Der Welthit, in stiller Nacht geboren: Vor 200 Jahren entstand das bekannteste Weihnachtslied

Weihnachten ohne «Stille Nacht»? Geht gar nicht. Was dem Priester Joseph Mohr und Musiker Franz Xaver Gruber an Heiligabend 1818 in Oberndorf bei Salzburg gelang, gilt heute als «liturgisches Muss» im Mitternachtsgottesdienst.

Als «Höhepunkt aller Weihnachtsgottesdienste» bezeichnet Andreas Wüest, Chorleiter und Organist im Pastoralraum Baldeggersee, «Stille Nacht». Für Seppi Hodel, Leiter des Pastoralraums Malters-Schwarzenberg, gehört das Lied «zum Standard an Heiligabend und Weihnachten». Es sei «ein Lied, das sogar absolute Nichtsänger zum Singen bringen kann», erlebt Monika Huber, Pfarreisekretärin, Katechetin und Kirchenmusik in Luthern.

«Wiegender Rhythmus»

Und weshalb? «Das Lied ‹Stille Nacht› ist ein starker Gegenpol zu unserer stressigen Welt, das ein Gefühl von Geborgenheit auslöst», meint Moana Labbate, Chorleiterin und Dirigentin aus Hildisrieden. Sie erwähnt die «ausgewogen aufbauende Melodie» und den «wiegenden Rhythmus», während Seppi Hodel «Stille Nacht» mit einem «Einschlaflied vergleicht, das beruhigt, Sicherheit gibt und an die Kindheit erinnert, wo Eltern, Engel und Gott wachen».


Vor der Krippe uraufgeführt

«‹Stille Nacht› rührt einfach ans Herz», fasst Michael Neureiter zusammen. Er präsidiert seit elf Jahren die Stille-Nacht-Gesellschaft, die im Umfeld von Salzburg das Erbe von Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber pflegt. Neureiter, 67, wuchs im Mesnerhaus von Hallein auf, in dem der Lehrer, Musiker und «Stille-Nacht»-Komponist Gruber (1787–1863) ab 1835 lebte. Die Stadt Hallein liegt gut 15 Kilometer südlich von Salzburg. Etwa gleich weit nördlich davon befindet sich Oberndorf, wo sich der junge Priester Joseph Mohr (1792–1848) mit Gruber anfreundete, als dieser in der dortigen St. Nikolaus-Kirche ab 1816 den Kantoren- und Organistendienst versah.

An Heiligabend 1818 bat Mohr seinen Freund, das Gedicht «Stille Nacht», das er zwei Jahre zuvor geschrieben hatte, zur Christmette zu vertonen. In der gleichen Nacht, am Ende des Gottesdienstes vor der Krippe, sangen die beiden das Lied erstmals. Mohr begleitete «Stille Nacht» auf der Gitarre. So erzählt der Komponist selbst 1854 in seiner «Authentischen Veranlassung» von 1854 die Entstehungsgeschichte von «Stille Nacht». Grund für diese Schrift war die damals sich verbreitende Annahme, der Komponist Michael Haydn (1737–1806) sei der Schöpfer des Liedes.

«Ein Phänomen»

Dabei wurde «Stille Nacht» bis Mitte des 19. Jahrhunderts schon in der halben Welt gesungen. «Stille Nacht» sei «mit seiner weltweiten Verbreitung ein einzigartiges Phänomen», schrieb die österreichische Volksmusikforscherin Gerlinde Haid (1943 –2012) 2010 in ihrem Gutachten zur Aufnahme von «Stille Nacht» in das österreichische Weltkulturerbe (siehe Kasten). Es habe sich nicht erst «mit den medialen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts» verbreitet. Vielmehr werde das Lied «tatsächlich vielfach aktiv gesungen» und nicht nur als «Musikkonserve» gehört.

Heute wärs ein Youtube-Hit

Heute würde «Stille Nacht» zum Youtube-Hit. Damals aber, 1825, brachte der Orgelbauer Karl Mauracher das Lied von einem Auftrag in Oberndorf Melodie und Text ins Zillertal. Von hier gelangte es über Gruppen, die mit folkloristischen Programmen in Mitteleuorpa, später auch in Übersee, konzertierten, in die Welt. Über die Familie Rainer, eine dieser Gruppen, heisst es auf einer Inschrift auf dem Friedhof Fügen, sie habe «durch ihre Konzertreisen […] Tirol und das Zillertal weltbekannt» gemacht. Und: «Ludwig Rainer (1824–1893) brachte ‹Stille Nacht› im Jahre 1839 nach Amerika. Er war der berühmteste Nationalsänger des 19. Jahrhunderts.» Zum Erfolg von «Stille Nacht» trug auch der Verlag Friese in Dresden bei, der die Partitur um 1830 als «ächtes Tyroler Lied» erstmals gedruckt herausgab.
«Stille Nacht» wird inzwischen in rund 300 Sprachen gesungen. Christian Albrecht, Redaktor der Zeitschrift «Musik und Liturgie» des Schweizerischen Katholischen Kirchenmusikverbands, schreibt in deren Septemberausgabe, das Lied lasse sich «ebenso wenig in ein Schema pressen wie Text und Melodie unverrückbar fixiert» seien. Es entstünden «immer wieder neue Varianten mit minimalen Divergenzen».


Ein holder Knabe?

Eine solche stammt von der Benediktiner-Schwester Silja Walter (1919–2011), die 2007 den «holden Knaben im lockigen Haar» durch «Engel künden: O fürchtet euch nicht» ersetzte. Diese Fassung wählt Seppi Hodel seit Jahren für den Weihnachtstag – da in der Dunkelheit der Kirche an Heiligabend nur der ursprüngliche Text auswendig gesungen werden könne. In Luthern wiederum wird Monika Huber «Stille Nacht» dieses Jahr in verschiedenen Formen und Variationen in die Mitternachtsmesse einbauen, bis hin zum Klangteppich. Sicher werde aber die traditionelle Fassung nicht fehlen – was der Meinung von Gerlinde Haid entspricht, die Popularität von «Stille Nacht» sei «hauptsächlich in der Melodie» angelegt.
Und dem Rat von Martin Hobi Rechnung trägt, Professor für Kirchenmusik an der Hochschule Luzern und Redaktionskollege von Christian Albrecht. In seinen «Orgelanfängen» sei «Stille Nacht» oft belächelt und als «kitschig» bewertet worden. «Zwischenzeitlich ist es aber ein liturgisches Muss. Besser also, Sie versuchten es nicht ohne – schon gar nicht im Zweihundertsten.»

Dominik Thali

Röm.-kath. Landeskirche des Kantons Luzern
30. November 2018 | 13:05