Die Heilige der Gosse

Medienmitteilung

An inspirierende Begegnungen mit Mutter Teresa erinnert sich der Steyler Pater Dominic Emmanuel – Mutter Teresa von Kalkutta wird am 4. September heiliggesprochen. Der indische Steyler Missionar Pater Dominic Emmanuel SVD hat sie persönlich kennengelernt und ihr Wirken und ihre Wirkung in seiner Heimat aus nächster Nähe miterlebt.

Der lang erwartete Tag von Mutter Teresas Heiligsprechung ist endlich da. Ich hatte das Glück, im Oktober 2003 anlässlich ihrer Seligsprechung in Rom zu sein. Obwohl die Wettervorhersage Regen angekündigt hatte, war der Himmel strahlend blau an diesem Morgen. Braucht man da noch ein Wunder?

1910 wurde Agnes Gonxha Bojaxhiu in Albanien geboren, weit weg von Indien. Sie trat den Loreto-Schwestern bei und war keine 19 Jahre alt, als sie in Kalkutta ankam. Die ehemalige Hauptstadt von Britisch-Indien wurde ihre Heimat. Und lange bevor sie ihre letzte Reise in die ewige Heimat antrat, hat sie die Herzen fast aller Inder gewonnen.

Ehre und Kritik

Mutter Teresa ist mehr als eine Legende. Und das nicht nur in Indien, sondern in der ganzen Welt. Kurz nach ihrer Seligsprechung schrieb der bekannte Journalist Vir Sanghvi, ein Kritiker des langen kirchlichen Heiligsprechungsprozesses: «Für uns alle ist sie schon eine Heilige. Warum besteht die Kirche auf einen wissenschaftlichen Beweis für ein Wunder, um sie zur Heiligen zu erklären?»

Kalkuttas Straßen, die Teresa zur Heiligen gemacht haben, sind berühmt für ein großes Hindu-Fest, «Durga Puja», zu Ehren von Göttin Durga. Volle zehn Tage wird sie gefeiert. Es ist ein altes und buntes Fest, vor allem aber tief fromm. Eigentlich gilt es der Verehrung der Kraft des Guten, das das Böse überwindet. Interessanterweise tauchten – lange bevor der Vatikan den Heiligsprechungsprozess begann –  bei vielen Straßenfeierlichkeiten in Kalkutta Statuen von Mutter Teresa neben Durga Ma auf: Teresa Ma, die Zerstörerin des Bösen.

Die verstorbene Nobelpreisträgerin genießt noch heute höchsten Respekt bei religiösen Führern und Politikern in aller Welt. Der Papst und der Dalai Lama bewunderten sie sehr. Und obwohl die kommunistischen Regime die Religion und die Kirchen bekämpften, wollten sie, dass Mutter Teresa ihre Konvente errichtete. Kein Wunder, dass ihr Orden, die «Missionarinnen der Nächstenliebe», der am schnellsten wachsende (zu Lebzeiten der Gründerin) war.

Bei so viel Ehre blieb Kritik nicht aus. Der britische Atheist Christopher Hitchin drehte einen kritischen Film über ihre Arbeit, den er «Hell›s Angels» nannte. Er war nicht der Einzige. Auch der Chef der radikalen Hindu-Gruppe RSS, Mohan Bagwat, stellte im letzten Jahr ihre Motive infrage: Es sei ihr nur darum gegangen, die Armen zum Christentum zu bekehren.

Im Mai 1987 kam Mutter Teresa nach Indore, in die Diözese, in der ich arbeitete und in der die Steyler Missionare 1932 zuerst ihre Zelte aufschlugen. Sie wollte den ersten Konvent ihrer Schwestern besuchen. Ich hatte das unglaubliche Glück, ihre Reden ins Hindi zu übersetzen. Ich stand an ihrer Seite, und ich spürte die Schwingungen, die von dieser heiligmäßigen Frau ausgingen. Es war ein Tag voller Inspiration. Später saß ich mit ihr beim Tee zusammen, und wie eine einfache, typisch indische Nonne goss sie mir Tee ein und schenkte sofort nach, sobald meine Tasse leer war.

Die stärkste Geschichte, die ich an diesem Tag hörte, und die ich seitdem immer wieder in Predigten und Texten verwendet habe, handelt von der Großzügigkeit der Armen. Sie erzählte uns: «Einmal kam ich zu einer armen Familie zu Besuch und hatte etwas zum Essen mitgebracht, denn sie hatten seit zwei Tagen nichts gegessen. Die Frau nahm den Teller und ging hinaus. Kurze Zeit später kam sie zurück – und der Teller war halb leer. Ich fragte sie: Warum bist du weggegangen und hast nicht erst mal deinen Kindern etwas gegeben? Da sagte sie zu mir: Meine Nachbarn hatten seit zwei Tagen nichts gegessen. Sie hatten auch Hunger.»

Ein Tropfen im Ozean

Deshalb sagte Mutter Teresa immer wieder: Die Armen geben uns mehr, als wir ihnen geben. Sie erzählte auch immer wieder gern von dem Bettler, der ihre Arbeit mit winzigen Münzen unterstützte, was sie immer an das Opfer der armen Witwe im Evangelium erinnerte.

Während der Pressekonferenz in Indore wurde sie gefragt, wie sie zur Abtreibung stehe. Das ist in Indien ein großes Problem: Vor allem ungeborene Mädchen werden zu Hunderttausenden abgetrieben, weil die Mitgift für die Töchter viele Familien in den Ruin treibt. «Gebt mir das unerwünschte Kind, ich werde für es sorgen. Aber tötet nicht das schutzlose Leben im Schoß der Mutter!», bat sie. Aus ihrer Stimme und ihren Augen sprach die Liebe. Sie verzweifelte nie angesichts der enormen Aufgaben, die vor ihr lagen. «Wir erkennen selbst, dass das, was wir tun, nur ein Tropfen im Ozean ist», sagte sie zu ihren Schwestern.  «Aber der Ozean wäre kleiner ohne diesen Tropfen.»

Was können wir tun, um sie zu ehren am Tag ihrer Heiligsprechung und darüber hinaus? Vielleicht folgen wir einfach ihrem Ratschlag: «Nicht jeder von uns kann große Dinge tun. Aber wir alle können kleine Dinge mit großer Liebe tun.»

Steyler Missionare
23. August 2016 | 14:36