Beschwerde des Hasspredigers von Winterthur abgewiesen

KATHRIN ALDER

33 Minuten dauerte die Predigt, die der damals 25-jährige Somalier an einem Freitag im Oktober 2016 in der An-Nur-Moschee in Winterthur hielt. Die Passagen, die dem jungen Mann später zum Verhängnis wurden, dauerten hingegen nur rund zwei Minuten. Doch diese zwei Minuten hatten es in sich: So sagte er etwa, «dass getötet werden müsse, wer nicht in der Gemeinschaft bete», oder er rief dazu auf, «Menschen in ihren Häusern zu verbrennen, weil sie sich im Gebet von der Gemeinschaft ferngehalten haben».

Das Bezirksgericht Winterthur verurteilte den jungen Mann 2017 unter anderem wegen öffentlicher Aufforderung zu Verbrechen oder zu Gewalttätigkeiten (Art. 259 StGB) zu einer bedingten 18-monatigen Freiheitsstrafe und verwies ihn für zehn Jahre des Landes. Das Zürcher Obergericht wies seine dagegen erhobene Berufung im letzten November ab, das Bundesgericht hat die Beschwerde des Imams nun ebenfalls abgewiesen.

Übersetzung ist verwertbar

In seinem am Freitag publizierten Urteil hält das Bundesgericht zunächst fest, die von einer Dolmetscherin angefertigte Übersetzung der umstrittenen Predigt sei verwertbar. Der junge Mann war hingegen anderer Auffassung und rügte, es seien formelle Anforderungen nicht erfüllt worden und die Übersetzerin sei befangen. Laut Bundesgericht gibt es dafür aber keine Anhaltspunkte.

Weiter rügte der Imam, den im Strafgesetzbuch verankerten Tatbestand der öffentlichen Aufforderung zu Verbrechen oder zu Gewalttätigkeiten objektiv nicht erfüllt zu haben. Auch diese Argumentation liessen die Richter in Lausanne nicht gelten. Das Obergericht habe kein Bundesrecht verletzt, indem es zum Schluss gekommen sei, dass die umstrittenen Passagen aus der Freitagspredigt den objektiven Tatbestand von Art. 259 StGB erfüllten. Dabei müssen die Äusserungen eine gewisse Dringlichkeit aufweisen und, nach nicht unbestrittener Lehrmeinung, eindeutig auf die Begehung von Verbrechen oder Gewalttätigkeiten gerichtet sein.

Das Bundesgericht kommt zum Schluss, die Vorinstanz habe diese erforderliche Dringlichkeit zu Recht bejaht. Sie habe nachvollziehbar erwogen, dass der Zweck von Predigten darin bestehe, die Zuhörerschaft im Sinne der dargelegten Glaubenslehren zu beeinflussen. Gerade gegenüber dem in einer Moschee zu erwartenden religiösen Publikum sei dieser Einfluss besonders gross. Darüber hinaus hätten die Gläubigen – entgegen den Darstellungen des Predigers – keinen relevanten Interpretationsspielraum gehabt; der Somalier habe seine Äusserungen weder kommentiert noch interpretiert und habe zudem zum Ausdruck gebracht, die entsprechenden Aufforderungen entsprächen dem Willen hochrangiger islamischer Schriftgelehrter, des Propheten Mohammeds oder Gottes selbst.

Nach Somalia ausgeschafft

Auch die Behauptung des Imams, die umstrittenen Passagen seien aus dem Gesamtzusammenhang gerissen worden, trifft laut Bundesgericht offensichtlich nicht zu. Denn wie er selber ausführe, handle die Predigt von der Wichtigkeit des gemeinsamen Gebets als einer der tragenden Säulen des Islams. Keine Rolle spiele weiter, welchen prozentualen Umfang die zu Gewalt auffordernden Passagen innerhalb der ganzen Predigt ausgemacht hätten.

Das Urteil des obersten Gerichts erfolgt, rund zweieinhalb Monate nachdem die Schweizer Behörden den ehemaligen An-Nur-Prediger nach Somalia ausgeschafft haben. Zuvor hatte er die Ausreise trotz abgewiesenem Asylgesuch und Landesverweis während eineinhalb Jahren verweigert.

Erschwert wurden die Bemühungen vor allem dadurch, dass lange Zeit unklar war, woher der junge Mann überhaupt stammt. Erst in diesem Jahr anerkannten die somalischen Behörden ihn schliesslich als Staatsangehörigen und stimmten einer Rückführung des jungen Mannes zu.

Neue Zürcher Zeitung
20. Juli 2019 | 09:09