Keine Gefängnisstrafe für Freitodbegleiterin

Medienmitteilung

Das Baselbieter Strafgericht hat die Freitodbegleiterin und Ärztin Erika Preisig vom Vorwurf der vorsätzlichen Tötung freigesprochen. EXIT begrüsst das Urteil. Zudem freut sich der Verein, dass die Richter mit ihrem Entscheid die Patientenautonomie wertschätzen.

Zürich, 9. Juli 2019 – Das Strafgericht des Kantons Baselland ist der Anklage der Staatsanwältin im Prozess gegen Erika Preisig in den Hauptanklagepunkten nicht gefolgt. Diese hatte der Ärztin von der Sterbehilfeorganisation Life Circle vorgeworfen, im Jahr 2016 eine nicht urteilsfähige 66- jährige Frau in den Tod begleitet zu haben und deshalb unter anderem eine unbedingte Freiheitsstrafe von fünf Jahren gefordert.

Hingegen erhält Erika Preisig eine bedingte Freiheitsstrafe von 15 Monaten über eine Probezeit von 4 Jahren und eine Geldbusse über 20’000 Franken wegen mehrfacher Widerhandlung gegen das Heilmittelgesetz. Zudem sprachen die Richter ein teilweises Tätigkeitsverbot aus. So darf die Ärztin in Zukunft keine Sterbemittel an Menschen mit einer psychischen Erkrankung abgeben.

Die Verteidigung hatte für einen kostenlosen Freispruch plädiert. Der Grund: Das rein auf Akten beruhende und post mortem erstellte Gutachten des Psychiaters Marc Graf von den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK), welches der Verstorbenen Urteilsunfähigkeit unter anderem wegen einer schweren Depression attestiert hatte, beruhe auf falschen Hypothesen. Auch zweifelte der Verteidiger, ob die betroffene 66-Jährige überhaupt psychisch krank gewesen sei und damit nicht urteilsfähig. Es habe durchaus Diagnosen von körperlichen Ursachen gegeben, diese seien aber nie ausreichend abgeklärt worden. Zudem fehlten im Gutachten relevante Akten. Der Gutachter selbst hatte an der Verhandlung «Mängel und Unschärfen» in seinem Gutachten eingeräumt. Grundsätzlich gilt in der Schweiz: Jeder Mensch darf im Falle von schwerer Krankheit, schwerem Leiden oder schwerer Behinderung die Dienste einer Sterbehilfeorganisation in Anspruch nehmen, wenn er urteilsfähig ist. Er muss also die Konsequenzen seines Entscheids für eine Freitodbegleitung zwingend einschätzen können. Bei Menschen mit psychischen Erkrankungen muss die Urteilsfähigkeit gemäss einem wegweisenden Entscheid des Bundesgerichts aus dem Jahr 2006 speziell geprüft werden.

Das Baselbieter Strafgericht kommt nun zum Schluss: Das Vorgehen von Erika Preisig, im Falle der psychisch kranken Frau eine Freitodbegleitung durchzuführen, ohne die Urteilsfähigkeit durch einen Facharzt für Psychiatrie zeitnah überprüfen zu lassen, war in diesem Einzelfall zulässig. Preisig bekundete laut eigenen Angaben grosse Schwierigkeiten, Psychiater für die verlangten Fachgutachten zu finden. Weil sie die 66-Jährige nicht länger leiden lassen und einen absehbaren gewaltsamen Suizid verhindern wollte, entschied sie sich, die Freitodbegleitung aufgrund der Arztberichte und eines Gutachtens eines Arztes nur mit psychiatrischer Zusatzausbildung, aber ohne eigentliches Fachgutachten durchzuführen. Obwohl die Ärztin damit die Vorgaben des BunEXIT- desgerichts nicht vollumfänglich berücksichtigt hat, erachtet EXIT den Freispruch des Gerichts in diesem Punkt als angemessen.

EXIT begrüsst, dass das Baselbieter Strafgericht die Freitodbegleiterin und Ärztin Erika Preisig vom Vorwurf der vorsätzlichen Tötung freigesprochen hat. EXIT freut sich sehr, dass Frau Preisig nicht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde – ein solches Urteil wäre viel zu hart gewesen. Das nun vorliegende Urteil sieht der Verein im Sinne einer Warnung von Seiten des Strafgerichts: Zwar darf Erika Preisig ihre Sterbehilfeorganisation weiterführen, aber keine psychisch kranken Menschen mehr begleiten. Ebenfalls erfreut nimmt EXIT zur Kenntnis, dass das Strafgericht der Patientenautonomie berechtigtes Gewicht beigemessen hat und betroffenen Patienten, die ihr Leid nicht mehr aushalten, Verständnis entgegenbringt.

Wichtig ist: Mit diesem Urteil steht weder die Suizidhilfe in der Schweiz grundsätzlich zur Debatte noch das Vorgehen von EXIT im Umgang von Menschen mit psychischer Erkrankung und Freitodwunsch. Der Verein begleitet nur selten psychisch Leidende. Es handelt sich um psychisch Kranke, deren Leben im Laufe der Jahre vollständig aus dem Lot geraten ist, denen die Psychiatrie grundsätzlich nicht helfen konnte und die daher nachhaltig und wohlerwogen einen Sterbewunsch äussern.

EXIT hält sich strikte an die Leitplanken des Bundesgerichts und begleitet nur, wenn die Urteilsfähigkeit mittels Fachgutachten bescheinigt worden ist. Die Non-Profit-Organisation hat im Jahr 2018 18 Menschen mit einer psychischen Krankheit begleitet (2% aller 905 Begleitungen; 2017: 14 od. 2%, 2016: 13 od. 2%). EXIT ist zudem überzeugt, dass die Suizidhilfe in der Schweiz gesetzlich gut geregelt ist.