Kirche muss tiefer bohren

Medienmitteilung

Wie kann theologisches Denken in unserer pluralen Welt öffentlich und wirksam werden? Dieser Frage ging die Internationale Theologische Bodenseekonferenz am 20. April in der Kartause Ittingen nach. Der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD Wolfgang Huber rief die Kirche auf, die politische Agenda stärker zu bespielen und mutiger öffentlich Akzente zu setzen.

Zur 67. Ausgabe der Tagung lud das Vorbereitungsteam den ehemaligen Ratsvorsitzenden der EKD Wolfgang Huber als Referenten ein. Der profilierte Theologe zeigte sich zur Freude der Organisatoren als Publikumsmagnet in Ittingen: Normalerweise seien an der Bodenseekonferenz jeweils etwa 30 Personen dabei, dieses Jahr rund 50 und viele aus der Schweiz, was das Vorbereitungsteam besonders freut. «Wir suchen Themen, die allen unter den Nägeln brennen.», so Frank Eberhard vom Vorbereitungsteam. Man habe sich in der Folge des Reformationsjubiläums gefragt, was denn nach dem Feiern bleibe. «Und da erschien uns Wolfgang Huber als kompetenter Gesprächspartner.»

Referat mit biografischen Bezügen
Diese Erwartungen erfüllte der 75jährige: In einem Streifzug durch die deutsche Geschichte der letzten 50 Jahre beleuchtete Huber, inwiefern die Kirche in dieser Zeit öffentlich gewirkt hat. «Ich muss sie enttäuschen, ich bin kein Alt-68er.», sagte Huber zu Beginn seines Referats. Dennoch sei es eine wichtige Zeit gewesen. Denn die sogenannte Ost-Denkschrift der EKD, drei Jahr davor veröffentlicht, löste eine starke politische Reaktion aus. Aber für viele war klar: Die deutsche Einheit konnte es nur geben, wenn von deutscher Seite aus die Westgrenze Polens nicht mehr in Frage gestellt wurde. Diese erste evangelische Friedensdenkschrift in Deutschland erweiterte so den Spielraum politischen Handelns. Sie war «eine starke Ermutigung, ja eine Befreiung.», so Huber.
Später sei es dann vor allem die Demokratiedenkschrift gewesen, die Spuren in der Gesellschaft hinterlassen habe. Protest und ziviler Ungehorsam wurde da nicht mehr mit einer Institutionenverachtung gleichgesetzt, sondern ausdrücklich gebilligt. Huber wiederholte sein Diktum vom Düsseldorfer Kirchentag 1985: «Alle, denen Macht anvertraut ist in Staat und Gesellschaft, sollen wissen: Ihr müsst mit den Christen rechnen. Aber ihr könnt auch mit uns rechnen.» So wurde der gewaltlose Protest, angedacht in dieser Denkschrift, ein Markenzeichen der Wende 1989.

Kritik an Rückzugstendenz
Die Welt hat sich verändert, der christliche ist Glaube nur eine Option unter vielen. Heute sei es aufgrund der gesellschaftlichen Pluralisierung schwieriger für die Theologie, in die Öffentlichkeit hineinzuwirken. Der deutsche Theologe, trotz allem Optimist, kritisiert die Tendenz der Kirchen, sich deshalb immer mehr zurückzuziehen und das Feld anderen Akteuren zu überlassen. Vielmehr müsse stärker darauf geachtet werden, «in welchen Fällen Theologie und Kirche selbst Chancen verspielen, wichtige Gehalte auch öffentlich zur Geltung zu bringen.» Das Reformationsjubiläum, das inhaltlich wenig gefüllt worden sei oder die Frage der Digitalisierung seien solche Möglichkeiten. Da dürfe die Theologie nicht einfach die politische Agenda der Zeit übernehmen und kommentieren, sondern selber Akzente setzen. Die Kirche müsse tiefer bohren und ihre Themen inhaltlich füllen, so Huber. Denn: «Öffentliche Theologie ist keine Leitartikeltheologie!»

Lebhafter Austausch
Die anschliessend geführte Diskussion war sehr breit: Sie ging von der aktuellen politischen Problemlage bis zu existenziellen Fragen, von der Abendmahlsgemeinschaft mit den Katholiken bis zu Karl Barth. Wolfgang Huber nahm sich für den Austausch viel Zeit. Natürlich solle die Kirche auch gesellschaftliche Themen aufnehmen, aber Fragen nach Gerechtigkeit, Armut, Anfang und Ende des Lebens würden zum Proprium gehören. «An Themen mangelt es nicht, nur an Mut, bei diesen eine eigene Perspektive zu vertreten und nicht zu sagen, was alle sagen.» Entscheidend für die Theologie sei doch, dass die Beziehung zu Gott betont werde.
Auch den Organisatoren war klar, dass sich Hubers Analyse der jüngeren deutschen (Theologie-)Geschichte nicht eins zu eins auf die Schweiz übertragen liess. «Das waren wir uns bei der Einladung aber auch bewusst.», so Thomas Bachofner, Mitglied des Vorbereitungsteams. Den Transfer auf die Situation hier besorgten die Teilnehmenden am Nachmittag selbst. In vier Diskussionsgruppen sprachen sie am Nachmittag über verschiedene Themen im Bereich Kirche und Öffentlichkeit. «Meine Erwartung, nämlich gute Begegnungen mit anderen zu haben, wurde völlig erfüllt.» konstatierte ein Teilnehmer am Schluss. «Und die Vitalität und das klare Profil von Wolfgang Huber war beeindruckend!»

Judith Engeler

Evangelische Landeskirche des Kantons Thurgau
23. April 2018 | 08:59