Anti-Rassismus-Bericht warnt vor «sanftem Einstieg» in Radikalität

Zürich, 21.3.16 (kath.ch) Zum Internationalen Tag gegen Rassismus erscheint der Antirassismusbericht 2015. Er wurde herausgegeben vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) und der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA). Fazit: Ein Rückgang antisemitischer Vorfälle und ebensolcher Inhalte im Internet, dennoch bleibe die Hemmschwelle für Hetze im Netz tief, teilen die beiden Organisationen in einer gemeinsamen Mitteilung mit.

Der Antirassimusbericht 2015 verzeichnet 16 antisemitische Vorfälle in der Deutschschweiz gegenüber 66 im Vorjahr. Die Hauptursache hierfür sehen SIG und GRA darin, dass es 2015 «keine militärische Eskalation mit israelischer Beteiligung» gab.

Registriert wurden zwei antisemitisch motivierte körperliche Übergriffe: Im einen Fall seien junge Fussballer antisemitisch beleidigt und geohrfeigt worden, im anderen beschimpften und bespuckten Neonazis einen Mann. Im Internet hätten die Spannungen in Israel auch in der Schweiz zu antisemitischen Kommentaren geführt, dabei sei jedoch keine Dynamik entstanden wie während des Gaza-Kriegs 2014. «Die Hemmschwelle im Internet bleibt aber tief», teilen die beiden Organisationen mit.

Schwerpunkt: Hetze im Netz

Ein Schwerpunktbeitrag des Antirassismusberichts stammt von zwei Gewaltforschern des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung. Sie zeigen auf, dass Hetzer im Netz nicht mit Konsequenzen für ihr Handeln rechnen. Gründe dafür seien die Anonymität, physische Distanz und fehlende nonverbale Reaktionen.  So könne ein «sanfter und niedrigschwelliger Einstieg in radikale und extremistische Lebenswelten» begünstigt werden. Heute sei es ein Leichtes, sich von der Gesellschaft abzuwenden und irgendwo auf der Welt Gleichgesinnte in Foren und Netzwerken zu finden, die die persönlichen Einstellungen teilten und mitunter verstärkten. «Es werden auch flankierende soziale Reize ausgeschaltet: Ich sehe nicht, wie mein Gegenüber reagiert, es gibt weder Mimik noch Gegenreaktion. Das hilft, gewisse Hemmschwellen zu überschreiten. Die Empathie kann dabei auf der Strecke bleiben», sagt Nils Böckler im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» (21. März). Im Vergleich zu Hassbotschaften im Internet ist die physische Gewalttat gemäss Nils Böckler und Andreas Zick, den Autoren der Studie, «meist mit eindeutig höheren Hemmschwellen verbunden.

«Hass im Internet, egal ob es sich um Antisemitismus, Sexismus oder Fremdenfeindlichkeit handelt, muss entschieden entgegen getreten werden», fordern die Autoren in ihrem Fazit. Dies müsse zum einen in der Onlinewelt durch Monitoring und Meldeverfahren geschehen. Hass im Netz müsse aber auch in der Offlinewelt thematisiert werden: Nötig sei hier mehr Aufklärung in den Sozialisationskontexten von Jugendlichen, so Böckler und Zick. Eine strikte Trennung zwischen On- und Offlinewelt sei heute nicht mehr haltbar. Darauf müssten sich auch Prävention und Intervention einstellen: Pädagogische und politische Programme müssten auch berücksichtigen, «wie schnell ein Phänomen aus dem Internet auf die Strasse gelangen kann.»

Einstellungen kaum verändert

Aus dem Rückgang der 2015 registrierten Vorfälle lässt sich laut SIG und GRA nicht auf eine entsprechende Abnahme antisemitischer Einstellungen schliessen, so der Bericht weiter. Die Studie «Zusammenleben in der Schweiz», die im Auftrag der Fachstelle für Rassismusbekämpfung durchgeführt wurde und Anfang 2015 erschienen ist, zeige auf, dass die gesamtgesellschaftliche Verbreitung antisemitischer Einstellungen relativ stabil sei und bei rund 10 Prozent der Schweizer Bevölkerung liege.

Im Jahr 2014 hatten SIG und GRA zusammen 25 Strafanzeigen eingereicht gegen Personen, die auf Facebook gegen Juden gehetzt hatten. In den Fällen, in denen die Täter identifiziert werden konnten, kam es zu einer Verurteilung wegen Verstosses gegen die Rassismusstrafnorm. Mehrere Verfahren mussten jedoch eingestellt werden, weil die Facebook-User nicht identifiziert werden konnten.

GRA und SIG gehen davon aus, dass diese Anzeigen und die entsprechenden Medienberichte ebenfalls dazu geführt haben könnten, dass auf Schweizer Facebookseiten 2015 seltener und weniger drastisch gegen Juden gehetzt wurde als im Jahr zuvor.

Das Fazit des Berichts fällt durchzogen aus: Einerseits sei es erfreulich, dass weniger Vorfälle registriert werden mussten, andererseits gehen die Organisationen davon aus, dass sich die antisemitischen Einstellungen wahrscheinlich nicht sehr geändert hätten. «Die Zukunft wird zeigen, ob das Bewusstsein dafür, dass diskriminierende Hetze auch im Internet strafbar sein kann, tatsächlich gestiegen ist.» (sys)

21. März 2016 | 12:30
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