Bundesrat Alain Berset in der Arena-Sendung vom 29.4.16
Schweiz

TV-Kritik: Fortpflanzungsmedizin – stimmen wir ab über den Platz der Behinderten in der Gesellschaft?

Zürich, 1.5.16 (kath.ch) Am 5. Juni kommt das geänderte Fortpflanzungsmedizin-Gesetz an die Urne, das die Anwendung der umstrittenen Präimplantationsdiagnostik (PID) regelt. Befürworter und Gegner haben dazu in der Arena-Sendung vom 29. April auf SRF1 die Klingen gekreuzt. Uneinig war man sich in fast allem. Insbesondere auch über die Frage, ob das Gesetz die Behinderten in der Schweiz an den Rand drängt. Eine TV-Kritik von Barbara Ludwig.

Für Gesundheitsminister Alain Berset war klar, dass es in der Referendumsabstimmung über das vom Parlament geänderte Fortpflanzungsmedizingesetz nicht über den Platz der behinderten Menschen in der Gesellschaft geht. Dies sei wohl ein sehr zentrales Thema, für das er sich auch persönlich einsetze. Es habe aber nichts zu tun mit den Gentests an Embryonen, die das Gesetz sowohl Paaren mit einer schweren Erbkrankheit als auch Paaren ermöglichen will, die auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen können.

«Am 5. Juni geht es nicht um den Platz der Menschen mit Behinderungen, sondern um Wahlfreiheit für Paare», so Berset. Um die Wahlfreiheit unfruchtbarer Paare, eine bestimmte Anzahl im Reagenzglas gezeugter Embryonen genetisch untersuchen zu dürfen, damit der Embryo mit den besten Entwicklungschancen ausgewählt und eingepflanzt werden kann. Der Zürcher Fortpflanzungsmediziner Bruno Imthurn pflichtete dem Bundesrat bei mit dem Argument, dass 90 Prozent der Behinderungen gar nicht genetisch bedingt seien, sondern durch Unfälle oder Krankheiten entstehen. Die PID umfasse genau die gleichen Untersuchungen, die man heute in der zwölften Schwangerschaftswoche vornehme, «zu Tausenden und das schon seit 30 Jahren».

Ein Argument, dass die Gegner nicht beruhigen konnte. Madeleine Flüeler von Insieme Schweiz, der Dachorganisation der Elternvereine für Menschen mit einer geistigen Behinderung, sagte, ihre Organisation befürchte eine Marginalisierung der Menschen mit Behinderungen. Durch das Aussortieren von Embryonen würden Personen mit Behinderung «als nicht lebenswert taxiert».

Die Berner Nationalrätin Marianne Streiff-Feller und Präsidentin der EVP Schweiz sah dies ähnlich. Wähle man den stärksten und gesündesten Embryonen aus der Petrischale aus, käme dies einer Diskriminierung von behinderten Menschen gleich. «Man sagt ihnen: Ihr werdet weggeworfen!» Es sei kein Zufall, dass 19 Behindertenorganisationen das Referendum ergriffen haben. Diese hätten sich erst gegen die PID gewehrt, als man zusätzlich das Chromosomen-Screening erlauben wollte.

Mehrfach versuchte Streiff, auf den für sie wichtigen Unterschied zwischen PID und Pränataldiagnostik (PND) hinzuweisen. Aus Sicht der Befürworter ermöglicht das Gesetz, dasselbe zu tun, einfach zu einem früheren Zeitpunkt: Damit könnten die Belastungen für unfruchtbare Paare, die eine Invitro-Fertilisation auf sich nehmen, verringert werden, und auch Abtreibungen erübrigen sich. Für die EVP-Präsidentin ist es jedoch nicht dasselbe. Im Rahmen vorgeburtlicher Untersuchungen könnten Eltern für sich feststellen, wir können nicht mit einem behinderten Kind leben, und dann einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen. Damit ist auch Sicht der Abtreibungsgegnerin aber keine Selektion verbunden. Dürfe man hingegen für die PID zwölf Embryonen herstellen und aus diesen dann den stärksten aussuchen, handle es sich um eine Auslese.

Gegner befürchten, dass durch die Möglichkeit der Selektion behinderte Menschen und auch werdende Eltern unter Druck kommen. In dieser Frage hätte man sich als Zuschauerin etwas mehr Tiefgang gewünscht: Was bedeutet es für Behinderte, ja für die ganze Gesellschaft, wenn man beginnt, Lebewesen auszusortieren? In der Diskussionsrunde, in der Befürworter und Gegner gut vertreten waren und ausgeglichen zu Wort kommen durften, fehlte letztlich die Stimme einer Ethikerin oder eines Ethikers. Auch Vertreter von Kirchen, die das Referendum unterstützen, waren nicht präsent. Die Sendung hat mit Alain Berset (pro), der FDP-Nationalrätin Regine Sauter (pro), der BDP-Nationalrätin Rosmarie Quadranti (pro), Marianne Streiff-Feller, der Ärztin und SVP-Nationalrätin Yvette Estermann und Martin Friedli, Geschäftsleitung EDU, vor allem auf Köpfe aus der Politik gesetzt.

Die Thematik war komplex und anspruchsvoll, die Debatte teilweise chaotisch, Rednerinnen und Redner schlugen sich technische Details um die Ohren, die für Laien nicht überprüfbar sind. Die Sendung zeigte indes klar auf: Die Fronten verlaufen innerhalb der politischen Lager. Und auch Menschen ohne explizit religiösen Hintergrund verfolgen die Entwicklungen im Bereich der Fortpflanzungsmedizin kritisch. (bal)

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Bundesrat Alain Berset in der Arena-Sendung vom 29.4.16 | © 2016 Screenshot SRF
1. Mai 2016 | 17:04
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