Fahne mit Davidsstern an Gayparade in Paris

Antisemitismus hat nachgelassen

In St. Gallen hat es im vergangenen Jahr laut einem aktuellen Bericht drei antisemitische Vorfälle gegeben. Insgesamt haben sie deutlich abgenommen. Christoph Blochers jüngste Äusserungen stossen der Jüdischen Gemeinde auf.

KATHARINA BRENNER

Im Regionalzug von Rorschach nach St. Gallen singt am 12. Dezember 2015 ein Jugendlicher «lauthals eine krass judenfeindliche Liedstrophe», heisst es im aktuellen Antisemitismus-Bericht. Vor einem Fussballspiel zwischen dem FC Luzern und dem FC St. Gallen im Februar 2015 verkleidet sich ein Luzern-Fan als orthodoxer Jude. Er trägt einen FC-St. Gallen-Schal und führt den Fan-Umzug an. Der Grund für die Verkleidung war gemäss dem Bericht, dass die St. Galler offenbar als «Juden» bezeichnet werden, was eine Beschimpfung darstellen soll.

Leugnung des Holocaust

Im März 2015 leugnete ein junger Liechtensteiner bei einem Treffen der Europäischen Aktion Liechtenstein in St. Gallen den Holocaust. Diese drei Vorfälle führen der Schweizer Israelitische Gemeindebund und die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus in ihrem aktuellen Bericht über Antisemitismus in der Deutschschweiz auf. Sie registrierten insgesamt 16 Fälle im Jahr 2015, darunter zwei physische Übergriffe.

Die drei genannten Fälle seien der Kantonspolizei bekannt, sagt Mediensprecher Hanspeter Krüsi. Bei zweien seien auswärtige Personen beteiligt gewesen. Dadurch sei der Tatort St. Gallen eher zufällig. Krüsi verweist auf einen weiteren Vorfall im vergangenen Jahr: Religionsschüler seien vor der Synagoge in St. Gallen von drei jungen Männern «mit unschönen Worten über Juden betitelt» worden. Die Stadtpolizei tausche sich regelmässig mit der Jüdischen Gemeinde St. Gallen aus. Diese hat rund 100 Mitglieder. Die Synagoge an der Frongartenstrasse 18 in St. Gallen ist die einzige im Kanton. «Seit längerem wird bei Veranstaltungen in der Synagoge und anderen Örtlichkeiten ein privater Sicherheitsdienst organisiert», sagt Krüsi. Je nach Veranstaltung sei auch die Stadtpolizei präventiv vor Ort.

Keine Vorfälle im laufenden Jahr

2016 seien der Kantonspolizei noch keine Fälle mit eindeutigem antisemitischem Charakter angezeigt worden. Krüsi sagt, er gehe nicht von einer hohen Dunkelziffer aus. «Im Kanton St. Gallen ereignen sich gemäss unserer Fachstelle sehr wenige antisemitische Ereignisse.»

Gemäss dem aktuellen Antisemitismus-Bericht hat im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der antisemitischen Vorfälle in der Deutschschweiz 2015 deutlich abgenommen. 2014 waren es noch 66 Fälle, im Folgejahr nur noch 16.

«Das hängt mit dem Nahostkonflikt zusammen», sagt der Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, Jonathan Kreutner. «Antisemitische Übergriffe brauchen meist einen Trigger.» Der Krieg in Gaza im Sommer 2014 sei ein solcher Trigger gewesen.

Drohungen auf Facebook

Im Antisemitismus-Bericht stehen nicht nur Fälle von verbalem und physischem Antisemitismus und von schriftlichen Beleidigungen und Drohungen, sondern auch von Antisemitismus im Internet. 2014 hatte es demnach auf Facebook viele Drohungen gegen Jüdinnen und Juden gegeben. Verbale Angriffe im Internet hätten 2015 zwar abgenommen, seien aber weiterhin ein grosses Thema, sagt Kreutner. Ausserdem hätten die Attentate in Kopenhagen und Paris zu einer grossen Verunsicherung in der Jüdischen Gemeinde geführt – in der gesamten Schweiz.

«Unpassende Nazi-Vergleiche»

Der Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes hat eine klare Meinung zu Christoph Blochers Vergleich der Berichterstattung über die Durchsetzungs-Initiative mit der nationalsozialistischen Judenverfolgung: «Er banalisiert die Naziverbrechen», sagt Kreutner. Der Vergleich sei unhaltbar und zeuge von keinem grossen Geschichtsverständnis. Die Aussage sei kein Einzelfall: «Wir hören unpassende Nazi-Vergleiche immer wieder in den unterschiedlichsten Zusammenhängen.»

Fahne mit Davidsstern an Gayparade in Paris | © Georges Scherrer
St. Galler Tagblatt
28. April 2016 | 11:32