Von Nordafrika übers Mittelmeer nach Europa: Eine tödliche Reise für Kinder

Medienmitteilung

New York/Genf/Zürich, 28. Februar 2017 – 4579 Menschen und mindestens 700 Kinder sind letztes Jahr bei ihrem Versuch, das Mittelmeer von Libyen her zu überqueren, ums Leben gekommen. Von den 181 436 Menschen, die letztes Jahr über die Mittelmeerroute nach Italien kamen, waren fast 16 Prozent Kinder, neun von zehn waren unbegleitet. Auf der Fluchtroute sind Kinder – und insbesondere unbegleitete – zahlreichen Gefahren, Gewalt und sexuellem Missbrauch ausgesetzt. In libyschen Inhaftierungszentren werden Menschen und Kinder ohne rechtmässige Verfahren monatelang festgehalten. Die internationale Gemeinschaft muss zusammenarbeiten, um diese Problematik anzugehen und Kinder zu schützen.

«A Deadly Journey for Children: The Central Mediterranean Migrant Route», der neue Bericht von UNICEF, gibt einen Einblick in die extremen Risiken für Kinder auf ihrer gefährlichen Route von Afrika südlich der Sahara nach Libyen und übers Mittelmeer nach Italien.

Gefährliche Mittelmeerroute: 9 von 10 Kindern sind unbegleitet

  • Mindestens 4579 Menschen sind letztes Jahr bei ihrem Versuch, das Mittelmeer von Libyen her zu überqueren, ums Leben gekommen. Das ist jeder 40., der diese gefährliche Reise unternahm. Mindestens 700 der Menschen, die ihr Leben verloren, waren Kinder.
  • 181 000 Menschen und mehr als 25 800 unbegleitete Kinder haben im Jahr 2016 ihr Leben in die Hände von Schleppern gelegt, um Italien zu erreichen. Der gefährlichste Teil der Reise sind eine 100 Kilometer lange Strecke von der Südgrenze von Libyen an die Mittelmeerküste und die anschliessende 500 Kilometer lange Überfahrt übers Mittelmeer.
  •  Von den 181 436 Menschen, die 2016 über die Mittelmeerroute nach Italien kamen, waren 28 233 – oder fast 16 Prozent – Kinder. Neun von zehn Kindern, die letztes Jahr das Mittelmeer überquerten, waren unbegleitet. Die Anzahl der unbegleiteten Minderjährigen hat sich somit im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Unbegleitete Kinder sind besonders gefährdet, Opfer von Gewalt und Missbrauch zu werden.

Gewalt, Angriffe und sexueller Missbrauch

In Libyen herrscht für die Kinder, die aus verschiedenen Ländern Afrikas gekommen sind, um in Europa um Asyl zu ersuchen, eine prekäre Sicherheitslage. Die Bedingungen fürs Überleben sind hart, es mangelt an Nahrung und Trinkwasser, Gewalt ist an der Tagesordnung. UNICEF in Libyen befragte Männer, Frauen und Kinder nach ihren Erlebnissen auf der Reise. Viele Frauen und Kinder gaben an, auf Schlepper angewiesen zu sein, um weiterzukommen. Dies resultiert für viele in einer Schuld, die sie schrittweise abzahlen müssen, was sie besonders anfällig für Missbrauch, Entführungen und Kinder- bzw. Menschenhandel macht. Oft müssten Frauen und Mädchen mit sexuellen Diensten für die Überquerung der libyschen Grenze bezahlen. Kinder und Frauen sind auf der Route einer permanenten Gefahr von sexueller Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch ausgesetzt. Die Mehrzahl der Frauen und Kinder gaben an, unterwegs Gewalt, Schläge und sexuelle Übergriffe erlebt zu haben. Der Missbrauch fand unterwegs auf der Reise, aber auch bei Grenzüberquerungen und Kontrollpunkten statt. Um dieser Gefahr zu entgehen, versuchten Frauen und Kinder, sich gemeinsam in Gruppen zu bewegen. Oft wurden sie aber festgenommen und in sogenannte Inhaftierungslager in Libyen gebracht, wo sie laut eigenen Angaben meist durch Wachmänner voneinander getrennt wurden. Das libysche Departement gegen illegale Einwanderung betreibt 24 Inhaftierungszentren. Andere bewaffnete Gruppierungen und Milizen führen eine unbekannte Anzahl an weiteren Inhaftierungszentren, die ausserhalb jeglicher Kontrolle stehen. Das Amt des Hochkommissars für Menschenrechte zeichnet ein Bild von systematischen Menschenrechtsverstössen.

Die Forderungen von UNICEF:

Seit dem Beginn der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 hat sich UNICEF unentwegt für die Bedürfnisse der Kinder auf der Flüchtlingsroute nach Europa eingesetzt, um insbesondere schutzlosen und unbegleiteten Kindern zu helfen. So konnte UNICEF 182 500 Kinder mit Hilfe erreichen. UNICEF baut auch die Hilfsprogramme in Griechenland und Italien aus und unterstützt die Regierungen dabei, Familienzusammenführungen zu verbessern und Kindern die notwendigen Hilfsleistungen zu geben.

«Kinder sollten nicht dazu gezwungen werden, ihr Leben einem Schmuggler anzuvertrauen, nur weil sie keine Alternativen haben. Wir müssen die weltweiten Ursachen von Flucht und Migration angehen und zusammenarbeiten, um legale Grenzübertritte für diese Kinder zu ermöglichen», sagt Afshan Khan, UNICEF Regionaldirektor und Koordinator für die Flüchtlingskrise in Europa.

UNICEF setzt sich weiterhin für die Umsetzung von sechs Forderungen zum Schutz und zur Hilfe für Kinder auf der Flucht ein:

Geflüchtete und migrierte Kinder, insbesondere unbegleitete Kinder, müssen vor Gewalt und Ausbeutung geschützt werden.

  • Die Inhaftierung von Kindern aufgrund ihres Aufenthaltsstatus muss beendet werden.
  • Familien beisammen zu lassen ist der beste Weg, Kinder zu schützen und ihnen einen sicheren rechtlichen Status zu geben.
  • Alle geflüchteten und migrierten Kinder müssen Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung sowie psychosozialer Betreuung haben.
  • Die Ursachen der umfangreichen Flucht- und Migrationsbewegungen müssen bekämpft werden.
  • In den Transit- und Zielländern müssen Massnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Marginalisierung ergriffen werden.

UNICEF fordert die Regierungen und die Europäische Union dazu auf, diese Forderungen zu unterstützen und in die Praxis umzusetzen.

http://www.unicef.ch/de

UNICEF
28. Februar 2017 | 10:10