«Mir ist bewusst, dass wir mehr zuhören sollten»

Im Visper Bildungshaus St. Jodern kam dieser Tage die Vereinigung der Höheren Ordensoberen der Schweiz zu ihrer Jahresversammlung zusammen. Drei Tage lang befassten sich die Vorsteher der katholischen Ordensleute mit Fragen rund um die Themen Kirche und Ordensleben. Der WB bat Präsident Peter von Sury, Abt des Benediktinerklosters Mariastein, zum Gespräch.

Abt Peter von Sury, ein Schwerpunkt der Tagung drehte sich um das Thema «Kirche und Jugend». ­Fehlen der Kirche speziell junge Gläubige?

«Es ist nun mal so, dass wir in der Kirche vor allem mit älteren Leuten zu tun haben. Zugleich zeigen Anlässe wie die Jugendsynode oder der Welt­jugendtag, dass es durchaus junge Leute gibt, die ihren Glauben ernst nehmen und ­daran interessiert sind, ihn zu teilen und zu vertiefen. Wenn man sich aber in der Kirche umsieht, kann andererseits auch wieder der Eindruck entstehen, dass keine Jungen mehr da sind.»

Und deshalb sprachen Sie an der Tagung über die Jungen?

«Nicht über sie, sondern mit ­ihnen. Das ist auch ein grosses Anliegen des Papstes – dass wir auf die Menschen zugehen. Auf Arme, Migranten, Randgruppen und eben auch auf die Jugendlichen. Diakon Damian Pfammatter hat deshalb Jugendliche gesucht, die bereit waren, uns von ihren Erfahrungen und Wünschen zu erzählen.»

Hören die Kirchenoberen denn überhaupt zu, wenn junge Leute vorschlagen, was die Kirche tun sollte?

«Es ermöglicht uns eine andere Perspektive. Als Mönch und Priester erwartet man von mir zumeist, dass ich selbst etwas sage oder predige. Das tue ich auch gerne. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass wir vermehrt auch zuhören sollten. Themen wie der Frauenstreik oder die Diskussion um Missbrauchsskandale in der Kirche machen sichtbar, dass bei uns ein grundlegender Wandel stattfinden müsste.»

Ein Wandel hin zu was?

«Der Papst nennt es die ‹Überwindung des Klerikalismus› – ein enormes Reformprogramm sowohl in der Weite als auch in der Tiefe. In der Kirche ist es halt oftmals so, dass der Geistliche spricht und der Rest zuhört. Aus diesem Verhaltensmuster herauszukommen, erscheint mir wichtig. Ich erachte es als unsere Aufgabe, diesen Mentalitätswandel zu beginnen und vermehrt zuzuhören.»

Was hören Sie denn von den Jugendlichen?

«Dass sie noch nach etwas ­anderem suchen, als nur nach dem rein traditionellen ­kirchlichen Angebot. Irgendwann beim Übergang von der Pubertät ins Erwachsenenalter kommt der Moment, wo der Glaube ein echter Teil des ­persönlichen Lebens werden sollte. In dieser Phase suchen die Jugendlichen den Zusammenschluss in gleichgesinnten Gruppen, den sie in den herkömmlichen Strukturen der Kirche offenbar zu wenig ­finden. Dies führt auch gleich zum nächsten Punkt, den die Jugendlichen angesprochen ­haben.»

Was wäre das?

«Die jungen Leute fühlen sich wohl in ihrer Gruppe aus Gleichaltrigen und Gleichgesinnten. Allerdings merken sie zum Teil selbst, dass sie dadurch den Kontakt zu anderen Leuten vernachlässigen, und dass sie zum Teil auch stark infrage gestellt werden. Ein ­Student erwähnte etwa das ­Dilemma vom Verhältnis der Wissenschaft zum als ‹unvernünftig› geltenden Glauben.»

Die jungen Leute sind demnach verunsichert?

«Jedenfalls betonten sie, dass es wichtig wäre, wenn wir ­Ordensleute vermehrt Zeugnis abgeben von unserem Glauben und unserer Lebensentscheidung. Das ist etwas, was wir uns komplett abgewöhnt haben – proaktiv auf die Leute zuzugehen und sie für ein ­Leben im Kloster zu begeistern. Auch, weil das missionarische Wirken heute einen negativen Beigeschmack hat. Allerdings haben uns die Jungen ermutigt, genau das zu tun, ohne uns aufzudrängen: sie ansprechen, ermutigen und fragen, ob ein Leben im Kloster nicht auch ein Weg wäre. Die Jungen wollen also Begleitung, lege­n para­doxerweise aber auch grosses Gewicht auf ihre Unabhängigkeit.»

Ist Letzteres der Grund, weshalb die Klöster heute gewaltige Nachwuchs­sorgen haben?

«Es existiert sicher eine Hemmung, sich mit 20 oder 25 Jahren lebenslang zu binden. Ein fast instinktives Zögern, ähnlich der Frage, ob man heiraten soll oder nicht. Da spielt auch die Angst mit, sich auf eine ­Herausforderung einzulassen, von der sich viele fragen, ob sie überhaupt zu meistern ist.»

Ein verständlicher
Einwand…

«Ich habe Verständnis für dieses Zögern, das ist eine grundehrliche Angst. Ich bin nun seit 45 Jahren im Kloster. Lange genug, um zu erleben, wie Berufungen auch abgebrochen wurden. Und es ist ja lange nicht so, dass man auf ein geglücktes Leben zurückschauen kann, nur weil man 50 Jahre in einem Kloster war. Aber man sollte sich vielleicht vermehrt bewusst werden, dass das ­Leben nun mal ein Risiko ist – und ein Risiko ist immer auch eine Chance. Wer bereit ist, ein ­Risiko einzugehen, spürt auch eine gewisse Freiheit.»

Als Sie ins Kloster eintraten, lebten in Mariastein 45 Mönche. Heute sind es noch 17. Haben die Leute früher weniger gezögert?

«Dass es früher mehr Ordensleute gab, hat auch soziologische Gründe: die Menschen, die vor 50, 60 Jahren eingetreten sind, kamen zum grossen Teil aus einem bestimmten religiös-sozialen Milieu. Aus katholischen Familien, ausgebildet in katholischen Schulen, zum grossen Teil aus dem ländlichen Umfeld. Heute hat sich die Gesellschaftsstruktur stark verändert.»

Können die Klöster wieder belebt werden?

«30 bis 40 Prozent der Katholiken in der Schweiz sind Menschen mit Migrationshintergrund. In unseren Ordensgemeinschaften sind diese Leute allerdings fast inexistent. Die grosse Aufgabe der Kirche ist es, diese sprachlich-kulturellen Einzelgruppierungen zu verbinden. Das ist allerdings sehr anstrengend und schwierig.»

Die Zahl der Klöster wird sich demnach weiter ­verringern?

«In den nächsten 20 Jahren wird die Zahl sicher nochmals drastisch zurückgehen, ja. Man muss aber auch sehen, dass immer wieder neue Gemeinschaften entstehen, etwa Eucharistein in St-Maurice oder Béatitudes in Venthône. Das sind Sprösslinge, von denen niemand weiss, ob daraus einmal ein Baum entsteht. Aber: Dass Gemeinschaften verschwinden, hat es in der Kirche immer wieder gegeben. Hier stirbt etwas ab, andernorts entsteht neues Leben. In Indonesien, einem mehrheitlich muslimischen Land, oder auch in Vietnam: Dort wissen sie zum Beispiel fast nicht mehr, wohin mit den Novizen. Das zeigt, dass die Wege Gottes unergründlich sind.»

Erachten Sie die Auf­hebung des Zölibats als Weg, um dem Mangel an katholischen Geistlichen entgegenzuwirken?

«Das wäre ein Weg, um etwas Druck wegzunehmen, löst aber die Probleme nicht. Viel wichtiger als die Frage nach dem Zölibat ist diejenige nach der Aufgabe der Frauen in und mit der Kirche.»

Befürworten Sie die Priesterweihe auch für Frauen?

«Ja, aber diese Frage ist sehr komplex. Die Kirche darf an dieser Frage nicht zerbrechen. Die anglikanische Kirche etwa wird durch die Frage der Homosexualität fast auseinander­gerissen. Die Kirche muss also die Einheit bewahren und sich gleichzeitig verändern. Freilich kommt dies der Quadratur des Kreises gleich – das kann im Grunde genommen nur der Heilige Geist bewerkstelligen.»

Interview: Fabio Pacozzi

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VOS’USM

Die Vereinigung der Höheren Ordensoberen der Schweiz (VOS’USM) umfasst etwa 790 Ordensmänner. Mitglieder der Vereinigung sind die Vorsteher der hiesigen Klöster und die weltweit organisierten Orden.

zur Person

Peter von Sury (69) ist seit elf Jahren Abt des Benediktiner-klosters Mariastein bei Basel. Der gebürtige Solothurner trat vor 45 Jahren ins Kloster ein. In Bern und ­Fribourg studierte er Rechtswissenschaften, Journalistik, Geschichte und Philosophie; in Einsiedeln und Rom Kirchenrecht und katholische Theologie. Vor fünf Jahren übernahm er das Präsidium der VOS’USM. Von Sury hat Wurzeln auch im Wallis: Sein Onkel war der bekannte Politiker und Journalist Peter von Roten.

Fabio Pacozzi
Walliser Bote
27. Juni 2019 | 09:32