Stress, Angstzustände, Panikattacken

Medienmitteilung

Online-Missbrauch: Neue Amnesty-Umfrage stellt bei Frauen alarmierende Folgen fest – London / Bern. Neueste Recherchen im Auftrag von Amnesty International zeigen die alarmierenden Folgen, die der gezielte Missbrauch und die Drangsalierung von Frauen in den Sozialen Medien auf diese hat: Frauen aus mehreren Kontinenten berichten über Stress, Angstzustände und Panikattacken infolge dieser krankmachenden Online-Erfahrungen.

Amnesty International beauftragte die Firma IPSOS MORI mit einer Umfrage zu den Erfahrungen von Frauen in den Sozialen Medien. Gefragt wurden Frauen im Alter zwischen 18 und 55 Jahren in Dänemark, Italien, Neuseeland, Polen, Spanien, Schweden, Grossbritannien und den USA.

Fast ein Viertel der befragten Frauen (23%) in den acht Ländern gab an, mindestens einmal Missbrauch oder Belästigung in den Sozialen Medien erlebt zu haben. Dabei lag die Zahl mit 33% in den USA am höchsten und in Italien mit 16% am niedrigsten. Alarmierend ist dabei, dass 41% der betroffenen Frauen angab, sich bei mindestens einer Gelegenheit durch diese Online-Erfahrung körperlich bedroht gefühlt zu haben.

«Das Internet kann für Frauen ein bedrohlicher und gefährlicher Ort sein. Es ist kein Geheimnis, dass Frauenhass und Missbrauch in den Sozialen Medien florieren, doch diese Umfrage zeigt konkret, wie einschneidend die Folgen des Online-Missbrauchs für die betroffenen Frauen sind», kommentiert die Amnesty-Expertin für Neue Technologien und Menschenrechte Azmina Dhrodia.

«Das hört nicht einfach auf, wenn du dich ausloggst. Stell dir vor, du erhältst Mord- oder Vergewaltigungsdrohungen, wenn du eine Online-Plattform besuchst oder du befürchtest, dass Fotos mit privatem oder sexuellem Inhalt ohne dein Einverständnis im Internet geteilt werden könnten. Die besondere Gefahr des Online-Missbrauchs ist die sehr schnelle Verbreitung   eine missbräuchliche Twitternachricht kann innerhalb von Minuten zu einer geballten Ladung von Hassnachrichten anwachsen. Die Betreiberfirmen Sozialer Medien sollten dieses Problem endlich ernst nehmen.»

Stress, Angstzustände, Panikattacken

Amnesty International befragte Frauen, die sich selbst als gelegentliche bis aktive Internetnutzerinnen beschrieben, zu ihren Erfahrungen mit Missbrauch und Belästigungen in den Sozialen Medien. Knapp die Hälfte (46%) der befragten und betroffenen Frauen gab an, der Inhalt sei misogyner oder sexistischer Natur gewesen.

Zwischen einem Fünftel (19% in Italien) und einem Viertel der betroffenen Frauen gab an, der Missbrauch oder die Belästigung habe die Drohung enthalten, ihnen körperliche oder sexualisierte Gewalt anzutun. 58% aller Befragungsteilnehmerinnen mit Missbrauchs- und Belästigungserfahrungen gaben – quer durch die befragten Länder – an, diese hätten Rassismus, Sexismus, Homophobie oder Transphobie eingeschlossen. 26% der befragten und betroffenen Frauen sagten, dass persönliche Details oder personenbezogene Daten online verbreitet wurden. Dieses Vorgehen ist unter dem Begriff «Doxing» bekannt. Mehr als die Hälfte (59%) der betroffenen Frauen gab an, dass die Angriffe in den Sozialen Medien von ihnen nicht bekannten Personen stammten.

Psychische Folgen können verheerend sein

61% der betroffenen Befragten sagten, dass sie in der Folge ein vermindertes Selbstwertgefühl oder den Verlust von Selbstvertrauen an sich wahrnehmen. Mehr als die Hälfte (55%) gab an, nach dem Missbrauch oder der Belästigung in den Sozialen Medien an Stress, Angstzuständen oder Panikattacken gelitten zu haben. 63% erklärten, sie hätten nach dem Missbrauch oder der Belästigung nicht mehr gut geschlafen. In Neuseeland berichteten drei Viertel (75%) der Befragten über diese Folgeerscheinung. Gut über die Hälfte (56%) sagte, der Missbrauch oder die Belästigung habe dazu geführt, dass sie sich über einen langen Zeitraum hinweg nicht mehr konzentrieren konnten.

Die Betroffenen verstummen

Die Sozialen Medien sind insbesondere für Frauen und marginalisierte Gruppen ein wichtiger virtueller Raum, in dem Menschen ihr Recht auf freie Meinungsäusserung wahrnehmen können. Online-Gewalt und Online-Missbrauch stellen eine unmittelbare Bedrohung des Rechts auf freie Meinungsäußerung dar.

Mehr als drei Viertel (76%) der Frauen, die angegeben hatten, von Missbrauch oder Drangsalierung in den Sozialen Medien betroffen gewesen zu sein, änderten ihr Nutzerinnenverhalten. Dazu zählt die Selbstzensur bei der Veröffentlichung eigener Beiträge: 32% der Frauen gaben an, dass sie keine Inhalte mehr veröffentlichen, die ihre Meinung zu gewissen Themen deutlich macht. Etwa ein Viertel (24%) der befragten und betroffenen Frauen, gab an, dass sie daraufhin um die Sicherheit ihrer Familie fürchteten.

Betreiberfirmen Sozialer Medien tun zu wenig

Die Gewalt und der Missbrauch in den Sozialen Medien in allen Formen verlangt je nach Art und Schwere eine Reaktion von Regierungsseite, den Firmen oder beiden Seiten. In allen Ländern, in denen die Umfrage durchgeführt wurde, beurteilten deutlich mehr Frauen die Massnahmen der Regierung als unzureichend denn als angemessen. Die Untersuchung weist auch darauf hin, dass die Frauen der Meinung sind, dass die Betreiberfirmen der Sozialen Medien mehr unternehmen sollten. Lediglich 18% der befragten Frauen in den beteiligten Ländern beurteilten die Reaktionen der Betreiberfirmen als ziemlich, weitgehend oder vollständig angemessen.

Amnesty International weist darauf hin, dass das Recht auf freie Meinungsäusserung auch den Schutz beleidigender, höchst verstörender und sexistischer Meinungsäusserungen einschließt. Meinungsfreiheit schliesst jedoch nicht die Befürwortung von Hass oder Gewalt ein. Das Recht auf freie Meinungsäusserung muss überdies für alle in gleichem Maße gelten und schließt auch das Recht von Frauen ein, sich frei äussern und sowohl online wie offline ein Leben frei von Gewalt und Missbrauch führen zu können.

Vollständiger Bericht auf Englisch

Amnesty International
20. November 2017 | 08:20