Urban Federer, Abt des Klosters Einsiedeln
Konstruktiv

Abt Urban Federer: Geflüchtete aufzunehmen, liegt in der DNA unseres Ordens

Das Kloster Einsiedeln will Menschen aus der Ukraine aufnehmen. «Wir haben uns beim Kanton gemeldet», sagt Abt Urban Federer. «Nach zwei Jahren Pandemie, die unsere Gesellschaft tief gespalten hat, merke ich, wie diese Krise nun die Menschen bei uns wieder mehr zusammenbringt.»

Jacqueline Straub

Derzeit tobt Krieg in Europa. Was macht das mit Ihnen?

Abt Urban Federer*: Ich bin tief betroffen. Ich glaube, dass keiner davon ausgegangen ist, dass solch ein schlimmer Krieg direkt vor unserer Haustüre passieren wird. Lange habe ich gehofft, dass die Diplomatie stärker ist. Und nun muss ich mit ansehen, wie einmal mehr Menschen unter die Räder kommen, weil die Probleme auf diplomatischem Weg nicht lösbar waren.

Abt Urban Federer in der Klosterkirche Einsiedeln im März 2021.
Abt Urban Federer in der Klosterkirche Einsiedeln im März 2021.

Bereits mehr als zwei Millionen Menschen sind aus der Ukraine geflohen. Auch die Schweiz erwartet Geflüchtete. Wird das Kloster Einsiedeln Geflüchtete aufnehmen?

Federer: Ja. Wir haben uns beim Kanton gemeldet und mitgeteilt, dass wir bereit sind, Geflüchtete bei uns im Kloster aufzunehmen.

«2015 haben wir eine ganze Gruppe aus Eritrea bei uns aufgenommen.»

Haben Sie Erfahrung mit der Aufnahme von Geflüchteten?

Federer: In der Vergangenheit haben wir immer wieder Flüchtlinge aufgenommen und versucht, sie bei uns zu integrieren. Zuerst waren Menschen aus dem Balkan bei uns, dann aus Sri Lanka, dann aus Afghanistan. Manche von ihnen arbeiten noch immer bei uns im Kloster.

Im Jahr 2015 haben wir dann eine ganze Gruppe aus Eritrea bei uns aufgenommen. Damals kam der Kanton auf uns zu und fragte, ob wir eine grössere Gruppe von geflüchteten Männern beherbergen könnten. Der Kanton hat die Betreuung garantiert, ebenso Übersetzer gestellt und Deutschkurse organisiert.

Haben Sie die jungen Männer in den Klosteralltag integriert?

Federer: Mir war es wichtig, dass sie arbeiten können. Denn ohne Arbeit ist der Mensch psychisch und seelisch noch mehr im Ungleichgewicht. So haben die Männer uns im Stall unterstützt. Da sie keine Arbeitsbewilligung hatten, konnten sie keinen grösseren Arbeiten nachgehen. Ich habe auch versucht, Begegnungen mit den Jugendlichen unserer Schule zu ermöglichen. Wir haben etwa Fussballturniere organisiert. Es gab aber nur punktuelle Begegnungen, weil es wichtig ist, dass Geflüchtete genügend Freiraum haben, um all das Erlebte und das Einleben in einem fremden Land zu verarbeiten.

Die Schwarze Madonna von Einsiedeln
Die Schwarze Madonna von Einsiedeln

Hatten Sie auch Befürchtungen?

Federer: Anfangs hatte ich Angst, so viele junge Männer bei uns aufzunehmen. Denn es waren nicht nur orthodoxe Christen darunter, sondern auch Muslime. Ich habe mich gefragt, was wohl passieren könnte, wenn sie auf engem Raum zusammenleben müssen. Ich habe sie dann alle in die Gnadenkapelle geführt und ihnen vor Maria gesagt, dass wir Christen Maria als Mutter Gottes verehren und der Koran die Mutter Jesu ebenfalls kennt und ehrt und ihr eine Sure widmet. «Schaut, dass ihr euch gegenseitig als Brüder anerkennt, denn ihr habt eine gemeinsame Mutter», sagte ich ihnen. Das war für alle ein schönes Erlebnis.

«Viele hatten Angst, dass nun ganz Einsiedeln voll ist mit Geflüchteten aus Eritrea.»

Welche Hürden gab es sonst zu meistern?

Federer: Anfangs war eine gute Kommunikation mit der Bevölkerung von Nöten. Viele hatten Angst, dass nun ganz Einsiedeln voll ist mit Geflüchteten aus Eritrea. Wir konnten ihnen diese Ängste aber schnell nehmen.

Friedensdemo in Solothurn, 4. März
Friedensdemo in Solothurn, 4. März

Hat die Dorfbevölkerung nun auch wieder Angst vor den Geflüchteten aus der Ukraine?

Federer: Ich spüre eine riesige Solidarität in ganz Europa. Ich vernehme keine Angst, sondern viel Hilfsbereitschaft. Gerade nach zwei Jahren Pandemie, die unsere Gesellschaft tief gespalten hat, merke ich, wie diese Krise nun die Menschen wieder mehr zusammenbringt. Im Moment steht die Solidarität im Mittelpunkt, nicht die Spaltung.

«Wir im Kloster Einsiedeln sind jederzeit bereit, Geflüchtete aufzunehmen.»

Wie viele Geflüchtete erwarten Sie nun aus der Ukraine?

Federer: Das weiss ich nicht. Auch weiss ich nicht, wann sie in grösserer Anzahl kommen werden. Wir im Kloster Einsiedeln sind aber jederzeit bereit, diese aufzunehmen.

Das Zürcher Opernhaus leuchtet in Regenbogenfarben und ist damit Teil der Aktion "Light for peace".
Das Zürcher Opernhaus leuchtet in Regenbogenfarben und ist damit Teil der Aktion "Light for peace".

Haben Sie Mitbrüder, die ukrainisch sprechen?

Federer: Nein, aber im Dorf gibt es eine Ukrainerin. Wir werden auf sie zugehen und fragen, ob sie uns unterstützen wird.

Warum nehmen Sie Geflüchtete auf?

Federer: Das liegt in der DNA unseres Ordens. Der Heilige Benedikt will nicht, dass unser Gebet keine konkrete Verankerung hat. So dürfen Gäste in einem Benediktinerkloster nie fehlen, da uns in jedem Gast Christus entgegenkommt. Vor allem Pilger und Arme stehen für die Benediktsregel im Fokus. Hierzu zähle ich auch Flüchtlinge. Denn die Verletzlichsten sind es, die unsere Hilfe brauchen und verdienen. Wir versuchen den Geflüchteten bei uns im Kloster neue Hoffnung zu schenken und ihnen zur Seite zu stehen.

* Der Benediktiner Urban Federer (53) ist Abt von Einsiedeln und Mitglied der Schweizer Bischofskonferenz.


Urban Federer, Abt des Klosters Einsiedeln | © Vera Rüttimann
9. März 2022 | 05:00
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