Alfred Bodenheimer, Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an der Uni Basel.
Namenstag

Alfred Bodenheimer: Ich heisse Alfred und Abraham, weil…

Als Jude feiert Alfred Bodenheimer heute das Laubhüttenfest Sukkot. Wäre er Katholik, könnte er heute Namenstag feiern. Denn er heisst nicht nur Alfred, sondern auch Abraham. Wie sein Grossvater, der in Basel viele Juden vor den Nazis rettete.

Raphael Rauch

Warum haben Sie zwei Namen – Abraham und Alfred?

Alfred Bodenheimer*: Das geht auf die Geschichte der Emanzipation und Verbürgerlichung der Juden im 19. Jahrhundert zurück. Juden hatten lange Zeit eigene, hebräische oder biblische, manchmal ins Jiddische verwandelte Namen. Da viele nun auch Teil der allgemeinen Gesellschaft sein wollten, ohne ihre jüdische Identität aufzugeben, wählten sie neben dem jüdischen Namen, der etwa für Ehe-Urkunden, Grabsteine, Gebete für Kranke oder den Aufruf zur Torahlesung wichtig ist, bürgerliche Namen. Das waren zuweilen solche, die an den hebräischen Namen anklangen. 

Alfred Bodenheimer
Alfred Bodenheimer

Und warum ist Ihr jüdische Name Abraham?

Bodenheimer: Mein Grossvater wurde vor 130 Jahren geboren. Neben seinem jüdischen Namen Abraham – hebräisch «Avraham» mit Betonung auf der letzten Silbe – erhielt er auch den Namen Alfred. Und da es ein Brauch ist, Kinder nach verstorbenen Vorfahren zu benennen, «erbte» ich diesen Namen, als ich gut anderthalb Jahre nach seinem Tod geboren wurde.

«Mein Grossvater spielte im Basler und Schweizerischen Judentum eine gewisse Rolle.»

Welcher Name gefällt Ihnen besser – und warum?

Bodenheimer: Alfred ist halt der Rufname, mit dem ich sehr viel mehr umgehe. Als ich ihn Mitte der 1960er-Jahre erhielt, war er völlig «out». Nur ein Junge in meiner Umgebung hiess gleich, sonst nur alte Leute und die Butler von Dagobert Duck in den «Lustigen Taschenbüchern». Aber dadurch hatte der Name auch eine gewisse Originalität, mit der ich gut lebe. Und er war eben der Name meines Grossvaters, einer noch in meiner Kindheit bei vielen sehr präsenten Figur. Denn mein Grossvater spielte im Basler und Schweizerischen Judentum eine gewisse Rolle – auch bei der Rettung von Flüchtlingen zur Zeit des Dritten Reiches. Das oft zu hören, gab mir zusätzliches Selbstbewusstsein.

Ausschnitt aus dem Kirchenfenster "Isaaks Opferung" von Sigmar Polke im Zürcher Grossmünster.
Ausschnitt aus dem Kirchenfenster "Isaaks Opferung" von Sigmar Polke im Zürcher Grossmünster.

Was bedeutet Ihnen der Name Abraham?

Bodenheimer: Avraham ist für mich als biblischer Namensgeber von enormer Bedeutung. Er war ein Pionier, der Neues unerschrocken in Angriff nahm, Leute für seine Überzeugungen zu begeistern vermochte, unbestechlich, kompromisslos auch Gott gegenüber, mit dem er über das Überleben der Leute von Sodom rechtete. Dieser Charakter hat für mich immer schon einen faszinierenden Vorbildcharakter und über meinen Namen eine grosse Identifikationskraft besessen. Der biografische Zufall wollte es, dass ich, da ich im Herbst geboren bin, im Torahzyklus zu meiner Barmizwa genau die Bibelstelle im Buch Genesis vorlesen konnte, bei der Gott dem Avram, wie er ursprünglich heisst, den Ehrennamen Avraham gibt. Diese Stelle vorzulesen, war für mich von höchster Bedeutung.

«Ich habe immer peinlich darauf geachtet, nicht Fredi oder Fred genannt zu werden.»

Haben Sie einen Spitznamen?

Bodenheimer: Als Jugendlicher wurde ich von Kollegen «Alfi» oder «Bodi» gerufen – nicht besonders originell. Ich habe immer peinlich darauf geachtet, nicht «Fredi» oder «Fred» genannt zu werden, denn die zweite Hälfte des Namens «Alfred» empfinde ich eindeutig als die hässlichere.

"Isaaks Opferung" von Sigmar Polke im Zürcher Grossmünster.
"Isaaks Opferung" von Sigmar Polke im Zürcher Grossmünster.

Wie hätten Sie geheissen, wenn Sie ein Mädchen geworden wären?

Bodenheimer: Batja, soweit ich weiss. Hier hätten meine Eltern offenbar keine Spielereien mit deutschen und hebräischen Namen gemacht und mich auch nicht nach einer Verwandten benannt.

Gibt es im Judentum so etwas wie einen Namenstag?

Bodenheimer: Nein, das gibt es nicht. Es gibt die Todestage berühmter Persönlichkeiten, die manche Menschen beachten und in irgendeiner Weise begehen. Aber auf Namensgebungen hat das kaum Einfluss.

«Benedikt ist eigentlich hebräisch ‘Baruch’.»

Wie jüdisch muss ein Vorname im Jüdischen sein? Oder wäre es auch möglich, sein Kind Christian, Benedikt oder Paris zu nennen? 

Bodenheimer: Ich kenne einen jüdischen Mann namens Christoph und weiss von einem weiteren. Das sind meistens Ergebnisse komplizierter Familiengeschichten, oft auch mit interreligiösen Ehen verbunden. Sonst gibt es das praktisch kaum. Benedikt ist eigentlich hebräisch «Baruch» – wie Spinoza, durchaus ein jüdischer Name. Da gibt es wenige Grenzen, wenn der Verweis nicht ausdrücklich christlich ist. Allerdings bestehen offenbar auch regionale Differenzen. Ich habe einen gleichaltrigen jüdischen Bekannten, der Patrick heisst – jüdisch Shlomo, also Salomon. Der Name Patrick war in der jüdischen Gemeinde in der Schweiz nichts Aufsehenerregendes. Als er allerdings in die USA kam, waren jüdische Leute dort sehr erstaunt über diesen Namen, der dort offenbar klar christlich konnotiert ist.

Jüdische Beschneidungszeremonie  © KNA
Jüdische Beschneidungszeremonie © KNA

Das Judentum kennt keine Taufe, sondern ein anderes Ritual der Namensgebung.

Bodenheimer: Männliche jüdische Babys werden am achten Lebenstag beschnitten. Das Fest heisst auf hebräisch «Brit Mila» und bedeutet übersetzt «Bund der Beschneidung». Auch die jiddische Bezeichnung «Bris» ist geläufig. Während der Beschneidungsfeier wird der Name des Jungen verkündet. In der Regel flüstert der Vater des Babys dem Beschneider den Namen zu, der ihn dann wenige Sekunden nach der Beschneidung verkündet – verbunden mit einer Formel des Segens für das Kind. Die Beschneidung steht für den Bund zwischen Gott und Abraham, wird aber auch von den meisten säkularen Juden praktiziert als Zeichen der Zugehörigkeit zum jüdischen Volk.

«In Israel gibt es das Fest ‘Simchat Bat’, was übersetzt ‘Tochterfreudenfest’ heisst.»

Und was ist mit Mädchen?

Bodenheimer: Da die jüdischen Gesetze kein entsprechendes Ritual für Mädchen vorsehen, haben sich in manchen Gemeinden Namensgebungsfeiern für Mädchen etabliert. Dafür gibt es unterschiedliche Bezeichnungen – in Israel etwa «Simchat Bat», was übersetzt «Tochterfreudenfest» heisst. Bei orthodoxeren Familien werden dort einige Bibelpassagen zitiert und eventuell die Bedeutung des Namens von den Eltern den Festgästen erklärt. Und es gibt ein Essen, wie es auch anschliessend an Beschneidungen immer stattfindet.

Im süddeutsch-elsässischen Raum gibt es das Fest Holegrasch. Es stammt vom Französischen «haut la crèche», «hoch die Krippe», bei dem die Wiege des Kindes dreimal aufgehoben wird mit dem Ausruf «holegrasch, holegrasch, wie soll›s Bubbele heisse». Dann wird der jüdische Name des Mädchens verkündet. All diese Feiern für Mädchen haben aber nicht die religiöse Bedeutung einer Beschneidung.

Die Synagoge der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich.
Die Synagoge der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich.

Gibt es auch was Typisches fürs Schweizer Judentum?

Bodenheimer: Früher war die Holegrasch noch einigermassen verbreitet, heute scheint mir das weniger der Fall zu sein. Aber das Schweizer Judentum ist ein Amalgam von Menschen, die ihre Bräuche von irgendwoher mitgebracht haben, dem Elsass, Süddeutschland, später Osteuropa. Deshalb gibt es wenig «Typisches» für die Schweiz.

* Alfred Bodenheimer ist Professor für Religionsgeschichte und Literatur des Judentums an der Universität Basel. Er lebt in Basel und Jerusalem. Er ist auch erfolgreicher Krimi-Autor: «Mord in der Strasse des 29. November: Ein Jerusalem-Krimi» ist im Kampa-Verlag erschienen.

In der katholischen Liturgie haben Abraham und Sara am 9. Oktober Namenstag: Die Kirche feiert die Stammeltern des jüdischen Volkes.


Alfred Bodenheimer, Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an der Uni Basel. | © Keystone
9. Oktober 2022 | 05:00
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