Auch ein Religionskrieg braucht immer zwei Seiten

Zürich, 28.7.16 (kath.ch) Trotz Sommerloch haben die Medien alle Hände voll zu tun: Die Terrorattacken und Amokläufe häufen sich und damit Schlagzeilen wie «Terror in München», «IS-Terror-News». Und zuletzt: «IS-Attentat im Gottesdienst». Die letzte Schlagzeile sorgt für einen Begriff, der in Europa lange nicht mehr verwendet wurde: «Religionskrieg». kath.ch hat Reaktionen auf den Mord an einem Priester am 26. Juli in Rouen gesammelt.

Francesca Trento

Während dem Gottesdienst einen Priester zu töten, sei «klar ein Zeichen des Religionskrieges». Das sagte Gilbert Casasus, Frankreich-Experte und Professor für Europastudien gegenüber der Gratis-Zeitung 20 Minuten (27. Juli). Der Angriff auf den 84-jährigen Priester in Rouen könne als «Racheakt auf die Kreuzzüge während des Mittelalters» interpretiert werden, so Casasus weiter.

Kreuzzüge als Grund?

Dies bekräftigte sogar die IS-Agentur «Amak», die laut Basler Zeitung (BaZ, 27. Juli) kurz nach der Ermordung des katholischen Priesters mitgeteilt habe, die Täter seien «Soldaten des IS» gewesen. Diese seien dem Aufruf gefolgt, «die Staaten der Kreuzfahrer-Koalition» anzugreifen.

Das Christentum hat mit den Kreuzzügen zwar eine blutige Lache in seiner Geschichte hinterlassen. Muss diese Tat  in Rouen jedoch, nur weil in einer katholischen Kirche ausgeübt, auf die damaligen Kreuzzüge hinweisen? Und wenn ja: wie begründet der IS dann den Mord an Muslimen, der einen weitaus grösseren Teil der Opfer unter Terrorattacken darstellt?

«Das hier ist Krieg»

Der Papst äusserte sich zu dem Fall in Rouen ebenfalls. Und er nannte die heutige Weltlage beim Namen, wie die KNA berichtete (28. Juli): «Das hier ist Krieg. Er ist vielleicht nicht sehr durchgeplant, organisiert, ja, aber geplant.» Und er setzte noch einen drauf: «Wenn ich von Krieg spreche, spreche ich ernsthaft von Krieg. Nicht von Religionskrieg, nein.» Es gebe einen Krieg  der Interessen, um Geld, um natürliche Ressourcen oder m die Herrschaft der Völker. Es sei kein Religionskrieg, «denn Religionen wollen alle den Frieden. Verstanden?», so der Papst.

«Kein Feind des Islams»

Nicht für alle bedeute die Ermordung des 84-jährigen Priesters von Rouen eine Ansage zum Religionskrieg. Laut Bernard Bovigny, Mitarbeiter der Kommunikationsstelle der Schweizer Bischofskonferenz, brauche es für einen Krieg immer zwei Parteien. «Die katholische Kirche ist jedoch kein Feind des Islams», sagte er gegenüber 20 Minuten (27. Juli). Ebenso unterscheidet er zwischen IS-Attentäter und Muslimen. Erstere seien nicht «echte Muslime», sondern «fehlgeleitete Gläubige, welche die Friedensbotschaft von Gott nicht verstanden haben.»

Einen Priester während dem Gottesdienst in der eigenen Kirche zu töten, wird mehr als ein Mord angesehen. Es ist ein symbolischer Akt gegen das Allerheiligste einer Religion. «Diese Gewalttat ist offensichtlich gegen Christen gerichtet, betrifft aber alle Menschen guten Willens», schreibt Gottfried Locher, Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds und Vorsitzender des Schweizerischen Rates der Religionen in einer Mitteilung. Es handle sich um «monströse Herausforderung des Bösen, der wir gemeinsam, über Glaubensgrenzen hinweg, entgegentreten» müssten.

Gespräch der Religionen nötig

Das sah auch Frankreichs Präsident François Hollande so, der als Reaktion auf den Anschlag Religionsvertreter zum Gespräch in den Elysée-Palast einlud, wie die katholische Nachrichtenagentur (KNA) am 27. Juli berichtete.

Der Dialog unter den Religionen müsse gestärkt geführt werden, betonte Vize-Präsident der Muslime in Frankreich (CFCM), Ahmet Ogras. «Wir müssen noch mehr Fortschritte bei Begegnung und Dialog machen», sagte er. Dieser Meinung ist laut KNA (28. Juli) auch der evangelische Bischof Markus Dröge.  Juden, Christen und Muslime «bekennen sich zu dem einen barmherzigen Gott», so Dröge. Die Strategie der Hassprediger, die Welt in Angst und Schrecken zu versetzen und die Religionen gegeneinander aufzubringen, dürfe nicht aufgehen.

Manipulation durch Medien

Was auch immer diese Täter mit dem Mord an dem Priester bezwecken wollten, etwas haben sie erreicht: die ganze Welt schaut ihnen zu, fürchtet sich und verleiht ihnen dadurch eine gewisse Macht. Und genau nach dieser lechze der IS-Terrorismus, wie unter anderem Infosperber in einem Artikel über »Unverantwortliche Angstmacherei mit ‘Terror’» (23. Juli) berichtete. Laut diesem Artikel missbrauchten Medien Begriffe wie «Terror», «Terroranschlag» und «IS-Attentat» um die Einschaltquoten zu erhöhen. Beim Amoklauf am 14. Juli in Nizza hiess es nach der Tat mit einem LKW ohne weitere Abklärungen, es handle sich um einen Terroranschlag – obwohl es keiner war. Die Furcht der Bevölkerung wachse und dadurch auch die Macht der wirklichen Terrororganisationen, so Infosperber weiter.

Gefährlicher Nachahmungseffekt

Trotzdem: In den letzten zwei Wochen häuften sich solche Gräueltaten in der Tat. Islamexpertin Saïda Keller-Messahli sieht die Häufung der Attentate nicht als Zufall. Sie gab gegenüber «Blick» (27. Juli) eine mögliche Erklärung dafür: «Erfolgreiche Anschläge können bei IS-Sympathisanten Fantasien von Allmacht und Heroismus anregen», so Keller-Messahli. Dasselbe wird auch von Amokläufern gesagt, deren Taten immer etwas gemeinsam haben: den Nachahmungseffekt.

Dieser Terror-Medien-Hype öffnet potentiellen Tätern Türen, begangene Morde nachzuahmen, wie auch das Basler Institut für Gemeingüter und Wirtschaftsforschung in einer Stellungnahme (16. Juli) mitteilte. Das Institut wendet sich darin gegen die «Terror-Hysterie», welche Nachahmer zu «ähnlichen, unkalkulierbaren Taten» ermuntere.

«Nicht mit Rache begegnen»

Laut der BaZ (27. Juli) reagierte Ex-Präsident Nicolas Sarcozy nach der Ermordung des Priesters mit folgendem Satz: «Wir müssen unbarmherzig sein.» – Das nach der Ermordung im christlichen Gotteshaus. Eine solche Aussage ist jedoch alles andere als christlich und passt auch nicht in das Jahr 2016: das Jahr der Barmherzigkeit.

Das heisst nicht, dass die Tat einfach zu tolerieren ist. Rache ist menschlich. Trotzdem müssten sich Christen auf die Barmherzigkeit Gottes berufen und nicht der Rache verfallen, so verschiedene Kirchenvertreter. Laut BaZ (27. Juli) sagte der Erzbischof von Rouen, Dominique Lebrun, folgendes: «Unsere einzige ‹Waffen› sind das Gebet und die Geschwisterlichkeit.»

Nicht ins Spiel des IS verwickeln lassen

Ebenso dürften sich die Gläubigen Frankreichs nicht in das politische Spiel des IS verwickeln lassen, wie  Erzbischof von Paris, André Vingt-Trois, an dem von Präsident Hollande einberufenen Treffen im Elysée-Palast sagte. Die Terroristen versuchten, «Kinder der gleichen Familie» gegeneinander auszuspielen, so Vingt-Trois. Umso wichtiger sei es, in diesen Momenten zusammenzustehen, wie die KNA am 27. Juli berichtete.

Ähnlich reagierte damals schon Margrit Kässmann, frühere Ratspräsidentin der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), nach dem Attentat in Brüssel am 22. März: «Wir sollten versuchen, den Terroristen mit Beten und Liebe zu begegnen.» Sie plädierte auch dafür, sich nicht einschüchtern zu lassen. «Damit zeigen wir den Terroristen: Wir lassen uns von euch nicht Angst machen! Wir lassen uns unsere Freiheit nicht nehmen.» (Spiegel-Online, 27. März)

Hätte der Mord verhindert werden könne?

Nun ist über den Täter bekannt geworden, dass er schon 2015 versuchte nach Syrien in den «Jihad» zu reisen, wie die BaZ weiter schrieb. Frankreich hielt den Täter davon ab, holte ihn zurück und verhaftete ihn. Am 22. März wurde er aus der Untersuchungshaft entlassen, musste jedoch unter Polizeikontrolle eine Fussfessel tragen. Seine Wohnung in Saint-Etienne-du-Rouvray durfte er zwischen 8 und 12 Uhr verlassen. Während dieser Zeit tötete er am 26. Juli den Priester.

Ist die Antwort Sarkozys der Unbarmherzigkeit nicht ledigeich eine Ablenkung von der Schuld Frankreichs? Hätte der Mord nicht verhindert werden können? Wieso wird ein Mann, der eindeutig in den «Jihad» will, wieder freigelassen? Laut KNA argumentierte der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick eben mit diesem womöglichen Fehler Frankreichs. Seiner Meinung nach müssten straffällige Flüchtlinge ausgewiesen oder inhaftiert werden. Schick plädierte auch dafür, dem Terrorismus nicht noch mehr Macht durch Angst zu geben. Es sei wichtig, «dass wir miteinander eine Gesellschaft bilden, in der Ängste nicht überhandnehmen».

Gastkommentar des Jesuiten Franz-Xaver Hiestand zum Attentat in Rouen

kath.ch-Bloggerin Sarah Münch Cobos über «Terrorismus hat keine Reliion»

28. Juli 2016 | 14:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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