Zum 80. Geburtstag von Dorothee Sölle: «Gott hat zu wenige Freunde»

Am 30. September wäre Dorothee Sölle, eine der bedeutendsten Theologinnen der Gegenwart, 80 Jahre alt geworden. Das RomeroHaus lädt deshalb dazu ein, «Dorothee Sölle weiterzudenken».

«Der Fluch ist das Töten, nicht das Sterben», sagte Dorothee Sölle einen Tag vor ihrem Tod – und verwies damit ein weiteres Mal auf das notwendige Nein-Sagen zu Krieg und Gewalt und auf die Bedeutung des zivilen Ungehorsams. Sölle, die sich ihr Leben lang einmischte – als Theologin, Schriftstellerin, Feministin, Christin, Pazifistin und Ökologin –, lebt weiter. Auf Tonträgern und Videokassetten – vor allem aber durch ihre Botschaft. Am 30. September wäre die streitbare Theologin 80 Jahre alt geworden. Das RomeroHaus Luzern organisiert aus diesem Anlass am 5. November einen Gedenktag mit Tagung und Konzertlesung. «Dorothee Sölles Leben und ihre Arbeit entziehen sich jeder vorschnellen Zuschreibung und Einordnung: Sie konnte weder von den Frommen noch von den Politischen, weder von den Konservativen noch von den Aufklärern ganz eingefangen werden. Sie erlaubte sich, die jeweils andere zu sein – den Frommen die Politische, den Politischen die Fromme, den Bischöfen die Kirchenstörerin und den Entkirchlichten die Kirchenliebende», heisst es im Programm.

Gegen das Elend

Dorothee Sölle, die klassische Philologie, Philosophie, Literaturwissenschaften und Theologie studiert hatte, beschränkte sich nicht auf ihre akademische Tätigkeit: Inspiriert von zeitgenössischen Befreiungstheologen wie Helmut Gollwitzer oder Ernesto Cardenal engagierte sie sich immer auch politisch. Sie bereiste Nicaragua und El Salvador, wandte sich als Aktivistin der Friedensbewegung gegen den Vietnamkrieg, gegen den Nato-Doppelbeschluss zur Nachrüstung und gegen den Irak-Krieg. Und sie war überzeugt davon, dass es Aufgabe der Theologie sei, an einer Welt des Friedens, der Gerechtigkeit, der Freude und der Schönheit zu arbeiten. Die Verelendung der Dritten Welt war ihr zentrales Thema. Sie plädierte deshalb für einen Frieden, der auf Gerechtigkeit gegründet ist – und bezeichnete den Neoliberalismus als «eine einzige Katastrophe für die Menschen. Nicht für die 20 Prozent der Reichen, sondern für den Rest, für die 80 Prozent, die nicht zählen.»

Für weltweite Gerechtigkeit

Die Theologin freute sich darüber, dass sich der damalige Papst dezidiert gegen den Irak-Krieg aussprach, meinte aber, dass sie sich mit ihm nicht ganz versöhnen könne, «weil er immer so dumme Sachen gegen die Frauen sagt». Feminismus verstand sie als Widerstand gegen die Kultur des Gehorsams, als einen Weg für Frauen und Männer. Einen Weg, den sie ab 1969 mit ihrem zweiten Mann, Fulbert Steffensky, zusammen ging. Gemeinsam mit ihm war sie auf der Suche «nach einem Gott, der mich braucht», war überzeugt davon, «dass es keine Liebe gibt, die nicht gegenseitig ist. Auch keine Liebe zu Gott» – und dass Gott im Bestreben um eine gute, eine gerechte Welt auf die Mithilfe der Menschen angewiesen ist. An einen «Papa-wird’s-schon-richten-Gott» glaubte Sölle ebenso wenig wie an einen «Knopfdrücker-Gott». Allmacht sei ein falscher Begriff, meinte die Theologin, weil Gott zum Beispiel in Auschwitz zu wenig mächtig war. Genau dort hätte er nämlich die Hilfe der Menschen dringend gebraucht. So stellte Sölle denn ernüchtert fest: «Gott hat zu wenige Freunde.»

Sich neu orientieren

Die Tagung im RomeroHaus Luzern blickt zurück auf die politisch-theologische und die poetische Arbeit von Dorothee Sölle. Sie gibt Anstösse und Inspirationen für Theologie und Engagement heute, für die solidarische Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd und für die interreligiöse Begegnung. Und sie macht Mut zu religiöser Erfahrung. «Von Dorothee Sölle können wir nach wie vor viel lernen», sagt die feministische Theologin Li Hangartner. Denn: «Das Scheitern einer individualisierten Wirtschaftsgesellschaft verstört und verunsichert, ruft aber zugleich nach einem Aufbruch zu neuen Lebensorientierungen.»

«Es ist nicht leicht, sich mit dem Tod abzufinden», sagte Dorothee Sölle in ihrem letzten grossen Radio-Interview, «aber es ist der Tod der anderen, der mich mehr betrifft als der eigene».

Renate Metzger-Breitenfellner

Donnerstag, 5. November: «Singen will ich und dem Tod Land abgewinnen mit jedem Ton. Dorothee Sölle weiterdenken»; Tagung mit Beat Dietschy, Rabeya Müller, Monika Stocker und Bärbel Wartenberg-Potter; RomeroHaus Luzern, 9.30 Uhr. «Grundlos glücklich»; Konzertlesung mit Viola Gabor, Matthäuskirche, 19.30 Uhr.

http://www.romerohaus.ch/

RomeroHaus Luzern
28. September 2009 | 09:14