Entscheid über Leben und Tod darf nicht an Maschinen delegiert werden

Medienmitteilung

 Würden Sie ein fehlerhaftes Gen aus dem Erbgut Ihres Embryos entfernen lassen, um Krankheiten oder Behinderungen vorzubeugen? Ist es denkbar, dass die Entscheidung über Leben und Tod irgendwann autonom von Maschinen gefällt wird? Nun liegen die Umfrageergebnisse des Projektes «Mensch nach Mass» mit 410 Teilnehmenden vor und bieten einen einmaligen Einblick in die Gedanken einer breiten Bevölkerungsschicht quer durch alle Altersklassen. Im Laufe der nächsten Monate werden diese Ergebnisse an vier Veranstaltungen in Einsiedeln, Wädenswil, Zürich und Chur mit dem Publikum diskutiert.

Der Mensch und seine Eigenschaften können durch neue Technologien ersetzt, unterstützt oder verändert werden. Schon heute gibt es Kontaktlinsen mit eingebauter Zoom-Funktion, eine «Genschere», die irgendwann unser Erbgut optimieren soll, und Kriegsroboter, die für uns das Töten übernehmen können. Welche Konsequenzen hat diese Entwicklung für den Menschen? Welche ethischen und juristischen Herausforderungen ergeben sich für die Gesellschaft? Das Projekt «Mensch nach Mass» ging diese Themen nicht – wie dies oftmals geschieht – aus Sicht einer belehrenden Wissenschaft an. Vielmehr wurde mittels einer Online-Umfrage zwischen April und Juni 2016 die Bevölkerung vorwiegend in der Deutschschweiz befragt. Ein zusammen mit zwei Berner Künstlerinnen produzierter Kurzfilm diente hierfür als Inspiration und thematischer Türöffner. Die Umfrage wurde nicht nach streng wissenschaftlicher Methodik durchgeführt; sie ist deshalb nicht repräsentativ, liefert aber ein hochinteressantes Meinungsbild.

Pragmatische Einstellung in Krankheitsfragen

Mit 59% ist der Anteil der Befragten sehr hoch, die einem Eingriff zustimmen würden, der ein potentiell krankheitsauslösendes Gen aus dem Erbgut ihres noch ungeborenen Kindes entfernt, 23% sprechen sich dagegen aus und 17% wählten die Option «Weiss nicht». Angesichts des andauernden Gentech Moratoriums in der Schweiz und den emotionalen Diskussionen rund um die Präimplantationsdiagnostik ist dieses Ergebnis doch erstaunlich. «Alles andere wäre für mich unterlassene Hilfeleistung», argumentiert beispielsweise ein 30- jähriger Mann. Der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung des Alltagslebens stehen die Teilnehmenden eher kritisch gegenüber. Nur 36% können sich in einem Gedankenexperiment vorstellen, die alte alleinstehende Mutter zu ihrer eigenen Sicherheit mittels Sensoren zu überwachen, die Alarm schlagen würden sobald sie beispielsweise ihre Medikamente nicht einnimmt: 46% sind dagegen und 16% unentschieden. «Solange es meine Mutter nicht stört, wäre es eine Erleichterung für die Angehörigen. Dennoch ersetzen Sensoren keine persönlichen Kontakte», argumentiert eine 34-jährige Frau und spricht an, was viele Teilnehmende beschäftigt: Nämlich die Frage, inwiefern menschliche Interaktionen in der digitalisierten Welt noch Platz haben werden. Eine deutliche Mehrheit spricht sich gegen den Einsatz von autonomen Waffensystemen im Krieg aus. 61% sind der Meinung, dass der Entscheid über Leben und Tod nicht an Maschinen delegiert werden darf. Aussagen wie «Der Mensch soll selber die Schuld fürs Töten auf sich laden» oder «Menschen machen Ausnahmen, Maschinen nicht» untermalen diese Meinung. Hingegen argumentiert eine Befürworterin: «Drohnen und Roboter könnten in schnellerer Zeit mehr Daten verarbeiten und somit faktenbasiertere Entscheide treffen». Bemerkenswert ist, dass rund 27% der Teilnehmenden die Option «Weiss nicht» wählten.

Wozu das Meinungsbild?

Das aufgrund der Online-Umfrage vorliegende Meinungsbild dient ab Oktober 2016 als Grundlage für vier Diskussionsveranstaltungen, in denen sich eine interessierte Bevölkerung mit Expertinnen und Experten aus den Bereichen Life Sciences, Ethik, Sozialwissenschaften und Recht austauschen kann.

Die Veranstaltungen finden an folgenden Daten und Orten statt und können kostenlos besucht werden:

  • 27. Oktober 2016, 19.30-21.00 h: Kloster Einsiedeln, mit Apéro BODYHACKING – WENN DER MENSCH ZUM CYBORG WIRD Anmeldung per mail an info@menschnachmass.ch
  • 10. November 2016, 17.30-19.00 h: ZHAW Wädenswil CRISPR-CAS9 – MIT DER GENSCHERE ZUM PERFEKTEN MENSCHEN?
  • 24. November 2016, 19.30-21.00 h: Sphères, Zürich KAMPFROBOTER UND SMART GUNS – INTELLIGENTER KRIEG?
  • 2. März 2017, 18.00-19.30 h: Wissenschaftscafé Chur DIE MASCHINE SORGT FÜR MICH, DIE MASCHINE DENKT FÜR MICH

Alle Angaben über die an den Diskussionen beteiligten Expertinnen und Experten finden sich unter: http://menschnachmass.ch/auf-ins-gespraech Eine Kollaboration zwischen Naturwissenschaft, Ethik, Wissenschaftskommunikation und Kunst Das Projekt «Mensch nach Mass» steht unter der gemeinsamen Leitung des Collegium Helveticum, der Paulus Akademie in Zürich und der Stiftung Science et Cité in Bern. Fragebogen, Kurzfilm und Webseite wurde zusammen mit den Künstlerinnen Rahel Bucher und Kathrin Yvonne Bigler entwickelt (freiraumtheater.allyou.net).

Das Gesamtprojekt wird unterstützt vom Agora-Programm des Schweizerischen Nationalfonds (www.snf.ch/de/foerderung/wissenschaftskommunikation/agora/Seiten/default.aspx), der Akademie der medizinischen Wissenschaften (www.samw.ch) sowie den Akademien der Wissenschaften Schweiz (www.akademien-schweiz.ch).

Gastbeitrag
29. September 2016 | 11:21