Forum offene Katholizität am 21.11.2016 in Luzern

Aufklärerisches Potential im Judentum und im Christentum

Medienmitteilung

43. Dialog des Forums für offene Katholizität (FOK) – Aufklärerische Skepsis gegenüber Macht und Dogmen ist durch die Religionen selbst hervorgebracht worden und wirkt in der säkularisierten Gesellschaft von heute weiter. Neuzeitliche Errungenschaften wie die Allgemeinen Menschenrechte und die Idee einer Trennung von Kirche und Staat fussen kulturgeschichtlich im Judentum und Christentum selbst.

Beim 43. Dialog des Forums für Offene Katholizität, am 21. November 2016 im RomeroHaus Luzern, wurde das Jahresthema der Dialoge 2016/17 «Säkularismus als Herausforderung» zugespitzt auf die Frage nach dem jüdisch-christlichen Beitrag zur Aufklärung. Mit Jacques Picard, (Kulturanthropologe, Universität Basel) und Thomas Markus Meier (Erwachsenenbildner, Obergösgen) stellten sich ein jüdischer und ein christlicher Fachmann der Aufgabe, das aufklärerische Potential von Judentum und Christentum herauszuarbeiten.

Jacques Picard erläuterte, im Judentum erscheine der Prozess der Säkularisierung als eine eigene, wirkmächtige Tradition: Der Schriftlichen Thora ist die Mündliche Thora als Fortschreibung von Offenbarung zugesellt, so dass diese als dynamischer und offener Prozess erscheint, der nie abgeschlossen ist. Mit Baruch Spinoza (17.Jh.) und Moses Mendelssohn (18.Jh.) sind Modelle eines genuin jüdischen Säkularismus in die Moderne getreten: Traditionen des Liberalismus wie ebenso des Konservatismus, die kulturell den anthropozentrischen Pluralismus als Leitgedanken bevorzugen. Sie setzen also das menschliche Individuum ins Zentrum der Gesellschaft. Dieser Stossrichtung stehen nochmals Versuche gegenüber, das geschichtliche Heil von neuem zu kollektivieren   – in Gestalt des nationalen Zionismus und ebenso des transnationalen Sozialismus. Heute entstehen in den durch Globalisierung berührten Gemeinschaften neue Herausforderungen, die den Dialog wie ebenso Grenzziehungen erheischen.

Thomas Markus Meier verwies auf die Auseinandersetzungen in der Schweiz um sogenannte christliche Werte, die die Diskussion um die Herkunft von Errungenschaften wie Menschenwürde und Gleichwertigkeit, Freiheit und Demokratie, Solidarität und Rechtsstaatlichkeit neu entfacht haben. Dabei wird gerne Winston Churchill zitiert, der Europa als «Wiege des christlichen Glaubens und der christlichen Ethik» bezeichnete. Meier betonte demgegenüber, dass das Christentum nicht in Europa entstand, sondern in Syrien geboren und in Afrika gross geworden ist. Die Aufklärung hingegen darf als ein Kind Europas bezeichnet werden.

In der aufklärerischen Epoche und im heute noch anhaltenden aufklärerischen Prozess ist ein christlicher Einfluss deutlich auszumachen. Die Vision vom Reiche Gottes, das Jesus verkündete und in seiner Person verkörperte, wirkt in aufklärerischer Weise weiter gegen alte Kommunismen, neue Faschismen (Türkei) und oligarchische Dynastien (USA). Das aufklärerische Potenial des Christentums lässt die Verkirchlichung des Lebens rapide abnehmen. Das Eingebettetsein der Menschen in kirchliche Rituale und Zeremonien verflüchtigt sich. «Hier hat die konstantinische Wende gewissermassen ihr Ende», sagte Thomas Markus Meier, «und das stellt die Kirchen vor grosse Herausforderungen».

Die Diskussion unter Leitung von Thomas Staubli (Lehrbeauftragter für das Alte Testament an der Universität Freiburg) gab den beiden Referenten die Möglichkeit, einzelne Aussagen ihres Referates näher zu begründen. Jacques Picard tat dies, in dem er nach einer echt rabbinischer Tradition Geschichten erzählte. In der Schlussrunde wurde die Frage gestellt, was der heutzutage aufkommende Populismus für die aufklärerische Tradition bedeutet. Da bekannten sich beide Referenten zur Aussage, dass es an der Zeit ist, die Errungenschaften der Aufklärung mit geduldigem Einsatz und in kleinen Schritten zu verteidigen.

Das Forum für Offene Katholizität

Die Dialoge des Forums für Offene Katholizität (FOK) werden verantwortet durch das FOK-Team in Zusammenarbeit mit dem Verein tagsatzung.ch und dem RomeroHaus Luzern. Mitglieder des FOK-Teams sind: Durrer Brigitte, Estermann Josef, Karrer Leo, Koller Erwin, Jeannerat Paul, Odermatt Alois, Rüttimann Vera, Suter Ester.

Der nächste, 44. Dialog findet am Montag, 30. Januar 2017, 14.00 bis 17.30 Uhr, im RomeroHaus Luzern statt. Thema: Säkularer Anti-Christianismus. Referenten: Thomas Staubli und Uwe Justus Wenzel.

Die Texte (Themensetzung, Thesen, Berichte, Kommentare, Schlagwörter) der Dialoge 1 bis 43 sind einsehbar unter www.fokdialoge.org.

Paul Jeannerat

 

 

Forum offene Katholizität am 21.11.2016 in Luzern | © Vera Rüttimann
Forum Offene Katholizität
22. November 2016 | 14:41