Griechenland: Geflüchtete Frauen in ständiger Gefahr

Medienmitteilung

Athen / Bern – Frauen, die vor Krieg und Gewalt nach Griechenland geflohen sind, wehren sich gegen schlimme Menschenrechtsverletzungen, wie sexualisierte Gewalt und fordern ein besseres Leben in Europa. Der heute veröffentlichte Amnesty-Bericht dokumentiert die Gefahren, denen Frauen und Mädchen auf der Flucht ausgesetzt sind und listet die Forderungen auf.

Der Bericht «I want to decide my future: Uprooted women in Greece speak out» beschreibt die gefährliche Flucht von Frauen und Mädchen sowie die furchtbaren Bedingungen und Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, wenn sie schliesslich die griechischen Inseln oder das Festland erreichen. Zudem dokumentiert Amnesty die enorme Belastbarkeit und Stärke, die diese Frauen im Kampf gegen Elend und Not zeigen.

«Das absolute Versagen der europäischen Regierungen bei der Schaffung von sicheren und legalen Zugangswegen für Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, setzt Frauen und Mädchen einer erhöhten Gefahr von Menschenrechtsverletzungen aus», sagt Kumi Naidoo, der internationale Generalsekretär von Amnesty International.

Amnesty hat ab März 2017 mit über 100 Frauen und Mädchen gesprochen, die in Flüchtlingslagern und anderen Unterkünften in Athen und Umgebung oder auf den griechischen Inseln leben. Auf der Grundlage ihrer Schilderungen listet der Bericht zehn Forderungen der Frauen auf, damit die Menschenrechtsverletzungen ein Ende haben.

Zu diesen Forderungen gehört unter anderem eine sichere Unterbringung, der Schutz vor Gewalt, mehr weibliche Angestellte seitens der Behörden, Betreuerinnen und Übersetzerinnen sowie die Einrichtung einer Schutzzone speziell für Frauen.

Frauen, die sich auf den Weg nach Europa machen, sind den körperlichen, verbalen und sexualisierten Übergriffen durch Schlepper ausgesetzt. Selbst wenn sie es schaffen, nach Europa zu gelangen, ist ihr Leidensweg jedoch nicht zu Ende. Die Mehrheit der Geflüchteten und Migranten, die in Griechenland eintreffen, sind inzwischen Frauen und Kinder – in diesem Jahr waren es bis jetzt knapp über 60 Prozent. Aufgrund des zwischen der Europäischen Union (EU) und der Türkei im März 2016 geschlossenen Migrationsabkommens sehen sich die Menschen, die in Griechenland ankommen, in einer ausweglosen Situation gefangen. Sie sitzen unter furchtbaren Bedingungen in heruntergekommenen Lagern fest, die von der EU finanziert werden.

Katastrophale Zustände

Die Situation in den Lagern ist unhaltbar. Mit über 15.500 Menschen sind die fünf Flüchtlingslagern auf den Inseln heillos überbelegt. Sie waren für etwa 6.400 Menschen konzipiert. Tausende Menschen, darunter viele mit spezifischen Bedürfnissen, wie Menschen mit Behinderungen und Babies, schlafen in Zelten ausserhalb des offiziellen Lagers. Mangelhafte und fehlende sanitäre Einrichtungen, zu wenig sauberes Trinkwasser, offen durch das Lager fliessendes Abwasser sowie Ratten- und Mäuseplagen prägen das Leben in allen Flüchtlingslagern.

Obwohl alle Geflüchteten und Migranten unter diesen Bedingungen leiden, ist es für Frauen und Mädchen besonders schlimm. Mehrere schwangere Frauen haben Amnesty International erzählt, dass sie auf dem Boden schlafen müssen und keinen oder nur minimalen Zugang zu pränataler Betreuung haben. Im vergangenen Monat soll eine Frau ohne jegliche medizinische Betreuung in einem Zelt im Camp Moria ein Kind zur Welt gebracht haben.

Weil die Waschraumtüren nicht abschliessbar sind und die Beleuchtung mangelhaft ist, werden die gewöhnlichen Tagesaktivitäten, wie der Gang zur Toilette oder das Duschen oder auch nur ein Gang nach draussen am Abend zu einer Gefahr für Frauen und Mädchen.

Im Camp Vathy auf Samos erzählte eine Frau Vertreterinnen von Amnesty International: «Es gibt keine Schlösser an den Türen der Duschräume. Es kommen einfach Männer rein, wenn Frauen in den Duschen sind. Es gibt kein Licht in den Toiletten. Abends oder Nachts gehe ich manchmal zusammen mit meiner Schwester zu den Toiletten oder ich mache in einen Eimer.»

Gleiche Situation auf dem Festland

Auf dem griechischen Festland leben etwa 45.500 Flüchtlinge und MigrantInnen in Übergangsunterkünften in städtischen Gebieten oder in Flüchtlingslagern.

Die Bedingungen in diesen Lagern auf dem Festland sind extrem schlecht. In diesem Jahr sind drei Flüchtlingslager, die zuvor geschlossen worden waren, weil sie als unbewohnbar eingestuft wurden, wiedereröffnet worden, weil es keine anderen Unterkünfte gibt. Die Bedingungen haben sich allerdings nicht verbessert.

Eine Jesidin aus dem Irak, die in Skaramagas in der Nähe von Athen wohnt, sagte Amnesty International: «Wir fühlen uns völlig vergessen. Einige von uns leben seit zwei Jahren in dem Lager, aber es ändert sich nichts … Ich kann mich kaum über meine Probleme austauschen, weil niemand unsere Sprache versteht.»

Egal ob sie in den Flüchtlingslagern oder in Wohnungen in städtischen Regionen wohnen: Der Mangel an wichtigen Informationen und Dolmetscherinnen ist das grösste Hindernis für Frauen, die Zugang zu wichtigen Dienstleistungen brauchen, z.B zu Einrichtungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und zu Rechtsberatung.

Betroffene Frauen wehren sich

Trotz dieser enormen Herausforderungen sind die geflüchteten Frauen und Mädchen entschlossen, ihre Situation zu verändern. Sie schliessen sich zusammen und gründen Initiativen, die ihr Leben verändern, z.B. durch die Schaffung von Orten, die auf die Bedürfnisse von Frauen und Mädchen zugeschnitten sind, an denen sie zusammenkommen können, Zugang zu Dienstleistungen haben, Netzwerke schaffen und ihr Wissen und ihre Fähigkeiten erweitern können, um ein besseres Leben für sich und ihre Familien aufzubauen.

«Die Frauen setzen sich für ihre eigenen Belange ein. Da die Situation auf den griechischen Inseln immer kritischer wird, fordern sie die griechischen Behörden auf, die Menschen auf den Inseln nicht in dieser ausweglosen Situation zu lassen. Die Aufnahmebedingungen auf dem Festland müssen verbessert werden und die europäischen Regierungen müssen den geflüchteten Frauen dringend die Unterstützung und den Schutz gewähren, der ihnen zusteht und sie so willkommen heissen, wie sie es verdienen», sagt Kumi Naidoo.

Schweiz darf Flüchtlinge nicht nach Griechenland schicken

Die Schweizer Asylbehörden gehen oft davon aus, dass Flüchtlinge nach Griechenland zurückkehren können. Hilfsorganisationen würden sich vor Ort um sie kümmern und ihnen ein Dach über dem Kopf und Essen geben, wenn staatliche Unterstützung nicht möglich sei. Menschen auf der Flucht finden jedoch in Griechenland zurzeit kein sicheres Zuhause. Deshalb fordert die Schweizer Sektion von Amnesty International, dass die Schweiz keine Asylsuchenden und Flüchtlinge dorthin zurückschickt. Dies gilt insbesondere für alleinstehende und alleinerziehende Frauen mit ihren Kindern, aber auch für andere Menschen in einer Notlage.

Weitere Informationen

Amnesty International
5. Oktober 2018 | 02:00