Weil wir uns auf dieser Erde...

Regula Grünenfelder zu 2 Kor 5,1-10

Auf den Text zu

Allerseelen. Die Menschen denken an ihre Toten. Unsere Lesung ist keine Trostrede für die Hinterbliebenen, sondern eine Ermutigung, die Fäden der Ewigkeit in den irdischen Kleidern zu entdecken. Sie bietet Bilder an, in denen sich Wünsche nach Verbindungen über den Tod hinaus bergen können. Oder vorsichtiger gesagt: Vielleicht helfen diese alten, eigenartigen Bilder, auch heute noch eine Heimat für die Toten zu denken. Vielleicht helfen sie, Spuren des ewigen Lebens im Irdischen wahrzunehmen. 5,1­10 bildet ein intensives Kaleidoskop solcher Bilder. Der Text soll deshalb als Ganzes betrachtet werden.

Mit dem Text unterwegs

Paulus führt den ersten Satz als Gemeinplatz ein: «Wir wissen». Er setzt also voraus, dass seine Leser und Hörerinnen mit ihm einig sind, dass der Tod ein Übergang ist. «Unser irdisches Haus des Zeltes» wird abgerissen, und ein neues Zuhause erwartet uns: «Ein Bauwerk von Gott, ein nicht von Händen gefertigtes ewiges Haus in den Himmeln.» Als Sehnsucht ist dieses zukünftige Haus schon gegenwärtig. Passende Worte für den Beginn der neuen Wohnsituation wären etwa «umziehen» oder «aufgenommen werden». Paulus sagt aber etwas anderes: Wir sehnen uns danach, mit dem himmlischen Haus «überkleidet» zu werden. Diese Überkleidung, heisst es weiter, nimmt uns die irdische Last ab. Entkleidet (wahrscheinlicher als die Lesart der Einheitsübersetzung: bekleidet) werden wir aber nicht nackt erscheinen. Es gibt ein Loslassen des irdischen Lebens, sagt Paulus, das uns nicht entblösst. Das Zelttuch ist zwar weggerissen, aber etwas anderes hüllt uns ein.
Wir möchten, schreibt Paulus weiter, nicht entkleidet, sondern überkleidet werden (4). Es gibt nicht nur Wünsche nach der Heimat, sondern auch den Wunsch nach einem guten Übergang. Vielleicht ist die Kehrseite dieses Wunsches eine Angst. Die Angst vor der Nacktheit und Kälte zwischen dem Ausziehen des irdischen und dann Anziehen des ewigen Lebens. Darauf würde Paulus im gleichen Satz eine gute Antwort geben: Das Sterbliche soll vom Leben verschlungen werden. Die Sehnsucht will kein Zweistufenmodell und kein «schöner Wohnen» in der Ewigkeit, sondern alles, auch das Sterbliche und das Sterben, vom Leben einverleibt wissen.
So leuchtet auch das merkwürdige Wort «Überkleiden» ein. Gott hat das Kleid, das «Angeld» des Geistes schon gegeben. Seit der Taufe sind Christinnen und Christinnen schon richtig angezogen. Das Bild von der «Über»Kleidung achtet dieses Taufkleid des sterblichen Menschen. Im irdischen Leib, Zelt und Kleid sind die Fäden des Ewigen eingewoben. Es ist nicht so, dass das Wesentliche nachher kommt.
Aber das Irdische ist vergänglich, der Zeltstoff wird einmal reissen. Das Zelt ist deshalb ein unruhiger Heimatort (6b). Diese Unruhe drückt sich in Heinrich Bölls berühmtem Satz aus: «Weil wir uns auf dieser Erde nie ganz zu Hause fühlen». Paulus beantwortet diese Fremdheitserfahrung zuversichtlich. Sie kann unserem Weg Richtung und Gestalt geben, wenn wir uns nicht an einer «geschauten Form» orientieren, sondern am Glauben. Das ist eine Warnung vor Vergötzung aller Arten von Zelten und eine Einladung, die Beziehungs- und Erfahrungsfäden des Lebens, das stärker ist als der Tod, im irdischen Kleid wahrzunehmen. Nur so ist beides gut: Unterwegs zu sein im Vorläufigen und daheim zu sein bei Gott.
Ganz am Schluss bekräftigt Paulus die Verbindungen zwischen dem Leben in der Fremde und dem Leben daheim mit einem lauten Paukenschlag: Das, was wir hier im irdischen Leib tun, ist nichts Vorläufiges und Unwichtiges, sondern genau das, worauf es ankommt.
Die Überkleidung, die vor der Blösse schützt (3), ist wohl ein warmer Mantel des Erbarmens, aber ­ mit dem abschliessenden Satz der Lesung ­ kein Mäntelchen, das Gutes und Nutzloses (nicht: «Böses» wie die Einheitsübersetzung schreibt) nachsichtig zudeckt. «Wir alle müssen uns offenbaren». Dieses Gericht wurde zu oft als Drohbotschaft verkündet. Vielleicht ist es im Lesungszusammenhang aber eine Frohbotschaft? Das Gericht muss keine Angst machen, denn es funktioniert nicht nach den Gesetzen von Voyeurismus und Blossstellung. Aber es ruft in Erinnerung, dass unser alltägliches Tun und Lassen von Belang ist, nachhaltig, in Ewigkeit.

Über den Text hinaus

Beheimatung ist nach unserem Text keine Vertröstung auf «schöner Wohnen» im Jenseits, sondern bindet sich an unser Leben hier und jetzt.

Nicht zuhause bin ich
im haus der zeit
unerwachsen
lauf ich hinter dir her

sag was ich nicht sagen kann
und nicht vergessen will
sag dass alles sehr gut ist

(Dorothee Sölle)

Die Autorin: Dr. Regula Grünenfelder ist Fachmitarbeiterin der Bibelpastoralen Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks.

Literatur: Jacob Kremer, Zweiter Korintherbrief, (Stuttgarter Kleiner Kommentar NT 8), Stuttgart 1990; Dorothee Sölle, fliegen lernen. Gedichte, Berlin 51994; Elsa Tamez, Gegen die Verurteilung zum Tod. Paulus oder die Rechtfertigung durch den Glauben aus der Perspektive der Unterdrückten und Ausgeschlossenen, Luzern 1998.


Er-lesen
Text lesen. (In Gruppen) einen Comic zeichnen, in dem die Bilder, die der Text verwendet, im Vordergrund stehen. Anschauen und Austauschen: Was fällt auf an Bildzeitungen?

Er-hellen
Die Bilder dieses Abschnitts sprechen eine deutliche Sprache gegen einen Leib-Seele-Dualismus, der das irdische Leben entwichtigt, den Übergang nicht bedenkt und das Leben, das stärker ist als der Tod, in luftleere Gefilde abhebt. Als Sterbliche verfügen wir über eine «Grundausstattung», die uns mit der Ewigkeit verknüpft. Die Sorge um die Nacktheit ist keine Leibfeindlichkeit, sondern eine Leibfreundlichkeit: Das Leben im Leib ist geistdurchwirkt.
Paulus schreibt nirgends von einem Gericht über die Person nach den Werken (wie Matthäus), sondern spricht hier vom Gericht (nur) über die Werke. Paulinisch gibt es keine besondere und selbständige Lehre vom Endgericht. Das Gericht ist aber ein wichtiges Bild dafür, dass unsere Wünsche an das Leben und das entsprechende Tun und Lassen öffentlich und relevant sind.

Er-leben
Einzelbesinnung (im Gottesdienst) über die Fäden der Ewigkeit in unseren Kleidern.
Über die Clean Clothes Kampagne informieren. Mit der Kollekte ein Projekt für gerechte irdische Bekleidung unterstützen.

BPA und SKZ
26. Oktober 2003 | 00:00