Kaum Freitod-Begleitung im Wallis

Während in der Schweiz fast 1000 Fälle von assistiertem Suizid registriert wurden, kommt dieser im Wallis noch kaum vor. Im Oberwallis gewährt einzig das Altersheim Englischgruss Sterbehilfeorganisationen den Zutritt.

Die Schweiz gilt als Sterbehilfe-Hochburg. Neben Belgien und den Niederlanden hat sie europaweit eine der liberalsten Gesetzgebungen in Bezug auf Sterbehilfe. So stieg die Zahl der assistierten Suizide im Laufe der Jahre stetig an. Gab es laut Bundesamt für Statistik schweizweit im Jahr 2005 noch 200 Fälle, waren es zehn Jahre später deren 965. Parallel dazu verzeichnen Sterbehilfeorganisationen eine stete Mitglieder-Zunahme. So traten im vergangenen Jahr allein dem Sterbehilfe-Verein «Exit» (deutsche Schweiz) 10 000 Menschen neu bei. Damit zählt er nun über 110 000 Mitglieder – allerdings nur 659 davon aus dem Kanton Wallis. Nach wie vor ist der begleitete Freitod im Wallis kaum üblich. Nach Auskunft von Muriel Düby, Mitarbeiterin Kommunikation von Exit, führte der Verein in den letzten Jahren im Wallis jährlich zwei bis drei Freitod Begleitungen durch.

Keine verbindliche Regelung

Laut einem Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2006 haben alle Personen das Recht, über ihren Tod zu bestimmen. Allerdings ist dieses Recht nirgends explizit verankert.Eine schweizweite Regelung fehlt. Als Eveline Widmer-Schlumpf Justizministerin war, wollte sie eine gesetzliche Regelung einführen. Doch ihre Nachfolgerin, SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga, verkündete 2011 das Ende des Projekts. Die Vernehmlassung hat gezeigt, dass ein politischer Konsens darüber, wie eine solche Regelung im Detail aussehen sollte, kaum zu erreichen wäre. Derzeit tolerieren in ihren öffentlichen Spitälern nur die Kantone Waadt, Genf und Neuchâtel unter gewissen Bedingungen Sterbehilfe. Die andern Kantone, darunter auch das Wallis, klammern Freitod-Hilfe in ihren Spitälern aus. Gewisse Ausnahmeregelungen, etwa wenn ein Patient nicht mehr transportfähig wäre, sind jedoch denkbar. Ausgeschlossen ist aber eine Teilnahme des Spitalpersonals. Nach Auskunft des Geschäftsführers von Exit, Bernhard Sutter, sei die restriktive Handhabung in den Spitälern weniger schlimm, da die meisten von Exit begleiteten Patienten den Wunsch haben, zu Hause zu sterben.

80 Prozent wählen andern Weg

Anders sieht es bei den Altersheimen aus. Diese regeln den Zugang unterschiedlich. Heime stellen für ältere Menschen das Zuhause und damit den für die Suizid-Beihilfe geforderten privaten Raum dar. «Ich bin zwar kein Jurist, glaube aber, dass ein Heimbewohner vor Gericht gute Chancen, wenn er sein Recht, frei Besuch – und damit auch Exit – zu empfangen, einklagen würde», vermutet Sutter. Der Geschäftsführer von Exit erwähnt, dass längst nicht jede Begleitung durch Exit zu einem Freitod führt: «Wir zeigen alle Alternativen auf. Vier von fünf Menschen entscheiden sich nach dem Beratungsgespräch mit Exit für einen anderen Weg.» Exit fördere seit über 25 Jahren auch die Palliative Care.

Englischgruss als Ausnahme

Mittlerweile gewährt die Hälfte der Heime der Schweiz Sterbehilfeorganisationen Zugang zu ihren Räumen. Im Oberwallis erlaubt bis jetzt einzig das Alters- und Pflegeheim Englischgruss in Brig-Glis den Zutritt. Zwei Jahre lang hat sich eine vielseitig zusammengestellte Arbeitsgruppe mit dem Thema beschäftigt: «Das war ein schwieriger, aber letztlich auch sehr bereichernder Prozess, da er uns zu einem zentralen Wert unserer Grundhaltung gegenüber unseren Bewohnern führte», sagt Daniel Kalbermatten, Direktor des Alters- und Pflegeheims Englischgruss. «Das ist ein sensibles Thema. Für uns steht einzig der Wille der Bewohner im Zentrum. Diesen gilt es zu respektieren ohne zu werten», unterstreicht Kalbermatten, «meine persönliche Meinung zum Thema dagegen ist irrelevant». Eine Mithilfe von Heim-Angestellten bei der Freitod­Begleitung ist hingegen verboten. Bis jetzt kam im Alters- und Pflegeheim Englischgruss aber noch kein Fall von begleitetem Sterben vor. Allerdings würden sich neu eintretende Heimbewohner immer wieder über dieses Thema informieren. Einige sind zudem Mitglied von Sterbehilfeorganisationen. Kalbermatten betont aber, wie wichtig ihm die Autonomie der Heime ist. Er lehnt eine allgemein vorgeschriebene verbindliche Regelung ab: «Jedes Altersheim soll seine Verantwortung wahrnehmen und für sich selber entscheiden können, ob es Sterbehilfeorganisationen den Zutritt erlaubt oder nicht.»
Die Möglichkeit zum Freitod bedeutet für viele Menschen im Hinterkopf eine Absicherung für den Fall «was wäre, wenn?». Sie teilen die Meinung des Schriftstellers Hermann Hesse, der seinerzeit schrieb: «Was den freiwilligen Tod betrifft: Ich sehe in ihm weder eine Sünde noch eine Feigheit. Aber ich halte den Gedanken, dass dieser Ausweg uns offensteht, für eine gute Hilfe im Bestehen des Lebens und all seiner Bedrängnisse.»

Frank O. Salzgeber
Rhone Zeitung
19. April 2018 | 11:36