Grosse Ehre für Sans-Papiers Beratungsstelle Luzern

Medienmitteilung

Stellvertretend für unzählige weitere Corona-Heldinnen und -Helden wurde gestern Regula Erazo für ihren grossen Einsatz für Sans-Papiers von Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga geehrt. Die Ehrung fand im Rahmen der offiziellen 1. August-Feier auf dem Rütli statt. Der Verein Kontakt- und Beratungsstelle für Sans-Papiers gratuliert Vorstandsmitglied und ehemaliger Stellenleiterin Erazo zu dieser Ehre und dankt ihr und dem ganzen Team der Beratungsstelle für den ausserordentlichen Einsatz während der Corona-Zeit.

Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga hat am 1. August bei der Bundesfeier auf dem Rütli stellvertretend für zahllose Menschen, die sich während der Corona-Zeit für andere Menschen und für die Gesellschaft engagierten, aus jedem der 26 Kantone sowie aus der «Fünften Schweiz» je eine Frau und einen Mann für ihren Einsatz geehrt.

Für den Kanton Luzern wurde Regula Erazo geehrt. Sie hat sich während der Corona-Zeit gemeinsam mit dem Team der Beratungsstelle für Sans-Papiers in ausserordentlicher Art und Weise für die Menschen eingesetzt, die ohne Aufenthaltsbewilligung im Kanton Luzern leben und arbeiten. Diese sogenannten «primären Sans-Papiers» bestreiten ihren Lebensunterhalt durch vielfältigste Arbeiten in den untersten Lohnsektoren. Durch die Corona-Krise wurden sie von heute auf morgen von den Arbeitgebenden entlassen – dies ohne einen Anspruch auf Erwerbsausfallentschädigung oder Kurzarbeit. Niemand von ihnen hat eine Krankenkasse, einen Arbeits- oder Mietvertrag. Alle waren akut sowohl von Obdachlosigkeit als auch Hunger bedroht. Unter ihnen auch Familien mit Kindern, schwangere Frauen und kranke Menschen. Da die meisten Hilfesuchenden aus dem asiatischen Raum stammen erzählten einige, dass sie alleine wegen ihres Aussehens entlassen wurden. Zusätzlich fielen sie im öffentlichen Raum besonders auf und trauten sich deswegen in ihrer Not nicht mehr auf die Strasse.

Der Verein Kontakt- und Beratungsstelle für Sans-Papiers Luzern lancierte bereits am Anfang des Lockdowns einen Spendenaufruf, der auf grosse Resonanz stiess.  Gleichzeitig wuchs die Zahl der Hilfesuchenden, so dass innerhalb von drei Wochen über 120 Dossiers zu bearbeiten waren. Die aussergewöhnliche Situation und materielle Not der primären Sans-Papiers stellte die Beratungsstelle vor grosse Herausforderungen: In kürzester Zeit mussten Kriterien definiert werden, die es gemäss den in der Bundesverfassung verankerten Grundrechten erlauben, eine zeitlich begrenzte Soforthilfe zu gewährleisten. Dazu gehören u.a. die Gesundheit (Krankenkassenprämien), aber auch die Sicherung eines minimalen Grundbedarfs, um sowohl Hunger als auch Obdachlosigkeit vorzubeugen. Für die Umsetzung der Soforthilfe mussten professionelle Abläufe entwickelt werden.

Regula Erazo als ehemalige Leiterin der Beratungsstelle und aktuell als Pensionierte im Vorstand tätig, unterstützte mit ihrem grossen Know-how bei diesem herausfordernden und zusätzlichen Arbeitsanfall das Team der Beratungsstelle. Ihre Aufgabe bestand in Erstgesprächen mit den Betroffenen im Blick auf die Bedürfnisabklärung und dem  Aufsuchen der Notleidenden an ihrem Wohnort. Dadurch stellte sie sicher, dass die Soforthilfe den im Kanton Luzern wohnhaften und ernsthaft Bedürftigen unmittelbar zugutekam.

Regula Erazo erzählt:

«Mich hat es erstaunt und überrascht wie viele primäre Sans-Papiers in unmittelbarer Nähe leben und arbeiten. Es betrübt mich zu erfahren, unter welchen schwierigen Bedingungen sie leben. Ich stelle mir vor, wie anspruchsvoll die Arbeit zu bewältigen ist, wenn man an so vielen verschiedenen Orten schafft. Zwischen den einzelnen Stellen liegt oft ein längerer und damit teurer Weg. Obwohl mir dies durch meine Erfahrungen und Literatur bekannt ist, hat es mich sehr erschüttert, den grossen Leidensdruck der Menschen in dieser Situation zu spüren. Welche Erleichterung zeigte sich bei zum Beispiel bei jener Frau als sie via soziale Medien von unserer Soforthilfe erfuhr, und mit ihren beiden Kleinkindern zu uns kam und daraufhin eine Unterstützung erhielt. Ihre Dankbarkeit war sehr gross. Nicht selten fragte ich mich, welchen Weg mussten diese Menschen gehen, bis sie hier im Kanton Luzern waren. Welchen Erwartungen aus der Heimat müssen sie Folge leisten und setzen sie unter Druck. Wie gross ist das Ausgeliefertsein gegenüber Arbeitgebenden und Vermietern. Dadurch sind sie so verletzlich. Mit all diesem über längeren Zeitraum hinweg massiv konfrontiert zu sein, ohne zu wissen wie lange diese Krise anhält war sehr herausfordernd für alle Beteiligten. Ich fühlte mich sehr getragen vom gesamten Verein und die grosse Solidarität der vielen Spenderinnen und Spender (sowohl Institutionen als auch Einzelpersonen). Nur dadurch konnten wir die Arbeit befriedigend leisten. Seit acht Jahren gibt es unsere Beratungsstelle für Sans-Papiers im Kanton Luzern. Durch diese Krisenzeit fanden so viele primäre Sans-Papiers den Weg in unsere Beratungsstelle und lernten diese kennen. Ich hoffe sehr, dass auch wenn die materielle Not nach Ende der Corona-Zeit nicht mehr so bedrohlich ist, diese Menschen weiterhin die Beratung im Blick auf ihre Grundrechte in Anspruch nehmen.»

Entsprechend einem Satz im neuen Text der Schweizer Nationalhymne «..stark ein Volk, das Schwache stützt» ist es sehr stimmig, dass Regula Erazo für ihr Engagement für eine der verletzlichsten Personengruppen in unserer Gesellschaft geehrt wird. Dementsprechend ist die Freude in unserem Verein gross und wir sind sehr stolz, dass Regula Erazo stellvertretend für das ganze Team für ihr grosses Engagement am 1. August geehrt wurde.

Nicola Neider Ammann, Präsidentin Verein Kontakt- und Beratungsstelle für Sans-Papiers Luzern

Gastbeitrag
2. August 2020 | 08:01