Papst Franziskus posiert für ein Selfie mit Teilnehmenden der Initiative "The Economy of Francesco".
Konstruktiv

Auf Werte setzen: «Economy of Franceso» steht für eine menschen- und schöpfungsgerechte Wirtschaft

Eine Wirtschaft, die allen Menschen dient, hat eine prophetische Dimension. Genau darum geht’s Papst Franziskus. Als globaler Finanzplatz kommt der Schweiz eine wichtige Rolle zu. Ein neuer Ethik-Master in Luzern und ein CAS in Freiburg leisten dafür einen Beitrag.

Noemi Honegger*

«Wie lange noch dauert die Nacht? Wann wird es endlich Tag? Wann wird die Welt eine gerechte Wirtschaft erleben? Wann werden die Menschenrechte für alle Menschen Realität? Wie lange dauert es noch, bis die Schöpfung bewahrt wird? Können wir sie noch retten? Wann widerfährt indigenen Völkern endlich Gerechtigkeit? Wann nimmt Armut endlich ein Ende?»

Mit einer szenischen Darstellung dieser an Jesaja 21 angelehnten Fragen wurde unser Treffen mit dem Papst am Samstag in Assisi eröffnet. Die Fragen machen deutlich, dass die Suche nach einer Wirtschaft, die allen Menschen dient, eine prophetische Dimension hat. Prophetische Stimmen verlangen nach Veränderung in einer Welt, die – wie Papst Franziskus in Erinnerung ruft – heute in Flammen steht.

Eine Wirtschaft, die Leben bringt

Das Treffen in Assisi war ein vorläufiger Höhepunkt der globalen Bewegung, die Papst Franziskus vor mehr als drei Jahren angestossen hatte. Dieser hatte damals junge Ökonominnen, Unternehmer und Change Maker aus der ganzen Welt nach Assisi eingeladen, um über eine Reform der Wirtschaft nachzudenken.

Noemi Honegger in einer Diskussionsrunde von "Economy of Francesco" in Assisi.
Noemi Honegger in einer Diskussionsrunde von "Economy of Francesco" in Assisi.

An dem Ort, an dem Gott Franziskus einst rief, die Kirche zu erneuern, sollte über eine Erneuerung der Wirtschaft zum Schutz unseres gemeinsamen Hauses, unseres Planeten nachgedacht werden. Es ging Papst Franziskus um nichts weniger als um eine menschen- und schöpfungsgerechte, inklusive Wirtschaft, die Leben bringt.

Ein globales Netzwerk entsteht

Aufgrund der Covid-19-Pandemie wurde aus dem ursprünglich geplanten Event ein mehrjähriges Miteinander, das ein globales und starkes Netzwerk hervorgebracht hat. Während der Zeit des Rückzugs in die eigenen vier Wände hat sich auf unseren Schreibtischen ein Tor zur Welt geöffnet.

«Economy of Francesco» hat Menschen, die das gemeinsame Ziel einer wirtschaftlichen Erneuerung teilen, über Ozeane und Kontinente hinweg vernetzt. Innerhalb von zwölf thematischen «Villages» haben wir uns mit unterschiedlichen Aspekten auseinandergesetzt.

Junge Ökonominnen engagiert am "Economy of Francesco".
Junge Ökonominnen engagiert am "Economy of Francesco".

Vom 22.–24. September 2022 galt es, die Früchte der letzten Monate zu ernten sowie Ideen und Visionen auszutauschen. Schliesslich wurde das Bekenntnis zu einer erneuerten Wirtschaft im Geiste des Heiligen Franziskus von Assisi mit einem «Pakt» besiegelt.

Spirituelle Inspiration und intellektuelle Herausforderungen

In der Stadt von Franziskus und Klara hat uns ein Programm für Körper, Geist und Seele erwartet. Auf Spaziergängen in Assisi waren wir einerseits dazu eingeladen, uns von den beiden herausragenden Persönlichkeiten inspirieren zu lassen. Andererseits haben in Konferenzen und Workshops intellektuelle Auseinandersetzungen zu wirtschaftsethischen Fragen stattgefunden.

"The Economy of Francesco" in Assisi, 2022
"The Economy of Francesco" in Assisi, 2022

So hat etwa der französisch-schweizerische Jesuit Gaël Girard dazu motiviert, sogenannte Commons – Gemeingüter – wiederzuentdecken. Demnach lassen sich bestimmte Güter in der Gemeinschaft nachhaltiger und gerechter bewirtschaften als es die Form von Privateigentum zulässt. Entscheidend ist es deshalb, Gemeingüter als solche zu erkennen.

Vision einer menschengerechten Finanzwirtschaft

Eine besondere Bedeutung kam dem Austausch innerhalb der thematischen «Villages» zu, deren Mitglieder bereits seit 2020 in engerem Austausch standen. Das «Village Finance and Humanity», in dem ich mich seit Beginn engagiert hatte, hat sich in Assisi unter anderem mit werte-basiertem Banking auseinandergesetzt. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass Menschenrechte und Umweltschutz die Entscheidungsgrundlage für Kreditvergabe und Investitionen bilden – selbstverständlich unter der Voraussetzung, dass die Kriterien wirtschaftlicher Nachhaltigkeit erfüllt sind.

Das Publikum am Event "Economy of Francesco"
Das Publikum am Event "Economy of Francesco"

Demokratische und partizipative Geschäftsstrukturen und eine transparente Berichterstattung der Geschäftstätigkeit sind ebenfalls zentrale Pfeiler dieser alternativen Banken. In kleinen Arbeitsgruppen haben wir schliesslich unsere Vision einer menschengerechten Finanzwirtschaft diskutiert.

Päpstlicher Zuspruch und Selbstverpflichtung

Die Tagung fand mit Papst Franziskus ihren Abschluss. Dieser hat uns in seiner Ansprache ermutigt, Probleme tatkräftig anzupacken und das Fühlen, Denken und Tun miteinander in Einklang zu bringen.

Im Anschluss daran wurde der Pakt zum Einsatz für eine menschengerechte Wirtschaft unterzeichnet: Der Text hält fest, dass unserer Generation die Verantwortung zukommt, die Wirtschaft so zu verändern, dass sie der Botschaft des Evangeliums gerecht wird. Darunter wird eine Wirtschaft verstanden, die Frieden schafft und Sorge für die Umwelt trägt.

"The Economy of Francesco" wird eröffnet.
"The Economy of Francesco" wird eröffnet.

Sie stellt sich in den Dienst aller Menschen und des Lebens, nicht zuletzt indem sie sichere und würdevolle Arbeit fördert. Die Finanzwirtschaft versteht sich als Verbündete der Realwirtschaft. Letztlich geht es darum, eine Wirtschaft zu gestalten, die Armut in all ihren Formen bekämpft und Ungleichheiten reduziert.

Mehr als mahnende Stimmen in der Nacht

Die Stärke der Initiative «Economy of Francesco» liegt darin, Wirtschaft mitten im Leben zu verankern. Sie vermag es, Wirtschaft mit Gemeinschaft und Glaube zu verbinden. Dabei prangert sie Missstände an und formuliert Prinzipien für eine Neuorientierung der Wirtschaft. Sie ist ein hoffnungsvolles Zeichen in einer Welt, die noch immer von Ungleichheit und Ungerechtigkeit geprägt ist.

In Assisi hat sich deutlich gezeigt, dass die «Economy of Francesco» nicht nur Zukunft, sondern bereits Gegenwart ist. Das stimmt zuversichtlich. Begeisterung und Gemeinschaft haben während drei Tagen die Morgenröte am Horizont erscheinen lassen. Nun gilt es darauf hinzuarbeiten, Wirtschaftsmodelle zu verändern und konkrete Umsetzungsschritte zu implementieren.

Noemi Honegger.
Noemi Honegger.

Dafür wird es mehr brauchen als eindringlich mahnende Stimmen in der Nacht und euphorische Selbstverpflichtungen. Diese können ein Anstossen geben, müssen aber in rigorose ökonomische und wirtschaftsethische Reflexion wie auch kreatives Unternehmertum transformiert werden. Mit dieser Aufgabe im Gepäck wurden die Teilnehmenden in alle Ecken der Welt entsendet.

Master Ethik und CAS Integral Economics

Aus Schweizer Perspektive ist diesbezüglich auf zwei spannende Initiativen hinzuweisen. Einerseits wird von 2023 an ein neuer Ethik-Master an der Uni Luzern angeboten. Dieser ermöglicht ein Grundlagenstudium in Ethik und ein Vertiefungsstudium – etwa in Wirtschaftsethik.

Noemi Honegger am Event "Economy of Francesco" in Assisi.
Noemi Honegger am Event "Economy of Francesco" in Assisi.

In Zusammenarbeit mit dem Zentrum Glaube & Gesellschaft der Universität Freiburg und der Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana (SUPSI) entsteht zudem der CAS-Lehrgang «Integral Economics: Incorporating Sustainability, Ethics & Faith». Das geplante Online-Weiterbildungsangebot regt dazu an, wirtschaftliches Handeln mit Leben und Glauben auf reflektierte Weise zu verbinden.

Gerade in der Schweiz als globaler Wirtschaftsstandort und Finanzplatz scheint mir die Auseinandersetzung mit wirtschaftsethischen Fragen von zentraler Bedeutung. Beide Bildungsangebote leisten einen wichtigen Beitrag dazu.

* Noemi Honegger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Sozialethik ISE an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern. Sie forscht zum Verhältnis von Real- und Finanzwirtschaft aus ethischer Sicht. Letztes Wochenende hat sie an einem Treffen junger Ökonominnen und Ökonomen mit Papst Franziskus teilgenommen. Sie ist auch Spitalseelsorgerin der katholischen Kirche im Kanton Freiburg. Zuvor hat sie in Freiburg Theologie und Volkswirtschaft studiert und zwei Jahre bei Fastenaktion gearbeitet.


Papst Franziskus posiert für ein Selfie mit Teilnehmenden der Initiative «The Economy of Francesco». | © KNA
28. September 2022 | 15:42
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