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Schweiz

Asylmissbrauch durch die Hilfswerke? – Zu den Vorwürfen von Nationalrat Andreas Glarner

Luzern, 13.10.17 (kath.ch) Der SVP-Politiker Andreas Glarner sieht sich durch die Berichterstattung in der Gratiszeitung «20 Minuten» bestätigt, dass «die Hilfswerke schon immer als Schlepper oder Helfer tätig gewesen» seien. Mit seiner Formulierung greift der Aargauer Nationalrat pauschal alle Hilfswerke an. kath.ch hat bei Caritas Schweiz nachgefragt, ob Hilfswerkmitarbeitende nicht tatsächlich vor einem Dilemma stehen, wenn sie Asylsuchenden unterstützen wollen und die rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. 

Odilo Noti, Leiter Kommunikation und Marketing sowie Mitglied der Geschäftsleitung von Caritas Schweiz, hält fest, dass sich die Arbeit von Hilfswerken immer auf dem Boden der Rechtsordnung bewege. Die Arbeit als Rechtsbeistand sei durch das Vertrauensverhältnis zwischen Klient und Anwalt sicher anspruchsvoll. Doch dies treffe auf jede Form eines Anwaltsmandats zu und beschränke sich nicht auf die Vertretung von Asylsuchenden. Dass Hilfswerke auf diese Art an den Pranger gestellt würden, bezeichnet der Mediensprecher als «unseriös und unstatthaft».  kath.ch publiziert die Stellungnahme von Caritas Schweiz zu den Vorwürfen des SVP-Politikers im Wortlaut.

 

1. SVP-Nationalrat Andreas Glarner fährt in der Gratiszeitung «20 Minuten» schweres Geschütz gegen die Hilfswerke auf: Er sieht sich in seiner Annahme bestätigt, «dass die Hilfswerke schon immer Asylsuchenden beim Betrügen geholfen haben und das Asylrecht missbrauchen». An sich ist der Vorwurf des Betrugs ungeheuerlich, weil er den Hilfswerken systematische Verstösse gegen die geltende Rechtsordnung unterstellt. Aber es ist allgemein bekannt, dass es Nationalrat Glarner mit der Wahrheit nicht allzu genau nimmt.

In den Social Media pflegt er seine Kritiker und Kritikerinnen aufs übelste zu beschimpfen. Und im Vorfeld der letzten Asylgesetzrevision verbreitete er folgende Unwahrheit: «Der Bund kündigt in Chiasso langjährigen Mietern im AHV-Alter, weil er Platz für 500 Asylbewerber braucht». Der Bund, der davon nichts wusste, dementierte unverzüglich. FDP-Ständerat Philipp Müller, alles andere als ein Linker, attestierte seinem Kollegen «fehlende Sachkenntnis»: «Glarner weiss nicht, worum es geht». Dieses Verdikt ist auch für die SVP nicht sehr rühmlich, ist Glarner in der Partei doch Chef des Asyldossiers.

Die Schweiz verfügt heute über eines der härtesten Asylgesetze in Europa

2. Nicht nur der Umstand, dass Glarner inkompetent ist und oft lügt, gehört zum kritischen Verständnis seiner Aussage. Wichtig ist auch die Tatsache, dass die Schweiz heute über eines der härtesten Asylgesetze in Europa verfügt. Seit über 30 Jahren versucht die Schweiz, für Asylsuchende und Flüchtlinge unattraktiv zu werden. In grosser Regelmässigkeit verschärfte sie immer wieder ihre Gesetze. Als erster Staat registrierte die Schweiz flächendeckend die Fingerabdrücke für Asylsuchende. Und ebenfalls als erster Staat führte sie 1990 die «Safe-Country»-Regel ein, wonach auf Asylgesuche aus einem als sicher geltenden Land nicht mehr eingegangen werden muss (selbst wenn es um verfolgte Minderheiten geht). Die Rekursfristen gegen Entscheide wurden verkürzt, und es gibt mit dem Bundesverwaltungsgericht nur eine einzige Beschwerdeinstanz, die endgültig entscheidet.

3. Die Rechtsanwälte, die als Mitarbeitende der Caritas für Asylsuchende in der Rechtsvertretung ein Mandat wahrnehmen, haben die Standesregeln des Schweizerischen Anwaltsverbandes zu befolgen. Darin unterscheiden sie sich von keinem anderen Anwaltsmandat oder Berufskollegen. Deshalb üben sie «ihren Beruf im Einklang mit der Rechtsordnung sorgfältig und gewissenhaft aus» (Art. 1). Sodann sind sie nicht einfach der verlängerte Arm ihrer Klienten: «Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte üben ihren Beruf unabhängig aus und schaffen gegenüber der Klientschaft klare Verhältnisse» (Art. 2).

Wie für jedes andere Anwaltsmandat gilt auch für Mandate im Asylverfahren: «Sie ergreifen alle rechtmässigen Massnahmen, die zur Wahrung der Interessen ihrer Mandanten erforderlich sind» (Art. 8). Und es gilt das Berufsgeheimnis: «Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte unterstehen zeitlich unbegrenzt und gegenüber jedermann dem Berufsgeheimnis über alles, was ihnen infolge ihres Berufs von Mandanten anvertraut worden ist» (Art. 15). Das heisst dreierlei: Erstens: Wir bewegen uns strikt im Rahmen der geltenden Gesetze. Zweitens: Wir nehmen eine Funktion wahr, die als solche von den Behörden rechtsstaatlich anerkannt ist. Drittens: Die Mitarbeitenden, die als Anwälte im Asylverfahren tätig sind, halten sich an die Standesregeln des Schweizerischen Anwaltverbandes.

Wir nehmen eine Funktion wahr, die von den Behörden rechtsstaatlich anerkannt ist

4. Caritas Schweiz führt in Luzern, Goldau und Fribourg drei Rechtsberatungsstellen für Asylsuchende, die in den Kantonen Luzern, Zug, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Uri und Fribourg wohnhaft sind. Für die Führung dieser Rechtsberatungsstellen hat sie Richtlinien formuliert, die unter anderem die Grundprinzipien der Rechtsberatungstätigkeit von Caritas Schweiz umschreiben. Mit ihrem Rechtsdienst setzt sich die Caritas ein für eine an den Menschenrechten und an humanitären Prinzipien orientierte Asyl- und Ausländergesetzgebung.

Ziel der Rechtsberatung ist es, den Asylsuchenden eine korrekte Handhabung der gesetzlichen Bestimmungen zu ermöglichen. Denn alle Asylsuchenden haben Anspruch auf ein faires und korrektes Asylverfahren. Es gilt: «Der Rechtsdienst von Caritas Schweiz steht dabei strikt auf dem Boden des Rechtsstaates und orientiert sein Handeln ausschliesslich an den einschlägigen völker- und landesrechtlichen Bestimmungen» (Absatz 2 der Caritas-Richtlinien).

5. Die Rechtsberatung der Caritas im Asylbereich besteht aus zwei Elementen. Zum einen versteht sie sich als «Vorgehens- und Chancenberatung». Asylsuchende, die an die Caritas gelangen, erhalten Informationen über die Perspektiven ihres Aufenthalts im Sinne einer Vorgehens- und Chancenberatung. Asylsuchende sollen ein realistisches Bild über ihre Rechtslage erhalten und so allenfalls auch frühzeitig in die Lage versetzt werden, eine freiwillige Rückkehr ins Auge zu fassen. So werden beispielsweise negative Asylentscheide des Staatssekretariats für Migration oder Verfügungen anderer Behörden den Betroffenen erklärt und auf ihre Rechtmässigkeit überprüft. Für den Fall, dass eine Beschwerde möglich ist, werden die Erfolgsaussichten geklärt.

Die Rechtsberatungsstellen von Caritas Schweiz sollen primär mittellosen Asylsuchenden offenstehen

6. Die Rechtsberatung der Caritas kann zum anderen auch in einer «Mandatsübernahme» bestehen, und zwar wenn folgende Bedingungen gegeben sind: a) Glaubhaft gemachte Flüchtlingseigenschaften oder Non-Refoulement-Gründe; b) Schwere Verfahrensfehler, die eine schlüssige Beurteilung verhindern, ob ein Asylsuchender im Falle einer erzwungenen Rückkehr in den Heimat- oder Herkunftsstaat an Leib, Leben oder Freiheit gefährdet wäre; c) Vorliegen eines schweren persönlichen Härtefalls, so dass eine erzwungene Rückkehr in den Heimat- oder Herkunftsstaat unzumutbar erscheint.

Massgebend für eine Mandatsübernahme ist nicht der Wunsch des Klienten, eine Beschwerde einzureichen, sondern die objektive Einschätzung des Entscheides durch die Juristin oder den Juristen. Ein Mandat soll nur übernommen werden, wenn die Flüchtlingseigenschaft nicht richtig beurteilt, ein Wegweisungsentscheid zu Unrecht gefällt wurde oder schwerwiegende Verfahrensfehler vorliegen. – Die Rechtsberatungsstellen von Caritas Schweiz sollen primär mittellosen Asylsuchenden offenstehen. Asylsuchende, die über ein Erwerbseinkommen oder ein Vermögen verfügen, werden grundsätzlich an private Advokaturbüros verwiesen.

7. Jährlich führen Juristinnen und Juristen der Caritas 1000 persönliche Beratungen durch. Nur in rund 10 Prozent der Fälle werden Mandate übernommen. Darüber hinaus werden jährlich rund 6000 telefonische Beratungen geleistet. Beraten werden aber nicht nur Asylsuchende, sondern oft auch Schweizerinnen und Schweizer, Mitarbeitende von Behörden und Pfarreien sowie Rechtsanwälte. Zwei Drittel der Beschwerden, welche die Rechtsberatungsstellen im Mandat beim Bundesverwaltungsgericht einreichen, werden gutgeheissen, was eine sehr «hohe Erfolgsquote» darstellt. Im Durchschnitt wird nämlich nur jede zehnte Beschwerde gutgeheissen.

Asyl | © Pixabay
13. Oktober 2017 | 17:10
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