Seid Täter/Täterinnen des Wortes!

Sabine Bieberstein zu Jak 1,17-18.21b-22.27

Auf den Text zu

Woran sind Christinnen und Christen zu erkennen? Was bestimmt ihr Denken und Handeln? Wie wirkt sich der Glaube im konkreten Handeln aus? Was bedeutet für Christinnen und Christen «gelingendes Leben»? Und gibt es einen Unterschied gegenüber dem Lebensentwurf andersgläubiger Menschen?
Solche und ähnliche Fragen treiben nicht erst uns Heutige um, sondern sie gehören zum Christsein von Anfang an. Es sind die Themen, um die sich auch der Jakobusbrief rankt, dem vier der Lesungen der kommenden Sonntage entnommen sind.
Geschrieben an der Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert n. Chr., stellt sich der Verfasser des Jakobusbriefes in die Tradition des «Herrenbruders» Jakobus. Er unterscheidet sich jedoch von jenem historischen Jakobus, den man am ehesten als einen «Tora-Theologen» (Frankemölle) bezeichnen könnte, durch seine weisheitlich ausgerichtete Theologie. In der Art jüdischer Weisheitslehrer gibt er Weisungen für ein gelingendes Leben an die «zwölf Stämme, die in der Zerstreuung leben» (Jak 1,1).
Wen er mit der Anrede «Zwölf Stämme» vor Augen hat, ist nicht (mehr) genau auszumachen. Sicher ist, dass die so Angesprochenen in persönlichen und gesellschaftlichen Konflikten standen, die der Verfasser als so typisch für die christliche Existenz ansieht, dass er den Brief als eine Art Rundbrief mit allgemeinem Anspruch schreibt. Dass er seine Adressatinnen und Adressaten als «Zwölf Stämme» anspricht, zeigt, wie sehr er sie im Horizont des Judentums versteht und interpretiert. Sie scheinen zudem ihre Situation als die von Minderheiten empfunden zu haben, die verstreut in der damals bekannten bewohnten Welt lebten. Ihre «Fremdheit» inmitten ihrer Umgebung rührte daher, dass sie auf Grund ihres Glaubens ihr Leben verändert hatten: sei es, dass sie andere ethische Massstäbe an vieles anlegten als ihre Umgebung, sei es, dass sie nicht mehr an Opferfeiern oder gesellschaftlichen Anlässen teilnahmen, sei es, dass sie aus anderen Gründen als «anders» empfunden wurden. Umso dringender aber stellte sich für sie die Frage, warum sie denn unbedingt so anders sein mussten, ob es vielleicht nicht doch bequemere Weisen des Lebens gab, und worin sie sich nun genau von ihrer Umgebung unterschieden. Der Brief reagiert auf diese Konfliktsituation und versucht, Denk- und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen und sowohl auf das Selbstverständnis wie auch auf das praktizierte Christsein der Angesprochenen einzuwirken.

Mit dem Text unterwegs

Wie sehr der Verfasser dieses Einwirken auf seine Leserinnen und Leser für nötig hält, zeigen die VV 21­22, die in der Mitte unseres Lesungstextes zu stehen gekommen sind. Markanter als in der Einheitsübersetzung klingt V 22 bei Luther: «Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst.» Offenbar gab es schon damals das Problem, dass Christinnen und Christen sich zwar so nannten, vielleicht auch grosse Worte schwangen, dass dies aber keine spürbaren Konsequenzen für ihr Handeln hatte. Gegen jeden Versuch, das Hören des Wortes oder den Glauben vom Tun zu trennen, betont der Jakobusbrief die untrennbare Einheit der beiden Dimensionen. Die Alternative ist für ihn nicht: Glauben oder Werke, sondern er stellt einen Glauben ohne Werke einem Glauben mit Werken gegenüber. Hören und Tun, Glauben und Handeln gehören für ihn zusammen.
Warum ist das so? Wird Glaube dadurch nicht zu einer besseren Ethik verkürzt? Für Jakobus liegt die Antwort in Gott selbst verborgen: Gott selbst stattet Christinnen und Christen mit guten Gaben aus und befähigt sie zum Guten (VV 17­18). Damit stellt der Jakobusbrief eine grosse Zusage vor die ethischen Forderungen. Ganz ähnlich wird im Dekalog zuerst die Befreiungstat Gottes genannt, bevor die Weisungen der «10 Gebote» beginnen: «Ich bin der Ewige, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, dem Sklavenhaus. Du sollst» (Ex 20,2f.). Aus der Erfahrung der Befreiung folgt ein neues und verwandeltes Handeln, das dieser Befreiung entspricht. Auch die Bergpredigt ist ähnlich aufgebaut. Auch hier stehen am Anfang die Zusagen der Seligpreisungen, bevor die ethischen Weisungen beginnen (Mt 5­7).
Ebenso steht im Jakobusbrief Gottes Handeln an den Menschen am Anfang. Es ermöglicht christliche Existenz und christliches Handeln erst. Der Jakobusbrief stellt dieses helle und positive Bild von Gott zum einen gegen die Vorstellung, dass Gott in undurchschaubarer, willkürlicher Weise in Versuchung führe und so die Menschen in die Sünde und schliesslich in den Tod treibe (V 13). Schuld und Sünde kommen nach dem Jakobusbrief allein aus der menschlichen Freiheit (VV 14­15).
Zum zweiten ist das positive Gottesbild im Schöpfungsglauben verwurzelt. Gott hat die Welt zum Guten geschaffen und die Menschen entsprechend mit der Fähigkeit zum Guten ausgestattet bzw. «geboren» (V 18). Auf diese Wirklichkeit gilt es zu vertrauen ­ und dieser Wirklichkeit gilt es im Denken und Handeln zu entsprechen (V 21). Wenn Christinnen und Christen nicht entsprechend handeln, wird Gott selbst un-glaub-würdig.
Was sich der Verfasser unter einem solchen Tun, das der Wirklichkeit Gottes entspricht, vorstellt, zeigt er im dritten Teil des Lesungstextes auf (V. 27). Die Sorge für Witwen und Waisen kann im Alten Testament gerechtes Handeln im Sinne Gottes regelrecht zusammenfassen. Denn Witwen und Waisen sind der Inbegriff derer, die des Schutzes, der Fürsprache und der materiellen Unterstützung durch andere bedürfen, weil ihnen selbst die Macht und die Ressourcen fehlen, für sich selbst aufzukommen. Gott selbst wird als einer dargestellt, der auf das Klagen der Witwen und Waisen hört (Ex 22,22) und ihnen selbst zu ihrem Recht verhilft (Dtn 10,18; Ps 68,6). Es ist derselbe Gott, der nach Hos 6,6 sagt: «Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer!» Danach zu handeln heisst, nicht nach den Mechanismen und Sachzwängen der «Welt» (V 27) zu funktionieren, nach denen Machtlose und Arme unter die Räder kommen.

Über den Text hinaus

Es liegt ein grosser Ernst in den Weisungen dieses Briefes. Es ist nicht egal, wie Christinnen und Christen an sich selbst, an anderen und in der Welt handeln. Denn mit dem Handeln der Christinnen und Christen steht letztlich Gott selbst zur Disposition. Das zeigt, dass es viel zu kurz greift, «religiös/spirituell» gegen «sozial/ethisch» oder eine «vertikale Dimension» gegen eine «horizontale Dimension» des Glaubens auszuspielen. Es gibt nach dem Jakobusbrief keinen «reinen» Gottesdienst, der sich selbst genug wäre, sondern Dienst an Gott ist stets mit Dienst an den Menschen verbunden. Ein Glaube, der sich im sonntäglichen Gottesdienstbesuch oder auch im eifrigen Bibellesen erschöpft, ist nach Jak kein Glaube. Zweifellos ist das damals wie heute eine ungeheure Herausforderung. Aber der Jakobusbrief zeigt, dass die Kraft dafür von Gott selbst kommt.

Die Autorin: Die promovierte Theologin Sabine Bieberstein leitet auf der Bibelpastoralen Arbeitsstelle das Projekt «Jahr der Bibel 2003» in der Schweiz.

Literatur: Hubert Frankemölle, Der Brief des Jakobus. Kapitel 1, (Ökumenischer Taschenbuch-Kommentar zum Neuen Testament 17/1), Gütersloh/

Würzburg 1994.


Er-hellen
Auf ein Plakat die Worte «Glauben» und «Handeln» schreiben und Sätze finden, die das Zueinander der beiden Worte zum Ausdruck bringen oder in Frage stellen.

Er-lesen
Jak 1,7­2,27 im Zusammenhang lesen und die Sätze des Lesungstextes markieren. Was sollen die Angesprochenen tun? Was hat Gott damit zu tun?

Er-leben
Besinnung: Wo zeigt sich mein Glaube in meinem Handeln? Was möchte ich in nächster Zeit konkret verändern?

BPA und SKZ
24. August 2003 | 00:00