Offener Brief an Franziskus von Rom – zum 6. Jahrestag der Wahl

Im Wortlaut

Offener Brief franziskanischer Ordensleute der Schweiz an Papst Franziskus zum 6. Jahrestag der Wahl. Damit der geschwisterliche Weg weitergeht.

  1. März 2019

Lieber Franziskus brüderlicher Bischof von Rom

Heute vor sechs Jahren war die Sensation gross: ein Petrusnachfolger aus Südamerika, der erste Jesuit im höchsten Amt der katholischen Kirche, und der erste, der sich dazu Franz von Assisi zum Vorbild nimmt! Du hast bereits am Abend der Wahl mit deinem ersten Auftritt starke Zeichen gesetzt, Millionen fasziniert und erste Gegner alarmiert. Dein schlichter Gruss an uns fratelli e sorelle schuf Augenhöhe. Das gemeinsam gebetete Vaterunser erinnerte an Jesu Wort, dass wir alle nur einen Vater haben, den himmlischen, und dass wir daher schlicht Geschwister sind. In wenigen Worten ludst du uns dann «alle gemeinsam mit dem Bischof von Rom auf den Weg der Geschwisterlichkeit», die via della fratellanza». In den folgenden Wochen und Monaten sahen Monarchisten, Traditionalisten und Glamourfans in der Kirche ihre Befürchtungen ebenso bestätigt, wie Delegationen anderer Kirchen und anderer Religionen ermutigt von geschwisterlichen Begegnungen mit dir sprachen.

Synodale Wege zur Erneuerung

Sechs Jahre später wenden wir uns geschwisterlich an dich, um dich auf diesem Weg zu ermutigen. In den letzten Wochen bekamst du im Zusammenhang mit der Synode zur Missbrauchskrise medial auf breiter Front Prügel. Von einer «todkranken» katholischen Kirche war in der Basler Zeitung die Rede. Du selbst würdest zum «Fiasko» betragen, zitierte die Neue Zürcher Zeitung den Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller. Deine Gegner bis in höchste Kirchenkreise nutzen den Missbrauchsskandal, um aus allen Rohren gegen dich zu schiessen. Es erschreckt, dass sich dabei konservative Hardliner mit Donald Trumps ehemaligem Chefstrategen Steve Bannon zusammentun, und dass andererseits auch Vertreter aus liberalen Kirchenkreisen wütende Kommentare schreiben. Die einen werfen dir Verrat an der heiligen monarchischen Kirche vor, die anderen erwarten ein Durchgreifen mit eiserner Faust und mutige Reformen von oben. Beide – Monarchisten in der Kirche und fordernde Reformer – verkennen, dass der geschwisterliche Weg absolutistisches Bestimmen ebenso verbietet wie er keine direktiven Reformen über die Köpfe hinweg erträgt. Geschwisterliche Schritte in die Zukunft sind nur kollegial, synodal und gemeinschaftlich möglich. Deine Botschaft im ÖRK von Genf wie auch die Synoden, die du bisher einberufen hast, haben diesen Geist zum Ausdruck gebracht. Die Dokumente «Evangelii gaudium» und «Amoris Laetitia», mit denen du die Synoden- Ergebnisse zusammenfasst, atmen Freiheit und Freimut einer aufbrechenden Kirche. Du stehst mit Leib und Seele für ein gemeinsames Aufbrechen ein und wir arbeiten beherzt an einer geschwisterlicheren, synodaleren und dezentraleren Kirche mit. Deine breit abgestützte Enzyklika «Laudato si» weitet die Geschwisterlichkeit auf alle Menschen aus, und die Erklärung von Abu Dhabi verbindet sich in dieser Tiefe und Weite mit der islamischen Religion.

Über den Pflichtzölibat

Wir sind überzeugt, dass auch in der Missbrauchskrise dein geschwisterlicher Weg der einzig richtige ist. Wie Jesus damals kritisierst du Machtmissbrauch in Form von Pharisäismus und Klerikalismus als eigentliches Übel in der Kirche und als tiefste Wurzel kirchlicher Missbräuche. Wie Jesus hütest du dich zugleich, Steine auf Menschen zu werfen. Klare Worte und das Bemühen, alle Bischöfe weltweit und selbst Gegner ins Boot gemeinsamer Reformen zu gewinnen, zeichnen deinen geschwisterlichen Weg in der Nachfolge des Rabbi von Nazaret aus. In der Frage des Zölibats allerdings bitten wir dich, einen mutigen Schritt voranzugehen und dich nicht von der Angst vor einer Kirchenspaltung lähmen zu lassen. Denn auch da hast du sowohl das Evangelium wie die Tradition der Kirche auf deiner Seite! Tabuisiere den Pflichtzölibat nicht, wie es an der Februarsynode erneut den Eindruck erweckt hat. Gerade weil wir wie du Ordensleute sind, die im ehelosen Leben den Weg zu einer speziellen Freiheit erkennen, sprechen wir uns entschieden gegen eine faktische Zölibatsverpflichtung aus. Ein evangelischer Rat darf nicht amtliche Zulassungsbedingung für Seelsorgende sein, die eine weltpriesterliche Berufung haben. Nur «wer es fassen kann» (Mt 19,11-12) und es als seine Berufung erkennt, soll ehelos dem Beispiel Jesu folgen – und nicht jeder, dem das Charisma der Leitung gegeben ist. Wir erinnern daran, dass die Bischöfe und Leiter der frühen Gemeinden sich in Beruf und Familie bewährt haben mussten. Die Erfahrungen aus 1000 Jahren früher Kirchengeschichte sprechen gegen jede monastische Einfärbung weltpriesterlicher Berufungen. Als Ordensleute sehen wir uns gerufen, die Freiheit der evangelischen Räte sowohl in ihrer Wahl wie in ihrer Praxis neu einzufordern. Unsere orthodoxen und evangelischen Schwesterkirchen tun es bereits: Sie lassen den evangelischen Rat ehelosen Lebens Rat bleiben und erheben ihn für Priester oder Pastoren nicht faktisch zum Gesetz. Es ist uns bewusst, dass eine Abkehr vom Pflichtzölibat eine Reihe von Folgefragen nach sich zieht: Fragen wirtschaftlicher, spiritueller, amtstheologischer und pastoraler Art. Wirtschaftlich ruft das Wirken von verheirateten Gemeindeleitern und Pfarrern in finanzschwachen Gebieten nach neuen Formen des Lebensunterhalts. Entfällt die verengte Selektion auf zölibatsbereite Priesteramtskandidaten, eröffnen sich pastoral ganz andere Handlungsräume, als wir sie hierzulande mit immer anonymeren «Seelsorge-Einheiten» erleiden. Können verheiratete Theologen und Seelsorger mit Familie Pfarrer werden, wird die Frage nicht auf sich warten lassen, warum dies nicht auch für Seelsorgerinnen mit voller Ausbildung und bester Erfahrung gilt. Angst darf kein Hindernis sein, solche Fragen zuzulassen. Eine dem Evangelium verpflichtete Tradition und beherzte Ökumene dürfen solche existenziellen Fragen nicht tabuisieren. Wir vertrauen darauf, brüderlicher Bischof von Rom, dass du auch da – vom Geist geleitet – «in der Liebe den Ortskirchen vorangehen darfst», und dass dir die Weltkirche folgen wird. Danke, Franziskus, für deinen Mut, deine Phantasie und deine beharrliche Ausdauer auf der «via della fratellanza». Wir sagen dir unsererseits geschwisterliche Unterstützung in unserer eigenen Ortskirche zu – und unser beherztes Gebet!

 

Wir unterzeichnen diese Basisinitiative, ermutigt von Mitgliedern anderer Orden, als Schwestern und Brüder verschiedener franziskanischer Gemeinschaften der Schweiz

Wir unterzeichnen dieses Schreiben als Schwestern und Brüder verschiedener franziskanischer Gemeinschaften der Schweiz schwesterlich:

Sr. Sabine Lustenberger, Leiterin der Kapuzinerinnengemeinschaft im Kloster St. Klara, Stans

Sr. Imelda Steinegger SCSC, Seelsorgerin und ehem. Schulleiterin, Kloster Ingenbohl

Sr. Beatrice Kohler OSF, geistliche Begleiterin für kirchliche Berufe, Baldegger Schwestern, Hertenstein

Sr. Alix Schildknecht OSF, Schwester vom Heiligen Kreuz Menzingen, Zentrum für christliche Spiritualität, Zürich

Nadia Rudolf von Rohr OFS, Vorsteherin der FG Deutschschweiz, Mattli Antoniushaus, Morschach

 

brüderlich:

TOR

Br. Benedikt Borer OFM, ehem. Provinzial der Franziskaner, Franziskanerkloster Näfels

P. Klaus Renggli OFMConv, Seelsorger und Redaktor, Franziskanerkonventualen Flüeli-Ranft

Br. Niklaus Kuster OFMCap, Franziskusforscher und Dozent, Kapuzinerkloster Olten

 Br. Walter Ludin OFMCap, Journalist und Publizist, Kapuzinerkloster Luzern

 

Diese unsere Ermutigung findet auch in monastischen Gemeinschaften Unterstützung. Wir fr euen uns, wenn Sie unser Anliegen aufnehmen und Kreise ziehen lassen. Ein Zisterzienserabt aus der europäischen Nachbarschaft wünscht zudem eine Vernetzung über die Schweiz hinaus: «Mit ihrem Brief sprechen Sie Papst Franziskus, in brüderlicher Liebe, wie es nur ein franziskanischer Bruder kann, Mut zu. Dafür herzlichen Dank, weil Sie mir mit ihren Worten aus der Seele sprechen.» «Vielleicht kommt so ein Schulterschluss der Länder zustande, in dem, mit der Unterstützung des Heiligen Geistes, ein Prozess für die Sache Jesu, die neue Evangelisierung in unserem Kulturkreis angestossen werden kann. Es zeigt sich in Mitteleuropa immer mehr, dass wir mutige Wege gehen müssen, um die befreiende Bo tsc haft d es L ebens und der F reiheit i n Christus wach zu halten. Danke für Ihr Bemühen.»

Begründung unseres Votums gegen den Pflichtzölibat aus der Geschichte der katholischen Kirche

Wir erinnern daran, dass das erste Ökumenische Konzil von Nizäa im Jahr 325 Enthaltsamkeit empfohlen und die Zölibatsforderung abgelehnt hat. Die Reichssynode unterstützte frei gewählte Ehelosigkeit. Wir stehen als Ordensleute überzeugt zu dieser Lebensform, die allerdings im Zusammenspiel mit anderen Räten und gemeinschaftlich getragen zu leben ist. Das Konzil von Toledo verbot Priestern im Jahr 400 eine Drittehe. Wir erinnern nachdenklich daran, dass es Ordensleute waren, die im Laufe des Mittelalters dem Pflichtzölibat den Weg ebneten. Überzeugt von ihrer eigenen Lebenswahl, die sie voreilig als vollkommener als die Lebensform Verheirateter betrachteten, drängten von Orden getragene Reformbewegungen die Weltpriester in eine ehelose Lebensweise: eine Lebensform, die sich «amtlich» weder im Evangelium noch in der Praxis der Alten Kirche findet. Wir erinnern daran, dass der Mönchsmissionar Bonifatius im Frankenreich mit einem ersten Versuch, alle Priester auf den Zölibat zu verpflichten, gescheitert ist. Der Forderung seines «Germanischen Konzils» vom Jahr 742, «konkubinarische Kleriker» auspeitschen zu lassen, widersetzten sich fränkischen Reichssynoden. Es war die Gregorianische Reform, die im Geist des cluniazensischen Reformmönchtums den Zölibat der Weltpriester erstmals durchsetzte, ohne diesbezüglich jedoch flächendeckend und nachhaltig Erfolg zu haben. Bis in die Zeit der Reformation lebten selbst Päpste im Konkubinat und zeigten öffentlich, wie wenig sie von mittelalterlichen Zölibatsgesetzen hielten. Erst das Reformprogramm des Trienter Konzils (1545-1563) setzte den Pflichtzölibat in der Realität der katholischen Kirche als unabdingbare Norm durch, wie sie das kirchliche Rechtsbuch (CIC) bis heute im Canon 277 vorsieht. In der Zentralschweiz traf der Mailänder Kardinal Carlo Borromeo noch 1570 auf Priester, die selbstverständlich und guten Gewissens mit grosser Familie im Pfarrhaus wohnten. Erneut sind es neben Reformbischöfen wesentlich Reformorden, die der Trienter Konzilspolitik in der Priesterausbildung und in den Pfarreien zum Durchbruch verhalfen. Die Zölibatspflicht der Weltpriester wird vor 400 Jahren aus vielfältigen, mitunter auch wirtschaftlichen Gründen durchgesetzt. Weil wir Ordensleute sind, sehen wir uns und dich gerufen, der katholischen Kirche einen Ausweg aus dieser nicht biblisch, sondern historisch begründeten Verengung anzubahnen. Wir sind mit den orthodoxen Kirchen überzeugt, dass der Mensch nicht allein leben soll und dass Priester entweder heiraten oder eine Form gemeinsamen Lebens wählen sollen. Es ist uns bewusst, dass eine Abkehr vom Pflichtzölibat weder Macht- noch sexuellen Missbrauch verhindert. Ein Zusammenhang wird voreilig und kurzschlüssig hergestellt. In Westeuropa ereignen sich 85% der Übergriffe auf Kinder und Schutzlose in Familien und weitere 10% in Schulen, Sportvereinen und sozialen Institutionen. Täter und Täterinnen leben grossmehrheitlich in Familien und Beziehungen. Unser Plädoyer gegen die faktische Zölibatspflicht für Weltpriester setzt denn auch fundamental an: Es ist im Evangelium und in unserer eigenen Erfahrung begründet. Diese ist deshalb positiv, weil wir spezifischen Räten, die Jesus in individuelle Lebensgeschichten hinein ausspricht (Mk 10,17-30), aus freier Entscheidung, selbstgewählt und gemeinschaftlich getragen folgen. Wir tun es im Bewusstsein, darin einem Paulus, nicht aber Petrus und anderen Aposteln ähnlich zu sein. Korinth wird an «die übrigen Apostel und Kephas» erinnert, die in Begleitung ihrer Ehefrau in Gemeinden kommen (1 Kor 9,5).

Weitere Informationen

tauteam.ch
14. März 2019 | 10:20