Auf den Spuren der kleinen Könige
Alle möchten sie finden und einen Tag lang König spielen. Dann aber erlahmt das Interesse an den Figürchen im Dreikönigskuchen. Das mag erklären, wieso sich ihre Spuren irgendwo in Fernost verlieren.
Sie kamen aus dem Osten, um das neu geborene Jesuskind zu sehen. Kaspar, Melchior und Balthasar sahen in ihrer Heimat einen Stern aufgehen und folgten ihm nach Bethlehem, wo sie den so verheissenen König fanden.
Im ärmlichen Stall legten sie als Zeichen ihrer Verehrung Geschenke ab, Gold, Weihrauch und Myrrhe – so erzählt die christlich-abendländische Tradition die Geschichte der drei Könige aus dem Morgenland, einer Gegend, die wohl irgendwo im Mittleren Osten liegt.
Auch sie kommen aus dem Osten. Aus dem Fernen Osten sogar: Morgen Sonntag geht wieder landauf, landab die Jagd auf die weissen Figürchen im Dreikönigskuchen los. Das Gebäck aus süssem Hefeteig wird immer am 6. Januar zur Erinnerung an die drei Könige und ihre Reise aufgetischt.
In den Kugeln, die blumenartig um ein grosses Stück in der Mitte angeordnet werden, versteckt sich ein kleiner König aus Kunststoff. Wer auf ihn stösst, bekommt die mitgelieferte goldene Papierkrone aufgesetzt und darf sich einen Tag lang feiern lassen.
Klein, unscheinbar und zum Wegwerfen bestimmt, sobald sie ihren Zweck erfüllt haben – das Schicksal der Kunststofffigürchen hat wenig mit dem Glanz zu tun, der Königen gemeinhin anhaftet. Entsprechend günstig müssen sie in der Herstellung sein. So eben, wie es heute praktisch nur noch im Fernen Osten möglich ist.
Eine Gratiszugabe
Doch die Suche nach einem Produzenten gestaltet sich unerwartet schwierig, um nicht zu sagen völlig unmöglich. Der Schweizerische Bäcker-Confiseur-Meister-Verband kann nicht weiterhelfen. Er bittet, sich doch an die Pistor AG zu wenden, die als Grossistin die gewerblichen Bäckereien der Schweiz mit allerhand Produkten für den Alltag in der Backstube versorgt. Dort bedauert man ebenfalls, keine wirklich spannende Story zum Thema liefern zu können. Nur so viel: Man lasse die kleinen Königsfiguren «mit einem jährlichen Produktionsauftrag von Lieferanten aus dem asiatischen Raum importieren».
Interessanter wird es erst im dritten Anlauf. Anlaufstelle ist diesmal Marcel Köpfli, einst Einkaufschef bei Pistor und später jahrzehntelang mit einem eigenen Unternehmen im Export für die Hotel- und Gastrobranche in Asien tätig. Im Rahmen dieser Tätigkeit begann er, nebenbei Königsfigürchen in die Schweiz einzuführen. In Gang kam dieses Importgeschäft um 1990 herum. Es war die Zeit, in der die osteuropäischen Staaten als bisherige Lieferanten dieser, wie Köpfli sie nennt, Gratiszugaben zu teuer wurden.
Also besann er sich auf seine Handelspartner in Taiwan, über die er seine Geschäfte in Fernost abwickelte. Er liess ihnen ein paar Figürchen aus osteuropäischer Produktion als Vorlage zukommen, sie wiederum nutzten ihre Kontakte nach China – und schon waren Kopien der kleinen Könige im Umlauf. Genaueres über die Fabriken, aus denen sie kommen, weiss auch er nicht. Doch eigentlich, blickt der über 80-Jährige in seine aktive Zeit im Handel zurück, habe ihm dies immer egal sein können: «Ich schickte Jahr für Jahr meine Bestellung los und kam pünktlich zu meiner Ware.»
China sei für solche Artikel «unglaublich günstig», bekräftigt Köpfli nochmals. Der Bäcker-Konditor habe ja kein Interesse daran, dass seine Produkte durch ein Fähnchen, ein Glöckchen oder eben auch ein Figürchen spürbar teurer würden. Gleichzeitig seien die Chinesen sehr zuverlässige Handelspartner, «es klappte einfach».
Gegen zwei Millionen Stück
Ob es sich überhaupt lohnt, für einen vergleichsweise kleinen Markt wie die Schweiz so spezielle Könige herzustellen? Nun, erstens wird der Königskuchen auch in anderen Teilen Europas gegessen, allem voran in Frankreich, wo die Figürchen in der Regel aber aus Porzellan bestehen (siehe Text unten). Zudem sind die Mengen allein für die Schweiz nicht unerheblich: Allein Pistor sowie die beiden Grossverteiler Migros und Coop verkaufen zusammen Jahr für Jahr gegen zwei Millionen Dreikönigskuchen.
Wer in dieser Bäckerei in ein Stück Königskuchen beisst, lässt mit Rücksicht auf seine Zähne besser Vorsicht walten. Denn hier, gleich jenseits der zum Röstigraben gewordenen Saane, macht sich bereits die alte Tradition aus Frankreich bemerkbar: Gérald Saudan in Freiburg stellt neben den vertrauten blumenförmigen Königskuchen aus süssem Hefeteig auch die französischen Galettes des Rois aus Blätterteig her. Und bestückt diese wie jene nicht mit einem unscheinbaren weissen König aus weichem Kunststoff, sondern mit bunt bemalten, aufwendig produzierten Figürchen aus weit härterem Keramik. Mit sogenannten Fèves.
Keine Könige, sondern kleine Patisseriestücke sind in Saudans Kuchen zu finden, und dies gleich in zwölf verschiedenen Varianten. Auch dies gehört zur französisch-welschen Tradition: Die Keramikfigürchen werden nach Gebrauch nicht einfach achtlos weggeworfen, sondern aufbewahrt. Sie sind Sammlerobjekte.
Im Internet gehandelt
Passend dazu greift Saudan jedes Jahr auf eine andere Serie zurück. Eine kleine Ausstellung lässt in der Bäckerei die jüngere Vergangenheit aufleben. Mal steckten Kronen in seinen Kuchen und mal Kühe, mal gaben sich Katzen im Stile der mit Freiburg eng verbundenen Künstlerin Niki de Saint Phalle die Ehre und mal kleine Autos in Form des legendären Deux-Chevaux von Citroën – die zwei Serien, hält Saudan im Rückblick fest, seien besonders gut gelaufen.
Ergänzend zu den Kuchen verkauft Saudan die Figürchen auch einzeln. Sammler, die es besonders gediegen mögen, legen sich zusätzlich eine Sammelbox zu. Das kann eine durchsichtige Schatulle sein, aber auch ein kleines Gestell in Form einer Etagere oder gar eines Buffets, Hauptsache, die begehrten Objekte kommen in diesem Umfeld richtig zur Geltung.
Wie viele Sammler wie aktiv sind, weiss Saudan nicht. Einen Fingerzeig gibt das Internet. Ein paar Klicks – schon ploppen am Computer Verkaufsplattformen mit Tausenden von Figürchen in allen Varianten auf.
Seine Fèves bezieht Saudan in Frankreich, wo sich drei Firmen auf dieses Geschäft spezialisiert haben. Entwickelt werden die immer neuen Serien von Künstlern vor Ort. Für die Produktion in Massen gilt dies dagegen kaum, er nehme an, sagt Saudan, dass dies in China passiere. Noch so kostet ihn ein Stück 80 bis 90 Rappen. Das entspricht etwa dem Zehnfachen dessen, was er für ein Kunststofffigürchen auslegen würde.
Pionier in Freiburg
Saudan stammt aus der Region Bulle und hat die Fèves vor elf Jahren als Erster nach Freiburg gebracht. Heute bieten seine Berufskollegen den Königskuchen ebenfalls nach französisch-welscher Art an. Er selber rechnet damit, dass dieses Jahr rund 2600 Kuchen über den Ladentisch gehen werden, was für eine mittelgrosse Bäckerei mit 39 Vollzeitstellen gut sei.
Dass der Dreikönigstag dieses Jahr auf einen Sonntag fällt, wird sich auf den Absatz allerdings dämpfend auswirken. Saudan erinnert daran, dass an einem Werktag häufig auch am Arbeitsplatz gefeiert wird. Dann essen die Leute nicht nur in der Familie einen Königskuchen, sondern auch im Kreis der Kollegen.