieser Partnerschaft geht es um das kirchliche Leben. Der finanzielle Teil ist den «Laien» im staatskirchenrechtlichen Teil übergeben. Ich finde, das ist für die Kirche wunderbar, dass sie sich nicht mit den Finanzen herumschlagen muss, sondern in diesem Sinne eine arme Kirche sein kann. Die Schweizer Bischöfe gehören sicher zu den ärmsten Bischöfen in der Welt.

Aus der Sicht des Vatikans hat die Schweiz immer auch als «Sonderfall» gegolten. Sie haben als Weihbischof auch mit Kirchenrechtlern aus dem Vatikan diskutiert. Ist dieses Unverständnis aus dem Vatikan gegenüber der Schweiz immer noch vorhanden?

Henrici: Es ist sehr schwierig für Aussenstehende, dies zu verstehen.

Nicht einmal Sie haben es geschafft, ein Verständnis zu vermitteln?

Henrici: Ich konnte es durchaus vermitteln, aber in stundenlangen Gesprächen. Bei meiner letzten Audienz bei Papst Franziskus haben wir über die Situation im Bistum Chur gesprochen. Darauf sagte Franziskus: «La Svizzera è difficile.» (lacht verschmitzt).

«Man muss reden miteinander.»

Sie haben einen Artikel geschrieben zu Missverhältnissen in kirchlicher Kommunikation in der Deutschschweiz. Es geht hier vor allem um interne Kommunikation.

Henrici: Es geht mir um die Binnenkommunikation in der Schweiz, aber auch um die Schwierigkeiten zwischen Rom und der Schweizer Kirche.

Hat sich in Ihrer Analyse etwas geändert oder ist die Situation immer noch dieselbe?

Henrici: Sicher nicht die gleiche, denn zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Artikels gab es die Sozialen Medien noch gar nicht. Diesen Artikel müsste man heute ganz neu fassen und das könnte ich nicht.

Sehen Sie für die Kommunikation der Schweizer Kirche eine neue Lösung?

Henrici: Nein. Es gilt das alte Schweizerische Prinzip: Man muss reden miteinander.

Für die Binnenkommunikation ist es wichtig, dass man sich austauscht und in einem permanenten Dialog bleibt.

Gilt dieses Prinzip auch für die neue Lösung im Bistum Chur?

Henrici:  Jein, das steht erst an zweiter Stelle. Chur ist ein Bistum, das aus drei ganz verschiedenen Teilen besteht, wobei zwei von diesen drei Teilen gar nicht Bistum sind. Dies muss zuerst gelöst werden.

Sie meinen die Urschweiz und den Kanton Zürich?

Henrici: Es handelt sich um die Urschweiz sowie die Kantone Zürich und Glarus, die nicht zum Bistum gehören, sondern Administrationsgebiete sind. Die drei Teile sind so verschieden, dass es mit dem neuen Bischof von Chur eine Persönlichkeit braucht, die die notwendige Autorität hat.

«Das Domkapitel von Chur ist in keiner Weise repräsentativ.»

Alle drei Teile sollten ihn anerkennen können. Erst dann kann das Gespräch mit diesen drei Teilen beginnen und die Problemlösung angegangen werden. Das Domkapitel von Chur ist in keiner Weise repräsentativ. Dort ist beinahe nur Graubünden vertreten.

Eine der Hauptaufgaben des neuen Bischofs besteht also darin, diese Vermittlungsarbeit zu leisten?

Henrici: Es geht um die Vermittlung und darum, die Einheit für diese drei Teile des Bistums zu sein.

Faktisch ist das Problem aber nicht gelöst, auch wenn der Dialog in Gang kommt.

Henrici: Die strukturelle Lösung lag am Ende des Episkopats von Amédée Grab auf dem Tisch, aber die betroffenen Parteien wollten nicht weitermachen.

Und wie heisst die Lösung?

Henrici: Sie besteht darin, dass die anderen Teile ins Bistum aufgenommen werden, dass dieses Bistum «Chur-Zürich» genannt wird. Zudem gehört zu dieser Lösung, dass in Zürich ein Weihbischof wohnt, wie das vor der Reformation der Fall war. Dies beinhaltet auch, dass eine der Zürcher Kirchen zur Konkathedrale wird, in der der Bischof Gottesdienste feiern und Sakramente spenden kann.

Diese Woche wurde bekannt, dass Bischof Vitus Huonder sich nach seinem Rückzug aus dem Bischofsamt in ein Haus der Piusbruderschaft im Kanton St. Gallen zurückziehen wird. Überrascht Sie das?

Henrici: Nein, gar nicht. Bischof Vitus Huonder hatte den entsprechenden Auftrag. Er fühlte sich immer schon wohl in der alten Liturgie. Seine Nähe zur Piusbruderschaft war mir bekannt.

 

 

Peter Henrici | © Christoph Wider
22. Januar 2019 | 12:47
Lesezeit: ca. 5 Min.
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Peter Henrici – «Erlebte Kirche»

Der am 31. März 1928 in Zürich geborene Peter Henrici verbrachte den Grossteil seines Lebens im Ausland. 1947 trat er in den Jesuitenorden ein, studierte in Deutschland, Italien, Belgien und Frankreich und wirkte als Professor für neuere Philosophiegeschichte mehrere Jahrzehnte in Rom. Während der Krise um die Churer Bistumsleitung 1993 wurde er zusammen mit Paul Vollmar überraschend ins Bistum Chur berufen und zum Weihbischof und Generalvikar ernannt. Nun standen seelsorgerliche Führungsaufgaben im Zentrum. Auch die Partnerschaft mit der reformierten Schwesterkirche stellte Henrici als Mitinitiator des «Ökumenebriefs» von 1997 auf sicheren Grund.

Im Buch «Erlebte Kirche. Von Löwen über Rom nach Zürich» geben der Herausgeber Urban Fink und der Autor Peter Henrici einen umfassenden Einblick in Leben und Wirken des weitgereisten Ordensmannes. Die mit Kommentaren eingeführten Texte sind aussagekräftiges Zeugnis seines theologischen Denkens, in dem immer auch praktische Aspekte und Anliegen der Seelsorge zugunsten von Mensch und Gesellschaft heute aufscheinen.

Peter Henrici, Erlebte Kirche. Von Löwen über Rom nach Zürich, Edition NZN bei TVZ: Zürich 2018.

Hinweis: Buchvernissage vom 21.01.2019 in Zürich: Peter Henrici, «Erlebte Kirche», Würdigung des Buchs von Daniel Kosch