«Man nannte mich auch Urbi et Gorbi»

Über 30 Jahre hat Pater Urban Affentranger für das Forum Kloster Disentis hochkarätige Referenten organisiert. Jetzt hört er auf.

mit Pater Urban Affentranger «»¨sprach Pierina Hassler

Ganz viele Leute haben ganz viele gute Ideen. Aber nur ganz wenige schaffen es, 30 Jahre lang eine solche Idee zu verfolgen – unerschütterlich, beständig und gradlinig. Pater Urban Affentranger ist einer von diesen wenigen Leuten. Was zu Anfang als Debattierklub für seine Studenten gedacht war, hat sich als «Forum Kloster Disentis» zu einem Anlass entwickelt, der Gäste aus der ganzen Schweiz nach Disentis lockt. Der ehemalige Geschichtslehrer und Rektor der Klosterschule über seinen Abschied, über seine prominenten Referenten und wie er es geschafft hat, diese ohne viel Geld zu engagieren.

Pater Urban, Sie haben als letzten Referenten Adolf Ogi eingeladen. Warum ihn?

Pater Urban Affentranger: Ich muss einfach jedes Jahr Referenten für das Forum suchen. Adolf Ogi hatte ich schon eine ganze Weile auf meiner Liste. Jetzt hat es geklappt. Den ehemaligen Bundesrat kennt man in der Surselva natürlich wegen der Neat.

Das tönt ganz einfach, aber in den letzten 30 Jahren traten am Forum Leute auf, von denen andere Veranstalter nur träumen können. «»¨Golo Mann, Adolf Muschg, um nur zwei zu nennen. Wie haben Sie das geschafft?

Vielleicht muss ich zuerst erklären, wie das Forum entstanden ist: 1975 kam ich als Geschichtslehrer nach Disentis. Ich rief ein historisches Seminar ins Leben. Um 1982/83 fing ich an, auswertige Referenten einzuladen. Die Seminare waren für die Studenten. Quasi ein Debattierklub. Nach und nach habe ich das Angebot aber ausgebaut.

Trotzdem, Pater Urban, was haben Sie getan, damit dermassen hochkarätige Redner nach Disentis gekommen sind?

Ich schreibe ihnen einen Brief und erkläre, was das Forum ist, wer als Referent schon aufgetreten ist. Und ich lade sie herzlich ein, mit der Partnerin oder mit dem Partner bei uns zu übernachten. Die meisten schätzen das sehr. So bin ich auch zum Mozart-Biografen Wolfgang Hildesheimer gekommen. Er wollte zuerst nicht, weil er sich als Agnostiker in unserem Umfeld nicht wohlfühle. Er liess sich aber überzeugen und schrieb später über seinen Besuch: Er sei in seiner Weltanschauung weitergekommen.

Einer, der das sehr geschätzt hat, war der ehemalige SP-Nationalrat Helmut Hubacher. Erzählen Sie.

Er sprach am 8. Januar 1993 über das Thema «Brauchen wir noch Karl Marx?». Kurze Zeit später schrieb er in seinem Dankesbrief: «Der Abend war für mich ein Erlebnis. Das gestellte Thema ist ja wirklich keine Selbstverständlichkeit. Andersdenkenden dermassen grosszügig die Türen zu öffnen, zeugt von Offenheit im Denken, aber ebenso von Sicherheit in die eigene Weltanschauung. Meine Erfahrung hat sich bestätigt: Der Dialog hat dann die besten Chancen, wenn keiner vor dem anderen Angst hat.»

Sind es genau solche Erlebnisse, die Sie bewogen haben, 30 Jahre auf Referentensuche zu gehen?

Natürlich sind solche Reaktionen schön und geben Kraft für Neues. Viele Referenten haben sich nachträglich bei uns bedankt. Der Rechtsanwalt «»¨Sigi Feigel schrieb: «Vielen herzlichen Dank für alles, vor allem für die liebenswürdige Gastfreundschaft.» Und der ehemalige Bundesrat Hans Hürlimann empfand die Begegnung im Forum als beglückendes Erlebnis. Er schrieb: «Ich danke Ihnen dafür aufrichtig.»

Hatten Sie auch negative Erlebnisse mit Ihren Gästen?

Nein, nie. Aber ich kann Ihnen etwas zum Schriftsteller Erich von Däniken erzählen. Er verlangte für sein Referat ein Honorar von 2000 Franken. Das sei zu hoch für unser Budget, sagte ich. Dann wolle er wenigstens im besten Hotel von Disentis übernachten, so von Däniken. Das war dann für mich gar kein Problem, ich bot ihm eine Übernachtung im Kloster an. Und es gefiel ihm sehr.

Haben Sie jemanden eingeladen, der dann nicht kommen wollte?

Michail Gorbatschow! Zu der Zeit, als er zurücktrat. Mich nannte man damals übrigens «Urbi et Gorbi». Ich hatte Beziehungen zu seiner Übersetzerin. Ihre zwei Söhne machten bei uns die Matura. Gorbatschow wäre gekommen, aber er verlangte 10 000 Franken, zu viel für uns. Wir hätten ja auch noch einen Übersetzer engagieren müssen. Leider ging das nicht.

Sie haben so viele tolle Anekdoten zu Ihren berühmten Gästen …

Ich hatte auch den Journalisten Ulrich Tilgner eingeladen. Er weilte im Südtessin und wollte mit dem Auto nach Disentis kommen. Ich erwähnte explizit, dass der Lukmanier in der Nacht geschlossen sei. Prompt fuhr er auf den Lukmanier und kam wegen der geschlossenen Barriere nicht weiter. Danach fuhr er nach Andermatt und wollte den Zug nach Disentis nehmen – und verpasste ihn. Er telefonierte mir und sagte, jetzt müsse er halt über den San Bernardino und sei später in Disentis, als abgemacht. Neben mir sass der Gemeindepräsident von Curaglia. Der wies Tilgner an, zurück auf den Lukmanier zu fahren, er schicke die Polizei hoch – punkt 20.10 Uhr war Tilgner in Disentis.

Zu SBB-Chef Andreas Meyer gibt es auch eine Geschichte …

Der stieg in Bern in den falschen Zug ein und teilte mir mit, ich sei ja Geschichtslehrer und müsse jetzt halt die Zeit, bis er in Disentis sei, mit einem Vortrag überbrücken. Ich wollte das aber nicht. Die Leute wollten ja nicht mich hören. Meyer nahm sich dann ein Taxi und war rechtzeitig hier. Eigentlich wollte ich an diesem Abend den Gästen nicht erzählen, dass der oberste Bahnchef in den falschen Zug gestiegen sei. Er erzählte es dann selber.

Mit Ihren Gästen haben Sie Zeitgeschichte eingefangen. Sind Sie ein wenig stolz darauf?

Manchmal staune ich selber, dass alle gekommen sind. Sie erhalten zwar ein Honorar, aber das ist nicht viel. Immer öfters verschenke ich stattdessen einen Gutschein für zwei Übernachtungen. Zudem gibts gegen Aufregung oder Bauchweh noch einen Enzian. Und Köstlichkeiten aus unserem Klosterladen. Und ganz im Sinne des heiligen Benedikts schenken wir noch etwas für ihre Sinne – eine Klosterführung.

Jetzt müssen Sie Abschied nehmen von dieser spannenden Zeit. Macht Sie das wehmütig?

Ein wenig, aber ich bin jetzt 75 Jahre alt. Zudem bin ich noch Archivar im Kloster und schreibe Bücher. Es ist Zeit, loszulassen.

«Ich schreibe ihnen einen Brief und erkläre, was das Forum ist.»

«Zudem gibt es gegen Aufregung oder Bauchweh noch einen Enzian.»

Bündner Tagblatt
22. November 2018 | 10:31