Der Weg des Unterscheidens und Begleitens

Medienmitteilung: Bischof Jean-Marie Lovey über das postsynodale apostolische Schreiben «Amoris Laetitia»

Man hat es erwartet und erhofft, jetzt ist es da: das postsynodale apostolische Schreiben. Papst Franziskus publiziert es kaum sechs Monate nach Abschluss der Arbeiten der Bischofssynode über die Familie. Sein Titel: Amoris Laetitia, Freude der Liebe. Er allein gibt schon einen interessanten Schlüssel, der die verschiedenen Zugänge öffnet. Der Papst, der an allen Plenarsitzungen der Synode teilnahm, hörte diese Versammlung sagen: «Mit innerer Freude und tiefem Trost blickt die Kirche auf die Familien, die den Lehren des Evangeliums treu sind. Sie dankt ihnen für ihr Zeugnis und ermutigt sie darin. Dank Ihnen werden die Schönheit der unauflöslichen Ehe und ihre immerwährende Treue glaubwürdig.» (Relatio Synodi, Nr. 51)

Das Dokument kann besser aufgenommen und fruchtbar werden, wenn der darin vorgezeichnete Weg durch die Türe des Unterscheidens eingeschlagen wird. Weil das Evangelium ein Schatz ist, der der Kirche zum Wohle aller anvertraut ist, ist es wichtig, dass er jeden in seinem wirklichen Leben und seiner konkreten Lage erreichen kann. Das Unterscheiden lädt den Seelsorger dazu ein, ohne Verallgemeinerung die unterschiedlichen Situationen zu berücksichtigen, in denen die Menschen, die Familien, die Paare leben. Die Situationen und ebenso die Weise, ihnen eine Antwort zu unterbreiten, sind oft komplex. «Für eine Unterscheidung darf man keine bestimmte Formulierung einer Wahrheit für die zu treffende Wahl voraussetzen.» Es handelt sich nicht darum, die sehr unterschiedlichen Situationen zu «katalogisieren oder in allzu starre Aussagen einzuschliessen, ohne einer angemessenen persönlichen und pastoralen Unterscheidung Raum zu geben» (AL, Nr. 298)Es geht vielmehr darum, eine Begleitung in allen Situationen anzubieten, auch den komplexesten, mit dem Wort Gottes als Unterscheidungsinstanz, mit dem Ziel, die Wirklichkeit jedes Lebens zu beleuchten. Sie ist eine andere Türe, die verlangt, dem Heiligen Geist gewissenhaft zu folgen. Nur in ihm, dem Heiligen Geist, «begegnen sich Liebe und Wahrheit» vollkommen. Die pastorale Unterscheidung bestimmt die Haltung der Kirche näher. Sie ist dazu aufgerufen, alle Situationen zu begleiten und an das Gewissen der Menschen zu appellieren. Dieses gilt es zu bilden und nicht, es ersetzen zu wollen (cf. AL, Nr. 37). Anders gesagt, Begleiten heisst, in «einer klug differenzierten Weise» mit den Anderen auf ihrem Weg Schritte zu machen.

Die Türe der Begleitung öffnet sich auf jene der Inklusion und nicht des Ausschlusses. Die Inklusion setzt die Anstrengung voraus, die Verschiedenheit zu akzeptieren, mit Andersdenkenden zu sprechen, die Teilhabe jener zu befürworten, die unterschiedliche Eignungen haben. Papst Franziskus hatte uns bereits in seinen Katechesen damit vertraut gemacht, dass man «in der Familie, unter Brüdern, das menschliche Zusammenleben lernt, nämlich wie man in Gesellschaft nebeneinander zu existieren hat» und ebenso, dass wir ab «unseren ersten Lebensjahren von der Pflege und dem Wohlwollen anderer abhängig sind». Mit Blick auf die Personen, die in komplexen, «irregulären» Situationen leben, sagt der Text des päpstlichen Schreibens: «Die Logik der Integration ist der Schlüssel ihrer pastoralen Begleitung… Sie sind Getaufte, sie sind Brüder und Schwestern, der Heilige Geist giesst Gaben und Charismen zum Wohl aller auf sie aus.» (AL, Nr. 299)

In diesem Jahr, in dem er das Jubiläum der Barmherzigkeit eröffnet hat, ist die pastorale Sorge von Papst Franziskus, dass die Türen unserer Leben und die Türen der Kirche immer offen bleiben, damit wir «immer geneigt (sein mögen) zu verstehen, zu verzeihen, zu begleiten, zu hoffen und vor allem einzugliedern». (AL, Nr. 312)

 

+Jean-Marie Lovey

Bischof von Sitten
Delegierter der Schweizer Bischofskonferenz
an der Generalversammlung der Bischofssynode 2015

Mediencommuniqué

 

 

Schweizer Bischofskonferenz SBK
8. April 2016 | 13:36