Religiöse (In)Toleranz während der Reformation

Pünktlich zum 500-jährigen Reformationsjubiläum ist das erste umfassende Werk über die schweizerische Reformationsgeschichte erschienen. Es ist ein schweres und gewichtiges Buch. Auf über 700 Seiten zeigt es die zeitliche, geografische und thematische Dimension der Reformation in der Schweiz auf. Dies gibt Anlass, das Buch mit Vernissage und anschliessendem Podium zu würdigen. Im Gespräch wird auch ein kritischerer Blick auf die Zürcher Reformatoren und deren religiösen (In)Toleranz geworfen.

Das Handbuch zur Schweizer Reformationsgeschichte ist zuerst in Englisch erschienen und jetzt auch in Deutsch erhältlich. Das Werk zeichnet die Auswirkungen der Reformation in ihrer ganzen Brandbreite in Bezug auf die Schweiz nach und soll künftig als Standartwerk dienen. Es richtet sich sowohl an Forschende und Studierende als auch an Praktiker und an die historisch interessierte Öffentlichkeit.

Die schweizerische Reformation und ihre Eigenheiten

Die schweizerische Reformation war Teil einer grösseren Reformationsbewegung in Europa. Aufgrund humanistischer Einflüsse, des gesellschaftlichen Wandels und dem Begehren der Gemeinwesen nach kirchlicher Autonomie weist sie gleichwohl ihre Eigenheiten auf. Prof. em. Dr. Dr. h.c. Emidio Campi, einer der Herausgeber, führt aus, dass im Laufe des 16. Jh. aus einer reformatorischen Bewegung eine eigenständige schweizerisch-reformierte Kultur entstanden sei. Das Handbuch zeichne diesen Transformationsprozess nach und bringe viel Neues aus dieser Zeit ein. Diesbezüglich hebt Campi drei Aspekte hervor:

  1. den zeitlichen Rahmen der Reformation vom ausgehenden Spätmittelalter bis zur langen Reformation im 16. und 17. Jh.,
  2. die geografische Ausdehnung der schweizerischen Reformation und die Täuferbewegung,
  3. die Langzeitwirkungen der Reformation auf die Theologie, den Gottesdienst, das Gemeinwesen, die Politik und die Gesellschaft.

Reformierte Identität

Am anschliessenden Podiumsgespräch, das Frank Mathwig, Beauftragter für Theologie und Ethik beim SEK, moderiert, ist von Beginn weg klar: André Holenstein, Professor für ältere Geschichte an der Universität Bern und Urs Leu, wissenschaftlicher Bibliothekar an der Zentralbibliothek in Zürich, nehmen eine historisch-kritische Haltung ein, während Christina Aus der Au, Professorin für Theologie am Zentrum für Kirchenentwicklung der Universität Zürich, mit lobenden Worten auf die Reformation blickt. Es geht um das Thema «Aktualität der schweizerischen Reformationsgeschichte».

Der provokativen Behauptung Frank Mathwigs, dass heute die Bibel im Alltag der Reformierten kaum mehr Bedeutung fände, widerspricht die Theologin Aus der Au vehement. Sie erwidert, dass der Streit um die Bibel heute wieder aktuell sei. Das sei wichtig, so Aus der Au, ansonsten hätten die Reformierten einen wesentlichen Inhalt aus der Reformation verloren. Zentraler Gedanke der Reformation sei das «selber Denken». Urs Leu geht allerdings davon aus, dass bei den älteren Generationen eine stärkere reformierte Identität vorhanden sei und diese noch besser als die jüngeren Generationen wisse, was es heisse, reformiert zu sein.

Religiös intolerante Reformatoren

André Holenstein bringt in die Diskussion ein, dass in der Reformation ein religiöser Fundamentalismus nachzuzeichnen sei. Die frühen Schriften Zwinglis seien noch von einer religiösen Toleranz geprägt. Hingegen der späte Zwingli und v.a. Bullinger nähmen eine strak fundamentalistische Haltung ein und beharrten darauf, die göttliche Wahrheit gefunden zu haben. Dem pflichtet auch Urs Leu bei. Die neuen religiösen Ansichten, erläutert Holenstein, lösten Konflikte aus und führten gar zu Krieg. Dabei spannt er den Bogen ins Heute – zum aktuellen religiösen Fundamentalismus, den Kriegen und Konfliktherden. Bezugnehmend auf die Reformationsgeschichte führt Holenstein aus, dass bereits im zweiten Landfrieden von 1531 erkannt worden sei, dass es mit der religiösen Wahrheitsfindung zu keiner Einigung kommen könne und es für eine Einheit der Eidgenossenschaft eine politische Lösung brauche. Das gelte auch für heute, so Holenstein, die Religion müssen sich aus der Politik heraushalten. Andere respektieren und leben lassen – das sei die Devise für die Zukunft. Denn nur so könne eine Plurale Gesellschaft, wie sie die Schweiz sei, funktionieren.

aufbruch
23. November 2017 | 11:21