Zum Churer Bischofswort: Mehr Sorgfalt bitte! – Ein offener Brief von tagsatzung.ch

Entgegnung zum Churer Bischofswort, das am Menschenrechtstag verlesen werden soll.

Lieber Bischof Huonder, liebe Frau Kelle

Es ist lobenswert, wenn Bischöfe sich für Rechte und Würde des Menschen stark machen, greifen sie doch damit die auch heute wichtigen prophetischen Traditionen auf. Zudem macht es neugierig, wenn ein Bischof eine bekannte und öfters polarisierende Journalistin einlädt, ein Bischofswort zur Genderfrage im Rahmen einer Reihe zu Ehe und Familie zu verfassen.1 Der emotionale Einstieg über das ertrunkene Flüchtlingskind Aylan Kurdi und damit verbundene Fragen lassen uns den aufgeworfenen Fragen zustimmen. Und dann werden in steigerndem Tempo zahlreiche ethische Fragen aufgeworfen: zur Erziehung, Gender-Thematik, Sexualität, Flüchtlingsproblematik, zu Menschen- und Kinderrechten, Instrumentalisierung und Manipulation, Abtreibung und Leihmutterschaft, zu Behinderungen und «modernen» Familienkonstellationen, ja sogar zu Tierschutz u.a.m. Wir können nur zustimmen und sagen: das sind unbestritten wichtige Themen, die eine öffentliche Diskussion brauchen – auch in der katholischen Kirche!

Doch die aufgegriffenen Themen werden in einer vereinfachenden dualistischen (entweder-oder) und polarisierenden Sicht dargestellt – bis hin zu Unterstellungen und Diffamierungen. – Hier stellt sich uns die Frage: Lässt eine solch abwertende Darstellung nicht den nötigen Respekt vermissen, den wir allen Menschen schulden – auch jenen, die anderer Meinung sind?

Übrigens: Der Gender-Begriff wird im Text wie im Vorwort falsch verwendet (und verstanden?). Es geht bei Gender nicht um eine Gleichmacherei auf körperlicher Ebene, sondern um die sozialen Rollen, die Frauen und Männer ausfüllen, und dass diese gleichberechtigt und vor allem nicht stereotyp, sondern entwicklungsfähig sein sollen.

Beim Lesen des Textes stellen sich uns viele kritische Rückfragen: Stehen Eltern und Staat wirklich in einem (unversöhnten) Gegensatz? Muss denn ein Misstrauen gegenüber Staat und Gemeinwohl-Initiativen gesät werden? Braucht es nicht die gegenseitige Ergänzung, das gemeinsame Ringen um angemessene Wege? Leider besteht die Versuchung, Kinder und gewisse Themen zu instrumentalisieren und Menschen zu indoktrinieren! Da können wir nur zustimmen. Aber wird im vorliegenden Bischofswort nicht ebenso genau dies in subtiler Art und Weise versucht?

Geht es den proklamierten Kinderrechten nicht um den Schutz der Kinder (als schwächste Glieder der Gesellschaft) – gerade im Wissen um das Faktum, dass leider auch Eltern ihre Kinder nicht nur manipulieren, sondern auch missbrauchen (können)? Wird das eingangs erwähnte Flüchtlingsthema nicht schlicht emotional instrumentalisiert – ohne z.B. die Problematik der allein einreisenden minderjährigen Flüchtlingskinder und die oft fehlende Begleitung, den mangelhaften Schutz zu erwähnen.

Werden die im Vorwort erwähnten Papstzitate nicht instrumentalisiert, um die eigene Position zu stärken – wenn für die eigene Position unbequeme Zitate aus dem gleichen päpstlichen Schreiben (Amoris Laetitia), z.B. rund um Empathie, Barmherzigkeit und pastorale Klugheit, unterbleiben?

Sollten die aufgeworfenen moralischen Themen und Werte (z.B. zur Sexualerziehung) nicht – statt deren gesellschaftliches Fehlen nur zu beklagen – in eine möglichst breite Diskussion, in einen Dialog hineingeführt werden? Sollte ein Bischofswort nicht eher zu einem solchen Dialog einladen und motivieren?

Haben wir Schweizer/-innen, die nicht in einer polarisierenden Oppositionspolitik und -kultur gross geworden sind (wo häufig anderen die eigene Meinung aufgezwungen werden soll), bewährte Erfahrungen, wie miteinander gute und dem Gemeinwohl dienliche Wege gefunden werden können?

Die aufgegriffenen wichtigen Themen dürfen nicht plakativ abgehandelt werden, sondern jedes Thema bedarf einer breiten Diskussion, bei der die ethisch-moralische Begründung genügend beachtet wird.

Wir wünschen uns Bischofsworte, die einladen zu Diskussion und Diskurs, die getragen sind von der christlichen Grundhaltung, gemeinsame und miteinander verantwortete Lösungen zu suchen, die etwas vom Heilswillen und der Menschenfreundlichkeit Gottes in der heutigen Zeit sichtbar machen.

Vorstand Verein tagsatzung.ch Dezember 2017

1 http://www.bistum-chur.ch/wp-content/uploads/2017/11/Wort-des-Bischofs-Tag-der-Menschenrechte-2017.pdf

Verein Tagsatzung
8. Dezember 2017 | 06:52