«Sündenschnäppchen» mitten in Zürich

Medienmitteilung

Am 11. Oktober 2018 – dem 487. Todestag Zwinglis – fand bei strahlendem Herbstwetter die gut besuchte Vernissage der Kunstinstallation «Sündenschnäppchen» rund um die Zwinglistatue bei der Wasserkirche statt. Das im Rahmen von ZH-REFORMATION.CH entstandene Kunstprojekt fragt zum 500-jährigen Reformationsjubiläum nach der Aktualität des Ablasses.

In Form überdimensionaler Preisschilder stellen die bildende Künstlerin Simone Fröbel, die Szenografin Annatina Huwiler und die Autorin Anna Papst den historischen Ablasszahlungen zeitgenössische Mechanismen gegenüber. Das Kunstwerk wurde im Rahmen der Vernissage performativ aufgebaut und eingeweiht. Bewusst als Kunst im öffentlichen Raum konzipiert, bleiben die angebrachten Asphaltkleber noch zwei Monate als augenzwinkernder Gedankenanstoss Teil des Zürcher Stadtbilds.

Der Ablass und der Ablassverkauf sind Stein des Anstosses der Reformationsbewegung. Der Zürcher Reformator Huldrych Zwingli wehrte sich vehement gegen die Praxis, den Erlass von begangenen Sünden durch die Bezahlung einer Geldsumme zu erkaufen. Welchen Freikauf von Sünden würde ein Mann, oder (wahrscheinlich dringender) eine Frau wie Zwingli heute beklagen? Die Autorin Anna Papst führte Gespräche mit Ökonom*innen, Soziolog*innen und Theolog*innen und stellte dabei die Frage: Wo sehen Sie das Prinzip, Geld zu bezahlen um sein Gewissen zu erleichtern heute noch angewandt? Aus den Antworten auf diese Frage formulierte sie analog zu den Ablass-Verordnungen und -preisen zu Zwinglis Zeiten einen Katalog an Verfehlungen und den mit ihnen verbundenen Zahlungen an eine dritte Instanz. Kriterium um in den Katalog der modernen Sünden zu kommen ist, dass das Fehlverhalten nicht strafrechtlich verfolgt wird, es sich also um Verstösse gegen einen moralischen Kodex handelt.

Die bildende Künstlerin Simone Fröbel und die Szenografin Annatina Huwiler suchten nach einer installativen Umsetzung dieser Analogie. Über die Recherche zu Ablasshandel und -verkauf kamen sie zu den Assoziationen Ausverkauf und Aktionspreise. Sie entwickelten überdimensionale Preisschilder in zwei Farben. Hergestellt als Asphaltkleber im Digitaldruck, zeigt das eine Preisschild altes Vergehen und alten Preis an (bspw.: Ausschweifungen = Wallfahrt nach Santiago de Compostela oder 3 Gulden bezahlen), das andere neues Vergehen und neuen Preis (Flug auf die Malediven = Freiwillige CO2- Steuer entrichten). Das alte Preisschild wird – wie beim Ausverkauf – mit dem neuen überklebt, aber so, dass man den Text des alten Preisschilds noch lesen kann. Die angedachte Analogie wird dadurch sofort greifbar.

Der Ablasshandel war nicht nur Zwingli, sondern auch Luther ein Dorn im Auge. Dass Luther seine «95 Thesen wider den Ablass» tatsächlich an die Kirchentür von Wittenberg geschlagen hat, lässt sich historisch nicht belegen, ist aber dennoch zum Symbol der Reformation geworden. Interessant daran fanden Fröbel, Huwiler und Papst die Idee, eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen mitten ins Stadtzentrum zu stellen. Deshalb entschied man sich, «Sündenschnäppchen» als Kunst im öffentlichen Raum zu konzipieren. Der Platz liegt mitten in der Fussgängerzone des Limmatquais. Wer an der Haltestelle «Helmhaus» aus- oder einsteigt, wer die Zwinglistatue, die Wasserkirche oder das Helmhaus besichtigen will, oder wer an der Limmat entlangflaniert, stösst unmittelbar auf die Installation. Bei aller ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema Ablass ist «Sündenschnäppchen» kein moralisch erhobener Zeigefinger, sondern eine humorvolle Selbstbefragung der eigenen Bequemlichkeiten.

Gastbeitrag
16. Oktober 2018 | 08:31